Multimedia-Unternehmen locken mit Zusatzleistungen

Futter für die Arbeitslaune

14.04.2000
Von Kathi Seefeld
Neun von zehn Multimedia-Firmen in Deutschland suchen händeringend Fachleute. Wer Top-Mitarbeiter halten will, versüßt ihnen den Job. Allenorts klingt das Hohelied auf die motivierende Unternehmenskultur in der Branche. Geld spielt fast keine Rolle. Von Kathi Seefeld*

Gegen Mittag schickt Chefsekretärin Anne Schlosser eine E-Mail an alle: "Morgen wieder Massagen. Wer will?" Projektleiterin Leonie Lentz will. Seit Tagen hat sie gemeinsam mit ihrem Team bis spät in die Abendstunden am Bildschirm gesessen, Pizza-Lieferanten und China-Imbiss hatten Hochkonjunktur. Etwas Entspannung vor dem Projektendspurt käme gerade recht. "Ich zahle für eine Massage am Arbeitsplatz 15 Mark. Das ist total günstig." Leonies Arbeitgeber, die Berliner Multimedia-Agentur Aperto, trägt die andere Hälfte der Kosten.

Auch darüber hinaus hat sich das Unternehmen einiges überlegt, um die Mitarbeiter bei der Stange zu halten. Jeden Morgen zwischen neun und elf türmt sich in der Aperto-Küche ein Frühstücksbuffet mit Obst und frischen Brötchen, Kaffee und andere Getränke stehen bereit. Diejenigen, die Diät halten wollen oder müssen, werden mittags bekocht. Lana, der Agenturhund kann ausgeführt werden. "Wer abends noch am Rechner sitzt, dem spendiert die Firma die Pizza, und wer das Haus erst nach zehn Uhr verlässt, bekommt das Taxi erstattet", fügt Unternehmenssprecherin Anke Sinnigen hinzu.

Teure Firmenkultur

Die 1996 gegründete Agentur ist jedoch nicht der einzige Arbeitgeber in der Multimedia-Branche, der seinen Beschäftigten die Arbeit über sogenannte Goodies zu versüßen sucht und gemeinsamen Spaß weit oben in der Liste der Unternehmenswerte angesiedelt hat. "Jeder, der fähige Mitarbeiter, ob Programmierer oder Projektleiter, heranziehen und halten will," weiß Aperto-Geschäfts-führer Dirk Buddensiek, "muss kräftig in seine Firmenkultur investieren."

Bei der Firma Elephant Seven Multimedia gehen die Mitarbeiter auf Unternehmenskosten ins Fitness-Studio, Pixel-Factory bei Frankfurt lockt mit einer immer gefüllten Eistruhe, Kabel New Media in Hamburg hat einen Kabelchor gegründet und eine Fußballmannschaft, die "Netzer", auf die Beine gestellt, deren Spiele regelmäßig in Firmenparties münden.

Ursache für so viel Engagement ist der Mangel an Fach- und Führungskräften in der IT-Branche. Seit die Mehrzahl der deutschen Wirtschaftsbosse in der Internet-Präsenz eine der dringendsten Aufgaben für das neue Jahrtausend sieht und die Ressentiments gegenüber dem E-Commerce sichtbar abgenommen haben, suchen neun von zehn Multimedia-Firmen in Deutschland händeringend Mitarbeiter, um ihren Bedarf zu decken.

Nach Aussagen des Deutschen Multimedia Verbandes (dmmv) in Düsseldorf gibt es derzeit im deutschsprachigen Raum etwa 1500 Unternehmen mit 60 000 Arbeitsplätzen im Bereich Neue Medien. Jährlich werden es etwa 6000 mehr. Laut einer Studie des Verbandes der Softwareindustrie bleibt von drei ausgeschriebenen Stellen eine unbesetzt.

Während die Branche noch vor ein, zwei Jahren vor allem auf der Suche nach Kunden- beziehungsweise Anwendungsberatern war, ist nach einer Befragung des dmmv und des Hightext-Verlages, München, derzeit vor allem der Bedarf an Technikern, Softwareentwicklern, Programmierern und Projektleitern groß. Dass Bewerber bei einem Unternehmen Schlange stehen und dieses dann in Ruhe die besten auswählen darf, ist deshalb die Ausnahme, stark abhängig vom Bekanntheitsgrad der Firma und manchmal auch davon, wie prominent die betreuten Kunden sind.

