Forschungseinrichtungen hoffen auf externen Schlichter

Fusion von FhG und GMD droht der Zwangsvollzug

28.04.2000
MÜNCHEN - Die vom Bundesforschungsministerium (BMBF) angestrebte Fusion der beiden deutschen Forschungseinrichtungen Fraunhofer-Gesellschaft (FhG) und Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) gestaltet sich äußerst schwierig. Die Gespräche sind auf Eis gelegt, seit man bei der GMD offenbar zu Recht befürchtet, bei der Grundlagenforschung massiv eingeschränkt zu werden. Nun soll ein neutraler Moderator retten, was zu retten ist. Gerüchten zufolge will die Bundesregierung aber die Fusion notfalls anordnen.Von Beate Kneuse*

Die Fronten sind verhärtet, eine Annäherung scheint nicht in Sicht. Bislang herrscht nur in einem Punkt Einigkeit in den Reihen beider Forschungseinrichtungen - nämlich darin, dass eine Bündelung der FhG- und GMD-Aktivitäten im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik (IuK-Technik) sinnvoll ist, um den Umbau Deutschlands in eine Informationsgesellschaft voranzutreiben.

Tatsächlich entstünde mit der Zusammenlegung die größte Forschungsorganisation in der europäischen IuK-Szene mit 2500 hochqualifzierten Mitarbeitern, so das BMBF. Anfangs schienen auch beide Seiten die vom BMBF im September vergangenen Jahres überraschend angekündigte Fusion ernsthaft zu begrüßen. Einmütig erklärten FhG-Präsident Hans-Jürgen Warnecke und GMD-Chef Dennis Tsichritzis seinerzeit, man verspreche sich von dem Zusammengehen "einen deutlichen Zuwachs an internationaler Aufmerksamkeit und einen verbesserten Zugang zum nationalen und internationalen Forschungsmarkt".

So unumstritten der fachliche Aspekt ist, so heftig scheiden sich die Geister mittlerweile am Fusionsprozedere. Zwar ist die auf Grundlagenforschung spezialisierte und zu 70 Prozent staatlich geförderte GMD damit einverstanden, unter das FhG-Dach zu schlüpfen. Doch sie will nicht deren wettbewerbsorientiertes Finanzierungsmodell (60 Prozent eigene Erträge aus Auftragsforschung für die Wirtschaft, 40 Prozent staatlich garantierte Förderung) übernehmen.

Die verstärkte Eigenfinanzierung deutscher Forschungseinrichtungen liegt aber im Interesse der Bundesregierung. Trotz der seit Jahren rückläufigen öffentlichen Projektförderung durch Bund und Länder ist der rot-grünen Koalition in Berlin, die um eine massive Entlastung des Haushaltes bemüht ist, die zum Teil nach wie vor hohe Grundfinanzierungsrate von Institutionen wie der GMD ein Dorn im Auge. Die Regierung will deshalb die deutsche Forschungslandschaft neu strukturieren und dabei die Grundlagen- zugunsten der Auftragsforschung zurückfahren.

Offensichtlich aufgrund dieser politischen Rückendeckung hatten sich FhG-Verantwortliche schon im Februar dafür ausgesprochen, ihr Finanzierungsmodell nach der Fusion auf die GMD zu übertragen. Als dies publik wurde, schlug die bis dato FhG-freundliche Stimmung bei der GMD in heftige Antipathie um. Die FhG, so ereiferten sich die GMD-Wissenschaftler, wolle jegliche Grundlagenforschung unterminieren. GMD-Sprecherin Ute Schütz erklärte Anfang April öffentlich: "Damit ist unsere mittel- bis langfristige Forschung für Zukunftsmärkte nicht mehr möglich."

Besänftigen konnte da auch nicht mehr die ursprünglich erwogene Übergangslösung eines Fonds, in den jährlich bis zu 40 Millionen Mark fließen sollen mit dem Ziel, in den ersten Jahren nach der Fusion den Fortgang entsprechender Projekte der GMD, etwa im Bereich Bioinformatik, sicherzustellen.

Der Ärger nahm zu, als vor zwei Wochen in einem Schlusspapier des FhG-Senats zur Fusionsregelung wesentliche GMD-Bedingungen nicht berücksichtigt wurden. So fehlte vor allem die Forderung der Wissenschaftler aus St. Augustin, ein abgestimmtes Finanzierungsmodell zu entwickeln, um Drittmittelfinanzierungen, Firmenausgründungen, verstärkte Einwerbung von EU-Fördermitteln sowie die forcierte Entwicklung strategischer Forschungsfelder dauerhaft zu verknüpfen. Seither ist aus den Reihen der GMD-Mitarbeiter von "unüberbrückbaren Positionen" (O-Ton Tsichritzis) die Rede und von einer "feindlichen Übernahme". Weil die Grundlagenforscher der GMD mit ihrer ablehnenden Haltung vermutlich nur wenig ausrichten können, fühlen sie sich überfahren. Vor allem auch deshalb, da im Aufsichtsrat der GMD, der trotz aller Missklänge am 7. April den Zusammenschluss empfohlen hatte, Uwe Thomas sitzt, seines Zeichens Staatssekretär im Bundesforschungsministerium und neben Ministerin Edelgard Bulmahn Fädenzieher der Fusion. Ihm gehe es, so der Vorwurf erboster GMD-Forscher, nur um die eigene Profilierung zum Ende seiner politischen Laufbahn. In anderthalb Jahren wird der leitende Beamte pensioniert, bis dahin wolle er unumstößliche Tatsachen schaffen.

