IT im Handel/Internet-Handel: mal lukratives Geschäftsmodell, mal Serviceleistung

Für Große nur ein Vertriebsweg - für Kleine eine Geschäftsausweitung

08.05.1998

American Online (AOL) berichtete zu Jahresbeginn, daß sich das Volumen der Online-Transaktionen im Weihnachtsgeschäft im Vergleich zum vorangegangenen Jahr glatt verdoppelt hat. Einige Experten bewerten dies vorsichtig als ersten Durchbruch des Electronic Commerce. Sehr viel bemerkenswerter als das gestiegene Handelsvolumen ist die Zusammensetzung der nachgefragten Waren: Standen 1996 Hard- und Softwareprodukte im Vordergrund, so rangierten im Weihnachtsgeschäft 1997 Bücher, Blumen, Unterhaltungselektronik, Kleider und ähnliches. Die meistgefragten drei Produkte in den USA: Blumensträuße, Kaffeeprodukte und abgepackte Steaks.

Natürlich läßt sich eine Industrie, die kaum vier Jahre alt ist, schwerlich mit etablierten Geschäftsmodellen vergleichen. Die notwendigen Investitionen in Electronic Commerce und das Internet werden sträflich unterschätzt. Den meisten Unternehmen sind selbst heute noch die fundamentalen Implikationen des elektronischen Handels etwa auf der Geschäftsprozeßebene nicht wirklich klar. Der Investition ins Front-end, das heißt Web-Design, Kundenschnittstelle, Produktkatalog etc. steht ein vielfacher Aufwand im Back-Office-Bereich gegenüber, in dem kritische Geschäftsprozesse neu gestaltet werden müssen. Was passiert, wenn ein Kunde elektronisch bestellt, dann einen Brief mit einer Frage verschickt und nebenher noch in einer Zweigstelle vorbeischaut, um sich zu erkundigen, wie es um seine Bestellung steht? Welches Unternehmen hat seine Prozesse so weit integriert, daß sie als medienneutrale Prozesse Realität geworden sind?

Im Infrastrukturbereich gewinnen in erster Linie große ISP-Anbieter (ISP = Internet Service Provider), die aufgrund von Skalenvorteilen in der Lage sind, trotz kleinster Gewinnmargen das Internet-Zugangsgeschäft profitabel zu gestalten. Als Folge dieser Entwicklung vollzieht sich eine Konsolidierung des Marktes, in deren Verlauf nur einige wenige Große überleben werden.

Daneben steht das Geschäft mit den Endgeräten und der Software, was sich insbesondere in der jüngsten Zeit ebenfalls zum Niedrigmargengeschäft entwickelt hat. Im Hardwarebereich finden heftige Preiskriege statt, und Innovationen wie der Netzwerk-PC haben ihren Weg in einen breiten Anwendermarkt noch nicht gefunden. Im Softwaresegment ist im Browsermarkt entgültig kein Geld mehr zu verdienen, nachdem nun auch Netscape seinen Navigator kostenlos verteilt. Unternehmen wie IBM und SAP, aber auch innovative Startups wie Intershop, Open Market oder Broadvision erzielen hier durch Electronic-Commerce-Lösungsangebote vernünftige Umsätze in Millionenhöhe. Trotzdem werden meist noch keine Gewinne erwirtschaftet, da die erzielten Umsätze noch immer nicht die Anfangsinvestitionen decken.

Als drittes und sicherlich mittelfristig attraktives Segment finden sich Serviceleistungen rund um Electronic Commerce, etwa Zertifizierungsservices, Clearing und Settlement. Clearing und Settlement sind traditionell Leistungen der etablierten Banken und Kreditkarteninstitute, die sie auch künftig dominieren dürften. Trotzdem ist mittelfristig eine fortschreitende Spezialisierung im Bankensektor zu erwarten, in dem, vergleichbar mit Direktbanken, stark fokussierte Spezialanbieter mit Electronic-Commerce-spezifischen Serviceangeboten den Markt entwickeln - mit der Folge, daß einige der etablierten Banken an diesem Markt nicht partizipieren werden.

Obwohl Zertifizierungsservices ein wichtiger Baustein des Electronic Commerce sein werden, ist heute noch nicht abzusehen, wieviel Geld damit zu verdienen ist. Belastet man den Kunden oder den Händler mit den Kosten der Zertifikaterstellung und -verwaltung? Bis heute liegen keine Zahlen darüber vor, ob dies ein in sich lukratives Geschäftsmodelll sein kann oder ob es eine Serviceleistung sein wird, die von einer öffentlichen Institution wie einer Zentralbank oder einem dafür benannten Notariat erbracht wird?

Konzentrieren wir uns daher auf handelstypische Geschäftsmodelle, in denen die eigentliche Geschäftstransaktion im Vordergrund steht: Direktvertrieb beziehungsweise -marketing von Produkten und Dienstleistungen.

