Kommunikation oft nur mit DV möglich

Für Behinderte ist der PC mehr als bloß ein Hilfsmittel

18.12.1992

In der täglichen Arbeit ist der PC schon lange ein selbstverständliches Instrument. Viele können ohne ihn schlichtweg ihre beruflichen Aufgaben nicht erledigen. Den meisten ist jedoch die Tatsache nicht bewußt, daß manche Menschen ohne PC nicht nur arbeits-, sondern auch kommunikations- und damit bildungsunfähig sind. Claudia Schulz zeigt am Beispiel der Initiative des Berliner Kommhelp e. V. auf, welche Möglichkeiten die moderne Datenverarbeitung für Behinderte bietet.

Durch die sinkenden PC-Preise und den Einzug der Computertechnik in immer mehr Bereiche des Lebens wachsen für schwerbehinderte Menschen die Chancen auf ein Ende ihrer Isolation und damit auf ein selbstbestimmtes Leben, auf Ausbildung und sinnvolle Tätigkeit. Der 1989 gegründete Berliner Verein Kommhelp widmet sich Behinderten mit spastischer Lähmung, Muskelschwund oder Behinderung infolge von Herzinfarkt und anderen Erkrankungen. Insbesondere Menschen, deren Sprechfähigkeit nicht oder nur sehr schwach ausgeprägt ist, lernen bei Kommhelp, via PC und Datenübertragungstechnik zu kommunizieren.

Dafür stehen verschiedene, den speziellen Bedürfnissen angepaßte, technische Hilfsmittel zur Verfügung. Dazu gehören Spezialtastaturen für Fußbedienung oder Sensoren, die die Bewegungen der Augenlider oder des Mundes umsetzen können.

Neben solchen rein technischen benutzen die Betroffenen auch spezielle Hilfssoftware. Damit wählt der Nutzer beispielsweise die Zeichen des Alphabets aus einer über ein Bildschirmfenster laufenden Zeichenfolge an der entsprechenden Stelle durch Anklicken mit dem Kinn aus. Das ist zwar mühselig, aber nach einiger Übung sind die Betroffenen relativ schnell in der Lage, Programme oder Texte zu schreiben. Am Anfang steht natürlich das Erlernen des Alphabets. Dafür gibt es ein Programm, das die Symbole der internationalen Behindertensprache Bliss in geschriebene Worte umwandelt.

Entwicklungsarbeiten im Bereich der Hilfssoftware erbringt Kommhelp gemeinsam mit verschiedenen Kooperatoren wie dem Psychologischen Institut der FU Berlin, der Gesellschaft zur Förderung angewandter Informatik oder dem Letteverein. Es ist leicht vorstellbar, daß mit der Fertigkeit des Lesens und Schreibens, die den Behinderten mit Hilfe des PC vermittelt wird, die Beurteilung der intellektuellen Fähigkeiten des Einzelnen überhaupt erst möglich wird. Menschen, die nicht sprechen können, galten bislang als nicht bildungsfähig. Mit Kommhelp haben sie eine Chance, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen.

Einer der Kommhelp-Schüler konnte sich mittlerweile so weit im System Autocad qualifizieren, daß er nun plant, Architektur zu studieren. Wenn man sich vorstellt, was dieser Behinderte ohne die Ausbildung bei Kommhelp in seinem Leben hätte erreichen können, wird die Dimension der Hilfeleistung des Vereins sichtbar.

Eines der Ziele von Kommhelp ist die Schaffung von Heimarbeitsplätzen in der Datenverarbeitung. Derzeit werden zwölf Schüler mit jeweils zehn bis 15 Wochenstunden von drei Lehrern bei Kommhelp nach dem Learning-by-doing-Prinzip ausgebildet.

Um neue Produkte aus der Softwarebranche, von Computerherstellern und aus der Telekommmunikations-Industrie auf ihre Nutzungsmöglichkeiten für Behinderte hin zu untersuchen, ist Kommhelp ständig auf der Suche nach entsprechenden Kontakten. Die Ergebnisse der Erprobung finden Eingang in die Datenbank "Rehadat" vom Deutschen Institut für Wirtschaft in Köln und sind dann von dort aus bundesweit abrufbar. Anfragen an Rehadat bearbeitet der Verein mit Online-Suchabfragen über Datex-P.

