1990 wird zum Jahr der Entscheidung für den PC-Datenbank-Spezialisten

Für Ashton-Tate geht es mit Dbase IV Version 1.1 ums Ganze

24.11.1989

MÜNCHEN - Ein viel zu spät und voller Fehler ausgeliefertes Dbase IV, schrumpfende Marktanteile und massive Verluste - Ashton-Tate, vor wenigen Jahren noch Quasi-Monopolist bei PC-Datenbanken, steckt in einer existenzbedrohenden Krise.

Als Dbase IV nach vielen Verzögerungen Anfang dieses Jahres endlich auf den Markt kam, hagelte es barsche Kritik - zu groß, zu langsam, zu viele Fehler und enttäuschend, was die SQL-Fähigkeiten angeht. "Dbase IV Version 1.0 ist Ashton-Tates Exxon Valdez. Alles hängt davon ab, wie gut sie die Sauerei wieder beseitigen", giftete der renommierte amerikanische Dbase-Spezialist Adam Green, den Ashton-Tate selbst als Mann für ungeschminkte Wahrheiten angeheuert hat.

Die amerikanische Zeitschrift Business Week nannte das Programm ein "Geschenk Gottes für die Konkurrenz". Die Folge, erst der Verzögerungen, dann der mißratenen Software, waren Kurseinbrüche an der Börse und ein Verlust von hochgerechnet 28 Millionen Dollar in diesem Jahr. Allein im letzten Quartal fehlten 19,4 Millionen in der Kasse (siehe auch CW Nr. 46, Seite 33).

Zu lange hatte sich der Marktführer bei PC-Datenbanken auf den Lorbeeren von -Dbase II und Dbase III plus (ein Dbase I hatte es nie gegeben) ausgeruht und sich mit der Akquisition eines bunten und wenig ergiebigen Software-Sortiments verzettelt. Ob das integrierte Paket Framework, die Textverarbeitung Multimate oder die Grafik-Software der Master-Serie: Über einen Achtungserfolg kamen auch die erfolgreicheren der Neuerwerbungen nie hinaus. Mehr als 60 Prozent des Umsatzes, Schätzungen sprechen sogar von über 75 Prozent, erbringt nach wie vor Dbase mit weltweit 2,5 Millionen registrierten Benutzern.

Vier Jahre war lang Dbase III plus unverändert auf dem Markt, ehe mit Dbase IV das Nachfolgermodell kam - eine Ewigkeit im schnellebigen Markt der PC-Software. Die Konkurrenz, allen voran Borland mit seinem "Paradox", nutzte die Zeit. Unangefochtener Marktführer ist Ashton-Tate zwar noch immer, der Abstand jedoch wurde deutlich geringer.

Die International Data Corp. (IDC) schätzt, daß das Unternehmen in diesen vier Jahren ein Drittel seines Marktanteils verlor. Von 68,4 Prozent im Jahre 1985 sank er auf 45,2 Prozent im letzten Jahr. Dbase IV, das diese Entwicklung hätte stoppen sollen, hat sie fürs erste nur noch beschleunigt: 1989, vermuten die Marktforscher von Dataquest, stürzte Ashton-Tates Anteil auf gerade noch 35 Prozent.

Vor allem die Unzahl von "Bugs" in der neuen Software vergrätzte selbst treue Kunden. Das ging von einem Eingangsbildschirm, in dem der Hersteller selbst als "Ashton-Tade" firmierte, bis zu "Systemhängern" und zerstörten Daten. Hinter vorgehaltener Hand hörte man in den USA von Firmenangehörigen, Dbase IV 1.0 sei "not meant for real use".

Für zusätzliches böses Blut hatte im Vorfeld bereits eine Klage gesorgt, die das Unternehmen gegen Fox Software wegen Copyright-Verletzung anstrengte. Der Hersteller Dbase-kompatibler Produkte ("Foxbase") für DOS-, Unix- und Macintosh-Rechnerplatte auf der "Comdex", der größten amerikanischen PC-Messe, im Herbst 1988 eine Vorabversion seines neuen "Foxpro" vorgestellt, die, zumindest vom Erscheinungsbild her, dem im Original noch gar nicht erhältlichen Dbase IV wie ein Ei dem anderen glich.

Was daran verärgerte, war weniger die Klage in diesem speziellen Fall, sondern vor allem die Drohung von CEO Edward M. Esber jr., alle Hersteller Dbase-kompatibler Software der Reihe nach vor Gericht zu bringen. Das war vor allem gegen Nantucket ("Clipper") und Wordtech ("dBXL", "Quicksilver") gerichtet, die wie Fox seit Jahren die dringenden - und von Ashton-Tate ignorierten Kundenwünsche nach einem Dbase-Compiler und einer Fülle von Erweiterungen der Dbase Programmiersprache befriedigten.

Angesichts der Tatsache, daß Ashton-Tate nach wie vor keinen Compiler anbieten kann, würde ein solcher juristischer Feldzug im Erfolgsfalle das Ende von Dbase als Programmiersprache für den professionellen Einsatz bedeuten - und damit auch das Ende für eine große Zahl kleiner und kleinster Softwarehäuser. Noch ist nichts entschieden, das Image des Marktführers jedoch hat bereits spürbar gelitten. Viele werteten die Drohung mit rechtlichen Schritten als das Eingeständnis, technisch im Wettbewerb nicht mehr mithalten zu können.