Klinkenputzen bei Unis

Pixelpark, das weltweit mehr als 400 Mitarbeiter beschäftigt, kann allein durch seinen Börsengang im vergangenen Herbst aus einer Flut von monatlich 500 bis 600 Bewerbungen auswählen, erzählt Personalchefin Petra Sontheimer. Bei Aperto sorgte im November letzten Jahres ein Auftrag der Daimler-Chrysler-Tochter Debis für verstärkten Bewerberzulauf.

Normalerweise bedeutet die Suche nach geeigneten Mitarbeitern jedoch Klinkenputzen bei Universitäten und Hochschulen, Anzeigen in den gängigen Jobbörsen, Teilnahme an Rekruting-Messen sowie Karriereversprechen auf der eigenen Website. Dirk Kutzim, Sprecher von Grey Interactive in Düsseldorf und stellvertretender Geschäftsführer der Argonauten-Gruppe, kann ein Lied davon singen. "Wir könnten an all unseren Standorten noch fähige Leute vertragen. Wir haben große Anzeigen geschaltet." Zwar locke sein Unternehmen nicht mit Bügelservices, Blumensträußen oder anderen Nettigkeiten zur Hebung der Arbeitslaune. "Was wir bieten, ist neben einer gewachsenen, ausgesprochen teamorientierten Arbeitsatmosphäre eine Fülle von Fortbildungsmöglichkeiten für unsere Mitarbeiter." Einen Ansturm auf die ausgeschriebenen Stellen hat Kutzim jedoch weder in München noch in Frankfurt, Hamburg oder Düsseldorf erlebt.

Vielfältige Weiterbildungsprogramme und Informationsangebote werden in Sachen Unternehmenskultur auch bei Pixelpark favorisiert. "Wir bauen bei unseren Mitarbeitern aufgabenorientiert Know-how auf", unterstreicht Personal-Managerin Sontheimer. Ob Teamführung oder Zeit-Management, regelmäßiges Training ist ein Muss. Zweieinhalbtägige Programme zur Schulung des Führungskräftenachwuchses werden in Zusammenarbeit mit einem Management-Institut absolviert. Der internationale Kreativ-Workshop findet auf Mallorca statt. "Unsere Mitarbeiter sehen, dass sie gute Entwicklungsmöglichkeiten bei uns haben und das wirkt sich positiv auf die Motivation aus."

Bei Einstellungen stehen nach wie vor Hochschulabsolventen auf der Beliebtheitsskala ganz oben. "Nicht wenige, die heute bei Aperto arbeiten, haben allerdings ihr Studium abgebrochen, um zu uns zu kommen", erklärt Personal-Managerin Daniela Nartschick-Riley. An und für sich, sagt sie, sei das kein Problem, zumal die Entwicklung an den Universitäten bis auf einige, wenige Ansätze mit dem Tempo der Multimedia-Branche ohnehin nicht mithalten könne. Die Learning-on-the-Job-Methode sei vielmehr ein Garant, an neuesten Technologien und Trends dranzubleiben. Allerdings, so Nartschick-Riley, verbinde sich damit auch eine große Verantwortung für das Unternehmen. "Den Mitarbeitern müsse eine berufliche Perspektive sowie entsprechende Bildungs- und Entwicklungschancen geboten werden."

Viele Studienabbrecher

Die Realisierung dieses Anspruches lassen sich die meisten Multimedia-Unternehmen einiges kosten. Unabhängig davon, wieviel Überstunden und Arbeitsstress dafür in Kauf genommen werden, die Rechnung geht nur auf, wenn sich der qualifizierte Mitarbeiter nicht schon nach kurzer Zeit wieder verabschiedet. Aperto haben nach eigenen Angaben seit der Gründung erst zwei feste Mitarbeiter verlassen. "Einer", so Anke Sinnigen, "ging in die Politik, der andere in die Dominikanische Republik." Pixelpark spricht von einer fünfprozentigen Fluktuation und auch Kabel New Media ist stolz, so Unternehmenssprecherin Tina Kulow, auf seine "unterdurchschnittlichen" Mitarbeiterverluste.