Jedenfalls scheint Thomas bei der widerspenstigen GMD mit harter Hand vorzugehen. Deren Chef Tsichritzis wurde Insidern zufolge nach seinen kritischen Äußerungen ein Maulkorb verpasst. Eine von ihm am 14. April anberaumte Pressekonferenz zum Stand der Fusion wurde am Abend des Vortages kurzerhand abgesagt. Auf einer eilends einberufenen Mitarbeiterversammlung der GMD zeigte sich Staatssekretär Thomas trotz heftiger Kritik (einzelne Mitarbeitervertreter warfen ihm dem Vernehmen nach eine "Taktik des Tarnens, Tricksens und Täuschens" vor.) unbeeindruckt. Angeblich arbeiten Juristen des Ministeriums bereits an konkreten Anordnungen, mit denen die Fusion jetzt "per Erlass" umgesetzt werden soll.

FhG-Präsident Warnecke bedauerte vergangene Woche vor der Presse in München den Stimmungsumschwung bei der GMD, ist sich aber keiner Schuld bewusst. "Es ist politischer Wille, die Anwendungsorientierung der GMD zu steigern. Bisher befindet sich die Gesellschaft unterhalb unseres Ertragsmodells. Potenziale aber sind vorhanden, wenn die Kollegen wirtschaftsnäher entwickeln", kritisierte er unverhohlen. Um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen, betonte der FhG-Chef allerdings, dass eskeineswegs die Absicht seiner Gesellschaft sei, die Grundlagenforschung der GMD in Frage zu stellen. Aber man werde überlegen müssen, inwieweit "einzelne Projekte für die kommenden 15 Jahre Sinn geben".

Die FhG halte, so Warnecke weiter, nach wie vor an der Fusion fest, und man sei auch bereit, der GMD entgegenzukommen. Gleichwohl gestand er ein, dass man zum jetzigen Zeitpunkt vor einem Scherbenhaufen stehe. Deshalb sei die FhG nun auf der Suche nach einem externen Moderator, möglichst aus einer namhaften großen Beratungsgesellschaft. Dieser soll gemeinsam mit den Vorständen und Aufsichtsgremien der GMD und FhG bis September Empfehlungen zur Kooperation einschließlich der Fragen in puncto Finanzierung und Zielvereinbarungen im Bereich IuK ausarbeiten. Parallel dazu wolle man den Fusionsprozess "langsam und vorsichtig über die fachliche Ebene wieder in Gang bringen".

Keinen Kommentar wollte der FhG-Präsident indes dazu abgeben, ob es notfalls auch zu einer politisch getriebenen Zwangsehe kommen werde, wenn alle Annäherungsbemühungen scheitern. FhG-Personalverantwortlicher Dirk Polter versuchte sich vermutlich auch deshalb schon in einer pragmatischen Sicht der Dinge: "Der Zusammenschluss ist eine attraktive Option für alle Beteiligten, für die allerdings das Bewusstsein noch wachsen muss. Tatsache ist, dass es keine Liebesheirat werden wird, aber auch keine Zwangsehe. Wir streben eine Vernunftehe an."

* Beate Kneuse ist freie Journalistin in München

GMD will´s alternativJährlich rund 90 Millionen Euro stehen der GMD - Forschungszentrum Informationstechnik GmbH derzeit für ihre Forschungsaktivitäten zur Verfügung. Mehr als zwei Drittel davon stammen aus dem Staatssäckel. Dass dies des Guten zu viel ist, ist GMD-Chef Dennis Tsichritzis durchaus bewusst. Ihm schwebt aber keineswegs eine stärkere Hinwendung zur Wirtschaft vor, vielmehr zieht er alternative Finanzierungsmöglichkeiten vor allem für langjährige Forschungsprojekte ins Visier. Venture Capital heißt das Zauberwort - Geldgeber sollen in "Zukunftswerte" investieren. Nicht in Firmen wohlgemerkt, sondern in etwaige künftige Produkte, die eine Perspektive im Weltmarkt haben. Was mögliche Spinoffs beziehungsweise Firmenausgründungen nicht grundsätzlich ausschließt. Ein interessanter Ansatz, wenngleich er im Detail noch zu hinterfragen wäre. Die Grenzen zwischen Grundlagenforschung und kommerzieller Wissenschaft würden damit vermutlich auch bei der GMD durchlässiger. Und es ließe sich nicht nur das zum Teil langwierige Prozedere für die Bewilligung von Forschungsgeldern umgehen, sondern es würde auch die gewünschte Entlastung für die Staatskasse bringen.

FhG macht´s vorGeht es nach den Vorstellungen der Bundesregierung, so dürfte die Fraunhofer-Gesellschaft mit ihren derzeit rund 50 Instituten in Sachen Eigenfinanzierung eine Vorbildfunktion in der gesamten deutschen Forschungslandschaft einnehmen. Von 1978 bis 1999 stiegen ihre Gesamtleistungen kontinuierlich von 89 auf 715 Millionen Euro. Dabei ist mit 615 Millionen Euro der überwiegende Teil dem Bereich Vertragsforschung zuzuordnen, also der wirtschaftsorientierten Auftragsforschung und der öffentlichen Projektförderung. 63 Prozent der Einnahmen wurden hier als Eigenanteil der FhG erzielt.

Abb.: Tendenz steigend: Die Vertragsforschung in Deutschland nimmt seit Jahren zu. Quelle: FhG