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Fünf Jahre nach VoiceStream - Telekom erwägt wieder Großzukäufe

16.08.2005

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Die Deutsche Telekom erwägt erstmals seit fünf Jahren wieder einen Großzukauf in zweistelliger Milliardenhöhe. In den vergangenen Wochen verhandelte das Bonner Unternehmen mit dem niederländischen Telekomkonzern KPN über einen gemeinsamen Kauf des britischen Mobilfunkanbieters O2. Die Gespräche blieben zwar erfolglos, doch Telekom-Chef Kai-Uwe Ricke kann eine grundsätzliche Bereitschaft zu einer Großakquisitionen nicht mehr verhehlen. Die Londoner Börse zwang ihn mit einer Anfrage zu O2, Farbe zu bekennen. Nach Einschätzung von Experten hätten die Deutsche Telekom und KPN für O2 insgesamt rund 20 Milliarden Euro auf den Tisch legen müssen.

Den gescheiterten Großeinkauf in Großbritannien werten Experten als einen Strategiewechsel der Telekom. "Wenn man sich für solche Größenordnung stark macht, deutet dies auf eine Abkehr von der moderaten Akquisitionspolitik", sagt Helaba-Analyst Holger Bosse. O2 wäre eine andere Kategorie als der österreichische Mobilfunker tele.ring, den die Telekom für 1,3 Milliarden Euro schluckt. Ricke selbst übte in den vergangenen Tagen den Spagat. Einerseits räumte er ein, dass sich die Telekom "natürlich mit allen Opportunitäten" beschäftige. Anderseits betonte er bei der Vorstellung der Halbjahres-Bilanz des Konzerns: "Wir sind sehr diszipliniert unterwegs".

Spielraum für Einkäufe hat der Bonner Konzern mit einem rigiden Sparkurs zurück gewonnen, dem auch tausende Arbeitsplätze zum Opfer fielen. Der riesige Schuldenberg, der sich Anfang 2003 noch auf gut 64 Milliarden Euro belief und größer war als ein Jahresumsatz, wurde um rund ein Drittel auf 44,5 Milliarden Euro verkleinert. Doch die finanziellen Kräfte bleiben begrenzt, die Telekom steht damit vor weit reichenden Weichenstellungen. Was hat Vorrang? Ein breit angelegter Ausbau des US-Mobilfunknetzes, Großübernahmen in Westeuropa und eine rasche Expansion in Osteuropa dürften nicht gleichzeitig darstellbar sein. Experten meinen, allein die US-Mobilfunknetze könnten bis zu zehn Milliarden Euro verschlingen.

Zum begrenzten finanziellen Spielraum kommen die Verflechtungen in der europäischen Telekombranche noch hinzu. Bei fast jeder Übernahme-Variante gibt es Überschneidungen. Die alleinige Übernahme von O2 wäre für die Telekom auch deshalb nicht möglich, weil sie in Deutschland auf einen Mobilfunk-Marktanteil von knapp 50 Prozent käme und das den Wettbewerbshütern kaum schmackhaft gemacht werden könnte. Deshalb liefen die Gespräche mit KPN nach Meinung von Branchenkennern auf eine Zerschlagung des O2-Konzerns hinaus, bei der sich die Telekom in Großbritannien und KPN in Deutschland bedient hätte. Dem Vernehmen nach wurde man sich aber nicht handelseinig. Bitter wäre auch der Wegfall von UMTS-Lizenzen, die sehr teuer ersteigert worden waren.

Das Übernahmekarussell in der Telekombranche ist nach jahrelangem Stillstand wieder in Schwung gekommen. In den vergangenen Monaten kaufte France Telecom für 6,4 Milliarden Euro den spanischen Mobilfunker Amena und Finanzinvestoren den italienischen Mobilfunker Wind (Transaktionswert zwölf Milliarden Euro). Am Ende könnten in Europa vier bis fünf große Telekomunternehmen übrig bleiben, meinen Experten. Dem Übernahmetrend könne sich der Konzern nicht entziehen, meint ein hochrangiger Telekom-Manager. Aktionärsschützer und Analysten der Banken heben aber den warnenden Zeigefinger: Augenmaß ist gefragt. Die Übernahme des US-Mobilfunkers VoiceStream war mit einem Kaufpreis von rund 50 Milliarden Dollar der teuerste der Konzerngeschichte. (dpa/tc)