Es ist offensichtlich, wieso sich die Vorteile des elektronischen Handels umgekehrt proportional zur Größe des Unternehmens entwickeln. Ein kleineres Unternehmen erschließt sich mittels Electronic Commerce eine Reichweite seiner Geschäftstätigkeit, die bisher einzig Großunternehmen vorbehalten war. Daher sind bei kleineren Unternehmen Umsatzsteigerungen zwischen 15 und 40 Prozent im Jahr erzielbar. Großunternehmen hingegen sind in der Mehrzahl bereits global ausgerichtet und haben sich globale Vertriebsstrukturen erschlossen. Für sie stellt der elektronische Vertrieb einen zusätzlichen Distributionskanal dar, der gerade mal ein bis zehn Prozent zum Gesamtumsatz beiträgt.

Heute steht für Großunternehmen eher der kostensenkende Aspekt des Electronic Commerce im Vordergrund als das Potential zur Erschließung neuer Märkte. Beispielsweise konnte General Electric Lighting durch den Einsatz von Electronic-Commerce-Tools im Beschaffungssektor ein jährliches Einsparvolumen von mehr als vier Millionen Dollar erwirtschaften. Das amerikanische Postunternehmen U.S. Postal Services startete im Dezember vergangenen Jahres ein Pilotprojekt, mittels Electronic Commerce Briefmarken zu verkaufen - mit dem Ziel der Kostenreduktion.

Im Gegensatz dazu stehen die Geschäftsaktivitäten kleinerer Unternehmen, oftmals auch Neugründungen, die innovativ neue Märkte erschließen: Virtual Vineyards in Los Altos, Kalifornien, verkauft per Internet Wein für Tausende von Dollar pro Monat. Mittlerweile liegt der Umsatz bei mehr als 110000 Dollar pro Monat. HotHotHot aus Pasadena, Kalifornien, erzielt mit scharfen Soßen einen jährlichen Umsatz von mehr als 70000 Dollar.

Darüber hinaus stellt Electronic Commerce eine Plattform zur Informationsbeschaffung und Vorbereitung der Kaufentscheidung dar. So entsteht ein indirektes Umsatzpotential, da die Umsätze letztlich über traditionelle Kanäle realisiert werden. Dies findet man insbesondere im Bereich von Gütern mit Touch-and-feel-Charakter.

Allerdings ist festzustellen, daß sich heute selbst einige Pionierunternehmen des Electronic Commerce von ihrem bisherigen Erfolg nur begrenzt begeistert zeigen. Es ist für kleinere Unternehmen, wenn überhaupt, nur mittels hoher Werbeaufwendungen möglich, im chaotischen Web die Attribute einer Marke zu entwickeln. Die klaren Strukturen von Diensten wie T-Online oder AOL liefern an dieser Stelle sehr positive Impulse.

Im kontrovers diskutierten Werbeeinnahmenmodell werden interessante Inhalte kostenfrei für den Nutzer angeboten, um darüber eine hohe Zahl von "Eyeballs" für sich zu gewinnen. Werbetreibende Unternehmen werden dann als Kunden gewonnen und auch in Fragen der Gestaltung interaktiver Werbung beratend unterstützt. So verzeichnet AOL in seiner Inhalt-Web-Seite mehr als 150 Millionen betrachtete Seiten pro Tag.

Double Click, eine der führenden Werbeagenturen im Internet, hat kürzlich selbst erste Zweifel am Werbemodell erhoben. Nur 19 Millionen Dollar Umsatz in den ersten neun Monaten des vergangenen Jahres, seien im Verhältnis zum Gesamtmarkt verschwindend gering. Die Migration von Werbeumsätzen traditioneller Werbeträger zu Electronic Commerce vollzieht sich weder in puncto Umfang noch in puncto Geschwindigkeit, wie gemeinhin angenommen. Es bleibt offen, in welchem Umfang durch das neue Medium zusätzliche Werbeumsätze generiert werden.

Werbeumsätze mit traditionellen Medien wachsen seit Jahren mit einer gleichmäßigen Rate von zirka fünf Prozent. Das Internet als Werbemedium weist Wachstumsraten von bis zu 50 Prozent auf, jedoch sind die absoluten Umsatzzahlen mit zirka 300 Millionen Dollar im Jahr 1996 noch nicht sehr ermutigend. Trotzdem erwartet Morgan Stanley Dean Witter Research einen mittleren Anstieg auf nahezu vier Milliarden Dollar bis zum Jahr 2000.

Der Internet-Werbemarkt ist bereits heute hochkonzentriert, denn einige wenige Unternehmen realisieren den Großteil der Umsätze. Jupiter Communications schätzt, daß die Top-40-Web-Seiten rund 80 Prozent der heutigen Umsätze repräsentieren. Wieviel Platz bleibt da für kleinere Anbieter, mittels Werbung eine Finanzierung ihrer Web-Investitionen zu amortisieren?

Ungeachtet der Akzeptanz der Internet-Werbung auf Anwender- beziehungsweise Konsumentenseite ist dies für Werbeagenturen hinsichtlich der Kosten ein äußerst attraktives Medium. Bis zu 70 Prozent der Agentur-Werbeumsätze im Verlagswesen werden an den Werbeträger für Druck- und Distributionskosten weitergereicht. Im Web agiert die Agentur selbst als Verlag und vermeidet so einen Großteil dieser Kosten.