Kommhelp bemüht sich, als Dienstleister den schmalen Geldbeutel des Vereins aufzufüllen. So bietet der Verein verschiedene Informationen aus Datenbanken an, die er selbst aufgebaut hat. Alles über Rollstühle - Hersteller, Kosten, Modifizierungsmöglichkeiten - oder was es an technischen Hilfen zur Kommunikation auf dem deutschen und europäischen Markt gibt, ist von Kommhelp abrufbar. Eine für die Wirtschaft allgemein nutzbare Informationsquelle ist die Computerbild-Bibliothek, wo Bilddateien im GIF-Format zu verschiedensten Themen zu finden sind.

Berlin-City-Guide mit wichtigen Informationen

In Vorbereitung befindet sich der Berlin-City-Guide, der alle Daten über die Stadt aufnehmen soll, die für Behinderte wichtig sind, beispielsweise Informationen über öffentliche Verkehrsmittel, über verschiedene Hilfsangebote oder über die Ämterstruktur der Stadt. Um Pflege und Ausbau der Datenbanken kümmern sich die Behinderten, abrufbar sind die gespeicherten Informationen über Datex-P.

Im Dezember 1992 erhält der Verein den lang erwarteten ISDN-Anschluß. Damit wird es möglich, sechs PCs und zwei Telefone gleichzeitig in das Datenbank-Informationssystem einzubinden. Zum einen verbessert sich damit der Service, zum anderen wird eine exakte Abrechnung der Gebühren für erteilte Auskünfte möglich.

Kommhelp sucht übrigens für diese Dienstleistungen dringend einen Spender für ein Laufwerk für wiederbeschreibbare CDs. Zum Spektrum der Dienstleistungen, die Kommhelp der Wirtschaft anbietet, gehört auch das Bearbeiten von Aufträgen von DV-Anwendern. Die Kommhelp-Mitglieder erledigen alle Arbeiten, bei denen der Zeitfaktor nicht die wichtigste Rolle spielt und die relativ einfach zu bewältigen sind, so zum Beispiel das Randern von Bildfolgen für Computeranimationen, Formatieren von Disketten oder die Pflege von Dateien. So verwaltet Kommhelp den Presseverteiler für das Berliner Haus der Weltkulturen.

Die Kapazität des Vereins ist noch nicht ausgelastet, die Warteliste der interessierten Behinderten ist lang, aber es fehlt an staatlicher Förderung. Arbeitsamt, Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales und das Landesversorgungsamt schieben jeweils den anderen vor, wenn es um die Zuständigkeit zum Bereitstellen von Fördermitteln geht.

Über Rollstühle diskutiert keiner mehr, sie sind selbstverständlich. Für den PC jedoch als Lebensinstrument Behinderter fehlt in den öffentlichen Verwaltungsstuben noch das rechte Verständnis. Anders zum Glück in der Wirtschaft. Offenbar ist die Einsicht in den Sinn von Behinderten-PCs hier stärker ausgeprägt und die Bereitschaft zur Förderung auch entsprechend größer.

So konnten in der Initiative "Ein PC überwindet Handicaps" die Berliner Unternehmen STS und Acomtech Hard- und Softwarehersteller aus dem gesamten Bundesgebiet finden, die mit Technikspenden den Verein unterstützten.

Dank dieser Spenden konnte im September dieses Jahres ein Novell-Netzwerk mit sieben PCs in Betrieb genommen werden, das allen Nutzern verschiedene Telekommunikationsdienste zur Verfügung stellt und neue Formen von Gruppenarbeit ermöglicht. Damit können Bliss-Benutzer untereinander kommunizieren, was vorher nicht möglich war. Die Selbständigkeit der Behinderten wächst zum Beispiel um die Möglichkeit, Briefe in Bliss zu schreiben, die dann in unserer Sprache gedruckt werden. Das Maß an benötigter fremder Hilfe reduziert sich.

Die Behinderten können in alle Welt faxen, sich verständlich machen, teilhaben am gesellschaftlichen Leben. Trotzdem droht dem Verein ständig das finanzielle Aus. Kommhelp zählt bis heute nur 44 Fördermitglieder. Mit dem Erteilen von geeigneten Aufträgen kann der Kommhelp e.V. wirksam und sinnvoll gefordert und fördert werden.

Interessenten wenden sich bitte an: Kommhelp e V., Jochen Scherer, Zietenstr. 1, 1000 Berlin 30, Telefon 030/2612432, Konto: Postgiro Berlin 1447-15109, BLZ 100 100 10