Parallelverarbeitung auf der fünften Rechnergeneration

Für Japaner sind Superrechner strategische Schlüsseltechnologie

01.03.1991

Sehr gering ist die Information über das Supercomputing in Japan, bedingt schon durch die Sprachbarriere. Uwe Harms* versucht im folgenden Beitrag, das Wissen aus verschiedenen Quellen zusammenzuführen.

Wie in den USA wird auch in Japan das Supercomputing als Schlüsseltechnologie für eine Vielzahl strategischer Industrien gesehen. So förderte ja auch das Japanische Handelsministerium (Miti) Aktivitäten auf dem Gebiet der Parallelverarbeitung, des Supercomputing und bei den Rechnern der fünften Generation (künstliche Intelligenz) mit sehr viel Geld. Die japanischen Rechnerhersteller arbeiteten gemeinsam an den neuen Entwicklungen. Durch diese konzertierte Aktion gelang es den drei Herstellern Fujitsu, Hitachi und NEC, innerhalb kurzer Zeit sehr leistungsfähige Rechner auf den Markt zu bringen.

Schon im Sommer 1982 wurde die VP-Serie von Fujitsu und die S-810-Serie von Hitachi angekündigt. Der erste VP-Rechner in Europa, eine VP-200, wurde übrigens knapp drei Jahren später (April 1985) bei der

Industrieanlagen-Betriebsgesellschaft in Ottobrunn von Siemens installiert, jetzt gehört sie zum Debis Systemhaus. Die Ankündigung dieser Maschinen mit hervorragenden Leistungsdaten bezüglich Rechengeschwindigkeit sowie Haupt- und Erweiterungsspeichergrößen sorgte für große Unruhe in den USA. Dort sah man die Vorherrschaft auf diesem Gebiet gefährdet.

Inzwischen haben die japanischen Hersteller schon ihre dritte Generation auf den Markt gebracht, Fujitsu von der VP-Serie über die VP-EX jetzt die VP2000 (im Siemens Sprachgebrauch S-Serie), NEC von der SX-1 über SX-2 zur SX-3 mit 22 Gflops Spitzenleistung bei einem Vierprozessor-System un 2 GB Hauptspeicher. Dabei wurden Leistung und Hauptspeicher erheblich vergrößert. Beispielsweise beim VP200 von Fujitsu wuchs die Leistung von 530 Mflops über 850 Mflops beim VP200-EX auf 2 Gflops beim Einprozessor-S400 - oder 4 Gflops beim Doppelprozessorsystem - von 1984 bis 1991. Das S600-Doppelprozessor-System soll dann 10 Gflops schaffen. Entsprechend verhält es sich bei der Hauptspeichergröße, die von 256 MB bis hin zu 2 GB reicht. Bei Cray war die Entwicklung nicht so stürmisch, von 160 Mflops bei der Cray 1 entwickelte sich die Leistung über 220 Mflops bei der X-MP-Serie hin zu 330 Mflops bei den Y-MP-Rechnern. Die C 90 als Nachfolgesystem der Y-MP wird in Kürze erwartet und dürfte 1 Gflop Leistung pro Prozessor erreichen.

Nachdem nun Cray einen Vorsprung in der moderaten Parallelverarbeitung (vier-, acht-, demnächst 16-Prozessorsysteme) herausgeholt hatte, und zwar hardware- und softwaremäßig (Multi-, Mikro, Autotasking), bieten auch die japanischen Hersteller wie NEC (vier Prozessoren) und Fujitsu (zwei Vektor- mit vier Skalarprozessoren) Parallelrechner an. Über die liegen aber noch keine Erfahrungen bezüglich Parallelverarbeitungsmöglichkeiten vor.

Die Japaner hatten von Anfang an auf mehrere arithmetische oder multifunktionale Pipelines gesetzt und damit bei komplizierten Operationen in Schleifen bei großen Vektorlängen sehr hohe Rechenleistungen erzielt - ein Konzept, dem mittlerweile auch Cray folgen will. Interessant ist auch der Aspekt, daß sowohl Cray als auch die japanischen Rechnerhersteller auf massive Parallelität vertrauen. So können wir wohl in absehbarer Zeit Vielprozessor-Systeme von allen Anbietern erwarten. Überraschend ist es hier, daß noch keine japanischen Minisupercomputer angeboten oder zumindest angekündigt werden, nachdem Cray sich auch diesen Markt erschließen will.