Bei aller Skepsis ist der Wirkungsgrad von Online-Werbung nicht zu unterschätzen. Das Beispiel des amerikanischen Telefonserviceanbieters Tel-Save belegt dies eindrucksvoll: In einem 24stündigen Online-Marketing-Test mit AOL auf Basis von Pop-up-Werbung und Banners gewann das Unternehmen nahezu 27000 neue Abonnenten. Dies ist der Beginn einer breit angelegten Online-Werbekampagne mit AOL.

Die Versuche, Kunden für die Nutzung von Inhalten zur Kasse zu bitten, waren und sind noch immer eine der schwierigsten Lektionen des Web.

Derzeit wendet sich das Blatt. Nach einer Testphase von Nur-Werbung-Modellen implementiert eine zunehmende Zahl von Anbietern eine kombinierte Strategie zwischen Werbung und Abonnement.

So schätzt Forrester Research zwar das Online-Werbepotential auf zirka 2,2 Milliarden Dollar im Jahr 2000, die Subskriptionsumsätze zur gleichen Zeit jedoch nur auf 156 Millionen Dollar.

Als Argument für diese miserablen Perspektiven im Abonnementgeschäft wird meist der kostenlose Charakter des Internet angeführt. Während dies sicherlich den gegenwärtigen Nutzern entgegenkommt, stellt es sich für andere Zielgruppen und Angebote völlig anders dar.

Das "Wall Street Journal Interactive" ist mit seinem Nur-Abonnenten-Angebot im Internet das klassische Beispiel eines sowohl auf Angebots- wie Nachfragerseite fokussierten hochwertigen Services. Trotzdem haben weitere Anbieter damit begonnen, erneut Abonnementgebühren in ihre Geschäftsmodelle zu integrieren. "Slate", das Internet-Journal von Microsoft, dürfte nur eines der aktuellsten Beispiele sein, das kostenlose Basisangebote mit einem Abonnentenmodell für hochwertige Inhalte kombiniert.

Der geschäftliche Bereich unterscheidet sich wesentlich vom Privatmarkt. Dort ist spielen der Informationswert sowie Zeit und Opportunitätskosten für den Informationszugang eine zentrale Rolle. Dies liefert den Fachinformationsanbietern einen Wettbewerbsvorteil, den einige Unternehmen bereits erfolgreich für sich nutzen.

In diesem Bereich des Electronic Commerce findet sich häufig "Trial-and-Error". Die getesteten Modelle reichen von einfachen fixen Monatsgebühren bis zu mehrstufigen Subskriptionsmodellen, die für nahezu jede Anwenderkategorie ein geeignetes Preismodell offerieren. Ein Modell, das bisher meist an der Komplexität der Abrechnung scheiterte, ist die nutzungsabhängige Abrechnung.

"News Page", ursprünglich als kostenloser Informationsdienst konzipiert, begann vergangenes Jahr Subskriptionsgebühren zu verlangen. Schenkt man diversen Quellen Glauben, wurden 1997 immerhin mehr als 250000 Dollar Subskriptionsumsatz erzielt. Aber auch dieser Informationsdienst lebt nicht von diesem Modell allein, sondern erwirtschaftet darüber hinaus Werbeeinnahmen.

Ein weiteres Segment in diesem Markt sind die Finanzinformationsdienste, die erfolgreich ein Modell aus kostenlosen Basisdiensten, etwa zeitversetzten Börseninformationen und Premiumdiensten implementiert haben. Zu den führenden Anbietern zählt E

Trade. Der Info-Dienst hat im ersten Quartal seines aktuellen Finanzjahres einen Umsatz von mehr als 50 Millionen Dollar erzielt, doppelt soviel wie im vergangenen Jahr.

Vier Modelle

Welche Branchen und Unternehmen verdienen im Internet mittels Electronic Commerce Geld? Und mit welchen Leistungen erzielen sie ihre Umsätze?

Vor dem Hintergrund der Rollenverteilung zwischen Anbieter und Vermittler (Facilitator) beziehungsweise Dienstleister haben sich bisher vier wesentliche Geschäftsmodelle herausgebildet:

-Infrastrukturumsätze;

-Direktvertrieb beziehungsweise -marketing von Produkten und Dienstleistungen;

-Werbeumsätze;

-Subskriptionsmodelle für Inhalte.

Angeklickt

Der elektronische Handel findet statt, auch wenn er noch in seinen Anfängen steckt. Namhafte, aber auch unbekannte Unternehmen erzielen Gewinne im Internet. Jedoch ist der Weg dorthin sehr schwierig. In vielen Segmenten hat sich der Wettbewerb von Internet-Angeboten intensiviert und die Margen nach unten gedrückt. Skalenvorteile werden damit zum Erfolgsfaktor - neben effizienter Logistik sowie einem umfassenden Marketing- und Servicekonzept.

Thomas Mörsdorf ist Senior Manager ber Arthur D. Little International, Berlin.