Führungskräfte: Vom Vorbild zum Coach

26.11.2004
Von Gabriele Müller
Unternehmen benötigen Manager, die den Wandel vorantreiben. Sie zu förden kann sich richtig lohnen.

Führungskraft sein, was heißt das heute eigentlich? Um die Anforderungen zu verdeutlichen, die an diese Spezies Mitarbeiter gestellt wurden und werden, greift Susanne Stehr, Geschäftsführerin der Firma Strategie M Unternehmensberatung GmbH aus Hamburg, auf zwei Bilder aus der Architektur zurück. Für den Unternehmensalltag von gestern wählte sie auf dem dritten Personalentwicklungskongress von Management Circle in Köln ein Gebäude von Walter Gropius. Die Architektur des Bauhaus-Gründers sei streng, klar, übersichtlich: "Einfache Strukturen, unternehmerische Führung, nationale Märkte und linearer Fortschritt waren kennzeichnend für die Betriebe in der Vergangenheit."

Mitarbeiter nahmen Führungspositionen ein, weil sie beruflich erfahren, fachliche Ex-perten, loyal gegenüber dem Unternehmen, kurz: ein Vorbild waren. Für den Unternehmensalltag von heute, der gekennzeichnet ist durch komplexe Strukturen, Globalisierung, Dynamik und Flexibilität, steht beispielhaft ein Gebäude des österreichischen Künstlers Friedensreich Hundertwasser. Runde Ecken, wenige gerade Flächen, verschlungene Wege, bunte Vielfalt zeichnen seine Architektur aus. "Wie die Unternehmen selbst, so haben sich auch die Anforderungen an die Führungskräfte geändert", beobachtet Stehr. "Gefordert sind Change-Manager, die Entscheidungen ermöglichen, lebenslanges Lernen unterstützen, interkulturelle Kompetenz besitzen und vernetzt denken können." Vom Vorbild zum Coach der Mitarbeiter - Führungskräfte machen einen Rollenwandel durch, so ihre Schlussfolgerung.

Hohe Erwartungen an Chefs

Diese Coaches brauchen selbst einen Coach. Bisher werde von Führungskräften zwar viel erwartet, was sie genau leisten sollten, sei aber unklar: "Sicher haben viele Unternehmen Führungsgrundsätze, aber die stehen häufig nur in Hochglanzbroschüren", kritisierte Stehr. "Dabei ist die Förderung von leitenden Mitarbeitern eine wichtige Voraussetzung zum Erreichen der Unternehmensziele."

Standortbestimmung, etwa in Form von Assessment- oder Development-Centern, individuelle Karriereplanung, Qualifizierung und eben Coaching sieht die Diplomkauffrau als Bausteine eines Gesamtkonzepts: "Damit lässt sich ein wettbewerbsfähiges Management-Team aufbauen, das auch innerbetrieblich etwas verändern kann."

Gute Unternehmen fördern ihre Mitarbeiter. Das ist, kurz zusammengefasst, das Ergebnis einer branchenübergreifenden aktuellen Studie der Management-Beratung Hewitt Associates. Sie untersuchte 320 amerikanische Firmen, darunter 20 mit zweistelligem Umsatzwachstum, die sie mit den nur einstellig wachsenden Unternehmen verglich. Das Ergebnis: Unabhängig von der Branche fördern die erfolgreichen Umfrageteilnehmer ihre Führungskräfte stärker und gezielter. Sie haben individuelle Maßnahmen zur internen Suche und Förderung von Talenten eingeführt und bieten von der Jobrotation bis zum Mentorenprogramm ein weites Spektrum an. High Potentials werden in allen Abteilungen frühzeitig erkannt und unterstützt.

Wie sich solche Ansätze verwirklichen lassen, erläuterte in Köln Gert Stiehler, Leiter der Personalentwicklung der Euler Hermes Kreditversicherungs-AG. Die Versicherung gehört zur Allianz Gruppe und ist ein Traditionsunternehmen, dessen Wurzeln fast 90 Jahre zurückreichen. Im Laufe der Firmengeschichte fanden immer wieder Umstrukturierungen statt, zuletzt vor wenigen Jahren, als die beiden Kreditversicherer Euler in Paris und Hermes in Hamburg die gemeinsame Holding Euler & Hermes SA mit Sitz in Paris gründeten, das weltweit größte Versicherungsunternehmen auf diesem Gebiet.