Grund für Kündigungen sind in den seltensten Fällen Abwerbungen durch die Konkurrenz. "Das Arbeitsklima spielt eine große Rolle", ist sich Heiner Stix, Sprecher der Feldmann Media group in Nürnberg, sicher. "Es ist für jeden Mitarbeiter eine tolle Erfahrung, wenn bei einem Projekt, das in der Endphase vielleicht etwas hektisch läuft, alle Beteiligten bis zum Schluss mitziehen. Wenn der Projektleiter sich nicht einfach ausklinkt, sondern seinen Leuten zur Seite steht, sie versorgt und ermutigt", konstatiert Stix.

Zwei Drittel der Mitarbeiter lebt als Single

Neueinsteigern bei Kabel New Media stehen neben einer Vielzahl von Informationsmaterialien vom ersten Tag an Paten zur Seite. "Jeder von uns", so Sprecherin Kulow, "war irgendwann mal Patenkind und gibt jetzt seine Erfahrungen weiter." Um zu garantieren, dass auch über die Startphase hinaus jeder Mitarbeiter immer einen Ansprechpartner für seine Probleme hat, wurde das allein in Hamburg 170 Beschäftigte zählende Unternehmen in 50 bis 60 Mitarbeiter starke Units gegliedert. "Auf diese Weise konnten wir die familiäre Atmosphäre unserer Gründerzeit weitest gehend erhalten."

Dass ein kreatives Arbeitsklima, die Einbindung in ein tolles Team oder auch die "Goodies" einen so hohen Stellenwert genießen, hat in der boomenden Multimedia-Branche dazu geführt, dass trotz akutem Personalmangel Fachkräfte nicht automatisch Spitzenverdienste erzielen. Die Sorge um eine angemessene Bezahlung steht bei der Mehrzahl der Mitarbeiter, die zum Teil zwölf bis vierzehn Stunden in der Agentur eingespannt sind, nicht an erster Stelle.

Gut zwei Drittel der Beschäftigten leben als Singles, die wenigsten tragen Verantwortung für Kinder oder andere Familienangehörige. So lange Gründereuphorie und Unternehmenserfolge in der Branche anhalten, nimmt niemand an gängigen Arbeitsvertragsklauseln wie "Mehrarbeit ist mit dem Gehalt abgegolten" Anstoß. Noch nicht, konstatieren Gewerkschaftsvertreter.

Fakt ist, dass in kaum einer anderen Branche so wenig Gehaltstransparenz herrscht. Mit einer Studie zur Vergütung versuchte im Herbst vergangenen Jahres die Kienbaum-Gehaltsberatung Licht in das Vergütungsdunkel zu bringen. Die Unternehmensdienstleister legten einen Katalog vor, der beschreibt, was Führungs- und Fachkräften derzeit gezahlt wird. Zudem wies Kienbaum auf Unterschiede in Abhängigkeit von der Größe des Unternehmens hin. Kleinere Unternehmen, hieß es, seien oft nicht in der Lage, ihre Mitarbeiter gut zu entlohnen. Der Leiter der Grafik in einem Unternehmen mit etwa 100 Mitarbeitern gehe derzeit mit einem Jahresgehalt von etwa 84 000 Mark nach Hause, während in einer Firma mit mehr als 2000 Beschäftigten ein Mitarbeiter in der gleichen Position gut 140 000 Mark verdient.

Betriebsausflug nach Korfu

Von solchen Größenordnungen sei Aperto noch weit entfernt, gibt sich Geschäftsführer Buddensiek vergnügt. Ihn beschäftigt derzeit, wie das geplante gemeinsame Gletscher-Skilaufen in diesem Frühjahr zu realisieren ist. "Unser Betriebsausflug nach Korfu im vergangenen Jahr hat der Zusammenarbeit einen wichtigen Kick gegeben." Auf einen solchen Motivationsschub kann und will das Unternehmen auch mit der doppelten Anzahl seiner Mitarbeiter künftig nicht verzichten. Einerseits gebe es im Arbeitsalltag für die inzwischen 70 Mitarbeiter immer weniger Gelegenheit an einen Tisch zu kommen. Andererseits ging bei Aperto in den letzten Jahren jede Verdopplung ihrer Mitarbeiterzahl immer auch mit einer hundertprozentigen Umsatzsteigerung einher. "Daran", so Buddensiek, "wollen wir in diesem Jahr natürlich auch festhalten."

*Kathi Seefeld ist freie Journalistin in Berlin.