Unterschiedliche Ansätze auf dem 20. Deutschen Logistik-Kongress vorgestellt

Für SCM gibt es keine Patentlösung

07.11.2003
BERLIN (rg) - Wenn Unternehmen planen, ihre Lieferketten elektronisch zu organisieren, stoßen sie häufig auf ein Bündel ungelöster IT-Probleme. Auf dem 20. Deutschen Logistik-Kongress schilderten Unternehmen, wie sie damit umgehen.

Die Logistik ist eine der wenigen Branchen, die weiterhin deutliche Umsatzzuwächse verbuchen kann (siehe Kasten "BVL-Kongress"). Sie profitiert nicht zuletzt von der abnehmenden Fertigungstiefe und dem daraus resultierenden Bedürfnis, die komplexer gewordenen Lieferketten zu verbinden. Dieser Faktor stellt auch die IT vieler Unternehmen vor immer neue Aufgaben, egal ob sie nun als Abnehmer, Zulieferer oder wie in den meisten Fällen in beiden Rollen in verschiedene Liefernetze eingebunden sind.

Laut Helmut Merkel, Vorstandsmitglied von Karstadt Quelle und Vorstandsvorsitzender der Karstadt Warenhaus AG, führt die zunehmende Arbeitsteilung zu sinkenden Stückkosten, denen steigende Transaktionskosten gegenüberstehen. Diesem Effekt lasse sich nur durch unterstützende IT- und Logistiksysteme begegnen, die aufgrund der hohen Anforderungen zunehmend komplexer würden.

Ein grundsätzliches Problem sieht Merkel in der kaskadenartigen Informationsweitergabe in Lieferketten und -netzen. Hier macht er einen Trend zur Informationszentralisierung in Form von Hubs aus. So lasse sich die Transparenz unternehmsübergreifend erhöhen, wodurch alle Mitglieder einer Supply Chain besser planen könnten. Es sei vorstellbar, dass die Hubs künftig auch die Stammdatenpflege, beispielsweise von Produktkatalogen, Artikelbeschreibungen oder Lieferantenstammdaten, übernähmen. Außerdem könnten darüber Daten mit elektronischen Marktplätzen und in ferner Zukunft auch mit Zollbehörden austauscht werden. Hierfür seien allerdings deutliche Fortschritte bei der Standardisierung von Datenformaten notwendig. Bi-direktionale EDI-Partnerschaften zwischen Industrie und Handel könnten via Internet mittlerweile auch von mittelständischen Partnern wirtschaftlich sinnvoll genutzt werden, so Merkel. Mehrere Referenten betonten jedoch, dass der Mittelstand bei der Nutzung der IT für die Organisation der Lieferketten hinterherhinke.

IT-Abteilungen müssen häufig erst ihre Hausaufgaben machen

Aber auch große Unternehmen kämpfen bei ihren Supply-Chain-Management-(SCM-)Projekten häufig mit erheblichen Schwierigkeiten. Für viele stellt bereits die Organisation und Standardisierung der internen Lieferkette eine umfangreiche Aufgabe dar. Jürgen Bayer, technischer Geschäftsführer beim Automobilzulieferer Behr France, sieht aber gerade dies als notwendigen ersten Schritt an, bevor die Standardisierung der Kunden- und Lieferantenprozesse folgen könne. Der aus dem Mittelstand kommende Automobilzulieferer erlebte in den vergangenen Jahren ein rasantes Unternehmenswachstum und musste etliche neue Werke in den Firmenverbund integrieren. Heute steuert die Konzernzentrale in Stuttgart das Zusammenspiel des internationalen Verbundes mit zwanzig Produktionsstandorten weltweit sowie mit Tochtergesellschaften und Lizenzpartnern in sechzehn Ländern.

