"Fuer Moskau braucht man viel Mut und Verstaendnis"

07.07.1995

Die russische Metropole ist fuer Hewlett-Packard kein Neuland mehr. Seit 1971 ist der amerikanische Hardwerker in Moskau aktiv. Anfangs noch mit kleineren Dependancen, ist das Unternehmen nach eigenen Angaben derzeit in den GUS-Staaten zweitgroesster IT- Anbieter nach der IBM. Im vergangenen Jahr setzte HP dort mehr als 125 Millionen Dollar um.

Die ehemalige Sowjetunion befindet sich im Umbruch: Seit Jahren vernachlaessigte und veraltete Strukturen weichen allmaehlich modernen Konzepten. Das ist ein Prozess, der jedoch nicht von heute auf morgen zu bewaeltigen ist.

Wenn auch westliche Produkte in den Markt draengen, noch sind laengst nicht alle frueheren DV-Systeme - Produkte aus dem einheitlichen Rechnerprogramm der RGW-Staaten - durch neue Anwendungen ersetzt.

Dem Manko an moderner Hardware steht ein gut ausgebildetes Informatikpersonal gegenueber. Bisher in der Raumfahrt oder Raketenforschung beschaeftigt, draengen diese Spezialisten vor allem in die IuK-Branche.

Die jahrelangen Restriktionen - ein Ergebnis der Cocom-Liste - bewirkten auch einen Kreativitaetsschub. Somit haben sich zahlreiche selbstgestrickte Loesungen bei den Anwendern etabliert, die noch heute funktionieren und breit genutzt werden.

Der Bedarf an Know-how ist in der GUS immens gross. Ein Beweis ist das verstaerkte Auftreten der regionalen Anbieter auf internationalen Messen wie der CeBIT. Allerdings sind diese Reisen und andere Bildungsfahrten, wenn sie nicht ueber Foerderprogramme der europaeischen Union oder per Einladung der Veranstalter realisiert werden, nur mit grossen finanziellen Aufwendungen moeglich - Kosten, die sich die russischen Firmen nicht leisten koennen. Unter anderem sorgt die hohe Inflationsrate im Lande dafuer, dass eine Rubel-Rechnung maximal fuenf Tage Gueltigkeit hat. Danach regelt ein neuer - meist schlechterer - Rubelkurs die Zahlungsmodalitaeten.

All diese Widrigkeiten erlauben den Nutzern in Russland und den anderen GUS-Staaten nur eine IT-Ausbildung vor Ort.

HP hat sich dieser Situation angepasst und im vergangenen Jahr in Moskau neben einer 100prozentigen Tochtergesellschaft (Hewlett- Packard A.O.) ein Schulungszentrum eingerichtet.

Fuenf Unterrrichtsraeume - ausgestattet mit moderner Technik - sind fuer maximal zwoelf Teilnehmer je Lehrgang konzipiert, um ein optimales Lernen zu garantieren.

Schulung muss bezahlbar sein

Was das Programm anbetrifft, so unterscheidet es sich kaum von dem vom Unternehmen in anderen Laendern angebotenen Schulungen. Allerdings konzentiert man sich in der Moskauer Staette derzeit auf Themen wie System-Management und Netzwerke sowie Datenbanksysteme

(Informix und Oracle).

Unterrichtssprache sowie alle Lehrmaterialien wurden der Landessprache angepasst. Auch die Dozenten kommen aus der heimischen Region, von der Technischen Universitaet und den Instituten Moskaus. Verstaendigungsprobleme konnten somit erst einmal abgebaut werden.

Fuer das Engagement im Osten braucht es jedoch noch mehr: Will ein westliches Unternehmen heute in Russland agieren, sollte es sich vor allem auf die Mentalitaet des dort lebenden Volkes einstellen und bereit sein, wirtschaftliche Maengel und Hindernisse im Lande mit Mut und guten Ideen zu begegnen. Anderenfalls ist es in Moskau an der falschen Adresse. Das Training und Belehren von oben herab bringt keinen Erfolg, sondern eher Erstaunen und Misstrauen.

Auch HP musste hier seine Erfahrungen machen: So ist es voellig falsch, zu glauben, dass alles, was aus dem Westen kommt, von der russischen Bevoelkerung kritiklos fuer gut befunden wird. Die Tatsache, dass das Land mit westlichen Produkten ueberschuettet wird und einheimische Loesungen kaum noch Chancen haben, ruettelt an dem Selbstbewusstsein der russischen Buerger. Es faellt ihnen nicht leicht, Hilfe - und nur das koennen diese Schulungen sein - von aussen anzunehmen, auch wenn sie von den Vorteilen ueberzeugt sind.

Hinzu kommt: Nur selten kann ein Anwender sich direkt fuer eine Weiterbildung anmelden, denn noch immer sind derartige Workshops eher das Recht der Fuehrungskraefte in den Unternehmen und oeffentlichen Verwaltungen. Dieser Fakt verlangt von den westlichen Anbietern vorsichtiges Agieren, um die Auswahl der Kurse und Teilnehmer zu begruenden. Das russische Land hat viel nachzuholen, doch dafuer scheint es sich Zeit zu nehmen.

Fuer einen hektischen und gestressten Westeuropaeer ist die bedaechtige Art und das fehlende "Time-is-Money"-Bewusstsein der Moskauer und Sankt Petersburger oft unverstaendlich. Dabei hat das "Lernen-braucht-Zeit" sehr wohl seine Vorteile, zumal es Wissen festigen kann, andererseits treibt es auch die Kosten in die Hoehe.

Zum Lernen Zeit lassen

Dennoch: Seminare mit festem Stundenlimit fuehren nicht zum Erfolg. Die Teilnehmer, so zeigen die Erfahrungen, brauchen Zeit, um das Erlernte noch waehrend des Unterrichts zu diskutieren. Dies hat das Moskauer IT-Zentrum von HP beruecksichtigt und damit gute Ergebnisse erziehlt. Derzeit besuchen monatlich etwa einhundert Personen die Kurse. Die Nachfrage ist gross, so dass das Programm kuerzlich erweitert wurde. Angeboten werden nun auch firmenspezifische Lehrgaenge vor Ort.

Kuenftig will HP mit seinem Bildungskonzept "quer durch das Land reisen" und unter anderem Grosskunden in Wladiwostok und Nowosibirsk bedienen.

*Der Autor ist Schulungsleiter bei Hewlett-Packard.