Nicht nur Börse und Kundschaft scheinen das Vertrauen verloren zu haben, sondern offenbar auch viele der Mitarbeiter. Seit einiger Zeit, berichtet Business Week, werden kalifornische Softwarehäuser von Bewerbungen entnervter AshtonTate-Angestellter regelrecht überschwemmt. Alle verbliebenen Hoffnungen richten sich jetzt auf 1990. Noch im ersten Quartal soll Dbase IV Version 1.1 erscheinen. Und dieses Mal, verspricht CEO Edward M. Esber jr., "werden wir ausgiebiger testen". Weil ein neues Debakel tödlich sein könnte, verläßt man sich erstmals nicht mehr ausschließlich auf die hausinterne Qualitätssicherung, sondern führt einen Beta-Test durch ein Verfahren, das bei den meisten Firmen der Branche seit langem Usus ist.

Test auf Herz und Nieren

Zwei Monate lang wird eine größere Zahl externer, professioneller Anwender das neue Produkt auf Herz und Nieren testen, allein in Deutschland zwei Dutzend. Wenn nötig, so Albert Beckmann, bei der deutschen Ashton-Tate GmbH zuständig für die Datenbank-Produkte, wird diese Phase verlängert, bis man sicher sein kann, keine unliebsamen Überraschungen mehr zu erleben.

Wie viele Fehler in der Version 1.0 bislang gefunden wurden, ist nicht zu erfahren. "Mehr als vierzig" seien es schon gewesen, die genaue Zahl jedoch "Würde die Anwender einsetzen" - unnötigerweise, wie Ashton-Tate meint, weil eine summarische Zahl viele unbedeutende Programmfehler mit wenigen schwerwiegenden zusammenwerfen würde. Ein "Bug-Report" in der deutschen Kundenzeitschrift des Herstellers jedenfalls erstreckt sich über elf Seiten.

Trotzdem legt die deutsche Tochtergesellschaft großen Wert auf die Feststellung, daß die deutsche Ausgabe von Dbase IV nicht identisch sei mit dein amerikanischen Original. Bei der Übersetzung und Anpassung der 1.0 nämlich seien, wie Firmensprecher Volker Brümmer betont, bereits viele der im Original enthaltenen Fehler entdeckt und bereinigt worden. Die deutschen Anwender hätten deshalb auch wesentlich weniger Probleme mit dem Produkt als die amerikanischen.

Deutsche Tochter schreibt schwarze Zahlen

Die bessere Qualität der nationalen Version schlägt sich auch im Geschäftsergebnis nieder. Anders als die Muttergesellschaft schreibt die deutsche Tochter schwarze Zahlen. Die Umsätze, so Brümmer, sind in diesem Jahr sprunghaft um 72 Prozent gegenüber 1988 gestiegen. Bei einem Anteil von 65 bis 68 Prozent am deutschen PC-Datenbankmarkt werde die GmbH damit, als erfolgreichste , Auslandstochter, zwischen 15 und 18 Prozent zu den Gesamteinnahmen des Unternehmens beisteuern.

Weil der größte Teil der Dbase-Klientel laut Ashton-Tate noch immer die alten XT-Modelle der zweiten PC-Generation im Einsatz hat, für die Dbase IV in der ursprünglichen Form zu groß, sprich zu speicherintensiv ist (zumindest bei einem Einsatz im Netz), wird die Version 1.1 jetzt in zwei Varianten erscheinen - in einer Normalausgabe, die auch auf XTs läuft, sind in einer, "Server Edition", die "expanded" wie "extended memory" nutzen kann (das ist der nur bei Rechnern der AT-Klasse mögliche Speicher jenseits der klassischen DOS-Grenze von 640 KByte) und über eine SQL-Schnittstelle zu dem gemeinsam mit Microsoft vermarkteten SQL-Server für OS/2 verfolgt.

Erscheinungstermine noch nicht festgelegt

Auf Erscheinungstermine für die 1.1-Versionen will man sich allerdings noch nicht festlegen. In den USA wird damit gerechnet, daß die Normalausgabe Anfang 1990 auf den Markt kommt. Die deutsche Version könnte dann eventuell schon zur CeBIT, spätestens aber im zweiten Quartal verfügbar sein. Die "geringfügig teurere" Server-Edition wird ein Vierteljahr später erwartet. Anwender der 1.0 sollen für maximal 60 Mark auf die bereinigte (Normal-)Version umsteigen können. Eventuell, die Entscheidung daher ist noch nicht gefallen, gibt es den tipdate, wie für die USA schon versprochen, auch gratis.

Vor allem von der Server-Edition, die ursprünglich schon im ersten Quartal '89 hätte erscheinen sollen, werden große Dinge erwartet.

Ashton-Tate wie Microsoft hoffen, daß sich das "ausgezeichnete Interesse" am SQL-Server dann endlich auch in Verkaufszahlen niederschlägt. Microsoft hat sogar ein doppeltes Interesse daran: Weil der SQL-Server nur unter OS/2 läuft, könnte sein Erfolg auch dem Betriebssystem den lange vermißten Auftrieb verleihen.