Für die Steigerung der Auskunftsfähigkeit, Transparenz und Reaktionsfähigkeit sowie die Verbesserung der Planungsprozesse stellt die IT laut Bayer den zentralen Erfolgsfaktor dar. Die dafür erforderliche Durchgängigkeit und Standardisierung der internen Prozesse habe Behr mittlerweile fast abgeschlossen. Jetzt soll ein integriertes Anwendungspaket folgen. "Wir hätten uns gewünscht, schon früher auf ein global standardisiertes ERP-System aufsetzen zu können", erklärte Bayer. Das gelte es nun so schnell wie möglich nachzuholen. Behr plant daher, im Zeitraum von 2004 bis 2008 unternehmensweit SAP/R3 einzuführen. "Damit schaffen wir ein solides Fundament für die Implementierung eines umfassenden SCM-Systems", so Bayer.

Datenharmonisierung statt Gleichschaltung der Systeme

Die Dräger Safety AG & Co. KgaA stand ebenfalls vor der Aufgabe, ihre insgesamt 30 Gesellschaften in eine virtuelle Lieferkette einzubinden, wählte dabei aber einen anderen Weg. Der Gewinner des "Deutschen Logistik-Preises 1999" hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt: "Bis 2005 wollen wir unsere Prozesskosten um 30 Prozent senken, die Liefertreue soll bei 95 Prozent liegen", erläutert Thomas Holzgreve, Mitglied des Vorstands und Chief Financial Officer (CFO) bei Dräger Safety. Dies will das Unternehmen unter anderem durch die regionale Zentralisierung seiner Bestände, ein weltweites Planungsnetz und ein virtuelles Auftrags-Management erreichen.

Auch bei Dräger waren zum Projektbeginn die IT-Systeme der einzelnen Gesellschaften nicht integriert, die Datenbasis nicht abgestimmt, und standardisierte Prozesse fehlten. "Wir haben dennoch entschieden, nicht überall das gleiche IT-System einzuführen - und trotzdem zu integrieren", erkläutert Holzgreve die Vorgehensweise. Dräger hat für die Harmonisierung aller relevanten Daten eine Konzerndatenbank eingeführt. Aufträge und Artikel werden nun über ein gemeinsam mit dem Dienstleister MSE entwickeltes Tool erfasst. Das Programm legt die unterschiedlichen Datenformate in einer einheitlichen Tabellenstruktur in der Datenbank ab. Von dort werden sie in die lokalen ERP-Systeme übermittelt. "Anstatt die Systeme der Töchter zu harmonisieren, vereinheitlichen wir nur die für standortübergreifende Prozesse relevanten Daten", so Holzgreve.

Der Erfolg scheint Dräger Recht zu geben. Zwar liegt das Unternehmen bei der Intergration der Töchter in diese virtuelle Lieferkette hinter den ursprünglichen Zielen etwas zurück. Die zehn umsatzstärksten Gesellschaften sind jedoch schon angebunden. Die holländische Niederlassung konnte laut Holzgreve beispielsweise ihre Prozesskosten um 30 Prozent senken und ihre Lagerflächen um 63 Prozent reduzieren. In den kommenden zwei Jahren will Dräger jeweils zehn weitere Tochtergesellschaften integrieren.

BVL-Kongress

Die Logistikbranche boomt trotz konjunktureller Flaute. Laut Peer Witten, Vorsitzender der Bundesvereinigung Logistik (BVL), sind allein in Europa 41 Millionen Erwerbstätige direkt oder indirekt in der Logistik beschäftigt. Die deutsche Logistikwirtschaft erreiche mittlerweile einen Jahresumsatz von 150 Milliarden Euro und einen Anteil von 7,2 Prozent am Bruttoinlandsprodukt. Die überwiegend gute Stimmung in der Branche schlug sich auch in einem neuen Besucherrekord nieder: Den von der BVL veranstalteten dreitägigen Kongress in Berlin besuchten mehr als 2300 Teilnehmer und Referenten aus 25 Ländern. Thematischer Schwerpunkt war die Osterweiterung der EU unter dem Motto: "Grenzen überwinden - Wandel gestalten". Auf der begleitenden Ausstellung "Logistik-Markt" präsentieren zudem über 250 Unternehmen ihre logistischen Lösungen.