Dabei wurden auch firmeninterne Führungs- und Hierarchieebenen neu gestaltet. "Wir wollten unseren Mitarbeitern zwei Wege des beruflichen Aufstiegs eröffnen - eine Fach- und eine Führungslaufbahn", erklärte Stiehler. Der Einstieg erfolgt über ein Potenzialeinschätzungs-Verfahren und ein sich daran anschließendes Management-Programm.

Rund zwölf Monate dauert dieses Programm, das sich an qualifizierte Sachbearbeiter richtet und die künftigen Fach- und Führungskräfte für das Unternehmen auf ihre Funktion vorbereiten soll. "Wir machen von Anfang an klar, dass wir ein hohes Engagement erwarten, immerhin findet ein großer Teil des Programms in der Freizeit statt", so Stiehler.

Individuelle Förderung

Die ermittelten Stärken und Schwächen der Teilnehmer bilden die Basis für die individuelle Förderung. "Unser Ziel ist es, Mitarbeiter auf ihre erste Führungs- oder Fachposition vorzubereiten, aber auch die Leistungsfähigkeit und -bereitschaft zu erhöhen und qualifizierte Kollegen an unser Unternehmen zu binden", zählte der Personalexperte auf. Das geschehe mit diesem internen Programm seit fünf Jahren, wobei sich Vorträge und Diskussionsforen, Projektarbeit, Trainingsblöcke und individuelle Betreuung abwechseln. "Bei der Projektarbeit legen wir Wert darauf, dass sie einen konkreten Nutzen und Bezug zum Unternehmen hat", erläuterte der Personalentwickler.

In den Trainingsblöcken wechseln Themen wie Projekt-Management, Moderation von Gruppen, Personalführung, Konflikt-Management, strategisches Management, Kreativitätstechniken oder Marktorientierung miteinander ab. Betreut werden die Teilnehmer während dieser Zeit von ihren Führungskräften, dem Fachmentor für die Projektarbeit, einem Coach und der Personalentwicklung.

Auf Führungsjobs vorbereiten

Gut 100000 Euro pro Programm kalkuliert die Euler Hermes AG an Kosten für diese Entwicklungsmaßnahme, die bis jetzt 30 Mitarbeiter durchlaufen haben. "Fast alle haben eine neue Position gefunden, sei es auf der Fach- oder der Führungsebene", bilanzierte Stiehler. "Die neuen Fach- und Führungskräfte, die an dem Management-Programm teilgenommen haben, fühlen sich besser auf ihre Funktion vorbereitet, und sie haben ein Netzwerk bereichsübergreifender Kommunikation aufgebaut, das auch nach Abschluss der Maßnahme erhalten bleibt."

Dennoch denkt Euler Hermes über Verbesserungen nach. Kritik der Teilnehmer gab es wegen der zu großen Zusatzbelastung. "Außerdem überlegen wir gerade, ob auch eine stärkere fachspezifische Ausrichtung sinnvoll ist", sagte Stiehler. Und schließlich soll die Gleichwertigkeit der beiden Laufbahnen in der offiziellen Benennung der Funktionen besser abgebildet werden. "Auch darüber diskutieren wir gerade."

Auch Gerd Schäfer, Diplompädagoge und unternehmensinterner Coach der Helvetia Versicherungen, glaubt ebenfalls, dass Führungskräfte Coaching brauchen. Schließlich ist er selbst den Weg vom Trainer zum Coach gegangen. "Den Ausschlag gab eine Unzufriedenheit auf beiden Seiten - bei den Teilnehmern meiner Schulungen und bei mir", erinnerte sich Schäfer auf dem Kongress. "Bei allen Diskussionen um Führungsthemen mussten wir immer wieder feststellen, dass die Theorie einfach doch nicht zur Praxis passte."

Aus dieser Unzufriedenheit und dem Bedürfnis nach "Individualberatung" heraus entwickelte Schäfer für die Führungskräfte des Unternehmens eine Coaching-Methode, die er "Perspektivenwechsel" nennt. Manager können dabei ohne Angst vor Gesichtsverlust einzeln oder in der Gruppe eine andere Position, etwa die der Geschäftsführung, einnehmen, um einen neuen Blickwinkel auf Themen zu bekommen. Durch die unbedingte Vertraulichkeit kann der Teilnehmer Verhaltensweisen ausprobieren oder Argumente auf ihre Wirkung prüfen. (hk)