Wie sieht es nun in Japan mit den dort installierten Systemen aus, wie viele sind es, welche Hersteller sind vertreten und in welchen Bereichen werden sie genutzt? In Japan sind zwischen 140 und 150 Supercomputer in Betrieb, gegenüber 26 Rechnern im Gebiet der "alten" Bundesrepublik. Den überwiegenden feil stellt Fujitsu mit etwa 70 Rechnern, Hitachi folgt mit rund 30 S810/820-Systemen auf Platz zwei. Daran schließt sich Cray mit mehr als 23 Supercomputern an, auch NEC soll mindestens diese Zahl nach einer älteren Kundenliste ausgeliefert haben. Schließlich müssen noch die beiden ETA-Rechner erwähnt werden.

In Japan hat sich die Industrie erheblich stärker dieser neuen Technologie zugewandt, dort scheint Supercomputing für die Großunternehmen schon ein Alltagswerkzeug geworden zu sein. Nach einer Aufstellung der US-Fachzeitschrift "Datamation" werden 50 Prozent der Rechner im Hochschul- und Großforschungsbereich eingesetzt, ein Drittel im Elektronikbereich und bei informationstechnologischen Dienstleistungsunternehmen und 23 Prozent in der Schwer- und Automobilindustrie. Die chemische Industrie in Japan verfügt über acht Rechner, das sind etwa 6 Prozent. Sogar im Finanzwesen werden drei Supercomputer genutzt.

Überträgt man diese Aufteilung auf Deutschland, so gehören 66 Prozent der Rechner in den Hochschul-Großforschungs-Behördenbereich sowie 20 Prozent in den Automobil und Dienstleistungsbereich (die beiden Debis Systemhaus Supercomputer). Acht Prozent der Supercomputer nutzen Elektronik und Rechnerhersteller (die Rechner bei Siemens beziehungsweise Siemens-Nixdorf) und jeweils vier Prozent der Rechner kommen in der Exploration (Prakla-Seismos) und Gummiindustrie (Continental) zum Einsatz. Hier gibt es sicher noch einiges nachzuholen, insbesondere im industriellen Bereich.

Sieht man sich nun einmal genauer die Verteilung der Rechnertypen bei Fujitsu an (Stand etwa vor einem Jahr), so waren

derzeit schon mehr als fünf VP2000 bestellt, fünf Rechner der VP 400-Klasse, etwa zwölf Rechner der VP200-Klasse, sechs Rechner der VP100-Klasse, 23 Systeme der VP50-Klasse und 21 Rechner der VP30-Klasse. In den Zahlen sind beide Rechnergenerationen enthalten, und zwar die VP- und die VP/EX-Serie.

Eine ähnliche Verteilung ist bei NEC zu erkennen, auch hier viele kleinere Vektorrechner der SX-1-, SX-1E-, SX-1EA-Serie. Die japanische Industrie steigt wohl gerne erst einmal kleiner und preiswerter in die numerische Simulation ein, um dann aufzurüsten. So sind von den VP50-Rechnern nur zwei in Europa verkauft worden, wovon nur noch einer in Betrieb ist. Die VP-30-Systeme wurden hier gar nicht verkauft, obwohl ja die Skalareinheit vergleichbar einer IBM 3090 und der Vektorprozessor in der Spitze genauso leistungsfähig wie der IBM-Vektorzusatz ist.

Was weiterhin auffällt ist, daß die Rechner ziemlich lange betrieben werden. So war Anfang letzten Jahres der VP200 an der Universität Nagoya seit 1983 in Betrieb, ähnliches gilt auch für Industrieunternehmen. Wenn man sich in Deutschland die Tabelle der Supercomputer ansieht, so haben manche Rechenzentren schon die dritte Generation in Betrieb, wie DLR Cray 1, Cray X/MP und Cray Y/MP. Die Universität Karlsruhe arbeitet mit Cyber 205, VP400 EX und S 400. Debis Systemhaus mit Cray-X/MP und Cray-Y/MP.

Im Gegensatz zu Japan hat sich das Supercomputing in Deutschland noch nicht auf breiter Front und vor allem noch nicht im industriellen Bereich durchgesetzt. Werden hier die Möglichkeiten der numerischen Simulation noch unterschätzt?