siemens stellt sein "management learning programm" vor

Führungskompetenz in einer Woche?

01.07.1999
Die Qualifizierung von Führungskräften sieht Matthias Bellmann als einen integralen Bestandteil der Arbeitsprozesse an. Young-Professional-Autorin Ina Hönicke* fragte den Siemens-Personalentwickler, wie das funktioniert.

young professional In Ihrem Unternehmen werden weltweit jährlich rund 1000 junge Leute zu Führungskräften ausgebildet. Was ist das Neue an Ihrem "Management Learning Programm"?

bellmann Unsere Führungskräfte der verschiedenen Level - vom First-Line-Manager bis hin zum Top-Executive - entwickeln sich systematisch und gezielt weiter. Dabei bieten wir fünf jeweils einjährige Programme an. Während dieser Zeit bleibt die Gruppe zusammen. Allen Programmen gemeinsam ist der Einsatz neuer Medien und Distance-Learning-Methoden sowie die Arbeit an geschäftsrelevanten Projekten. Dabei lösen sich Phasen des Selbstlernens und der Teamarbeit ab.

young professional Nehmen an den Programmen Mitarbeiter aus unterschiedlichen Ländern teil?

bellmann Ja. Die meisten Programme sind mit Teilnehmern aus verschiedenen Ländern und Kontinenten besetzt - was die weltweite Netzwerkbildung innerhalb unserer Führungsmannschaft fördert. Außerdem sind die Struktur und die bearbeiteten Inhalte einheitlich, und zwar unabhängig davon, in welchem Land die Programme umgesetzt werden. So entwickeln wir gezielt global handlungsfähige Manager, die später überall auf der Welt einsatzfähig sind.

young professional Werden die Führungskräfte für diese Fortbildung freigestellt?

bellmann Keinesfalls. Jedes Programm findet tätigkeitsbegleitend statt. Die Teilnehmer sind lediglich während der Workshops nicht an ihrem Arbeitsplatz. Ansonsten eignen sie sich über Distance-Learning das erforderliche Fachwissen an und kommunizieren mit den Kollegen ihrer Lerngruppe über das Intranet.

young professional Das ist ja ein beachtliches Zeitinvestment, das die Teilnehmer hier erbringen müssen.

bellmann Richtig. Man muß jedoch bedenken, daß ein systematischer Kompetenzaufbau über einen längeren Zeitraum hinweg erfolgen muß. Nur so lassen sich Einstellungen und Verhaltensweisen nachhaltig verändern. Schließlich kann ein Unternehmen nicht lebenslanges Lernen zur Philosophie des Hauses erklären und dann potentielle Manager mit einer Kurzausbildung in eine leitende Aufgabe entlassen. Führungskompetenz in einer Woche vermitteln zu wollen, ist eine Utopie, auch wenn viele Seminaranbieter dies in ihren Hochglanzbroschüren versprechen.

young professional Handelt es sich hier um eine Siemens-spezifische Entwicklung?

bellmann Das Management Learning ist ein Siemens-spezifisches Aufbaustudium mit weltweiter Reichweite. Dabei arbeiten wir sehr eng mit der Business School der Duke University in North Carolina, USA, zusammen. Deren Referenten begleiten unsere Programme und beraten uns beim Inhalt und bei der didaktischen Aufbereitung der Themen. Wie wichtig dem Konzern dieses Führungsprogramm ist, sieht man daran, daß eineinhalb Jahre keine Interviews zu diesem Thema gegeben wurden. Das Management Learning Programm sollte erst einmal implementiert werden. Andere reden erst darüber - und implementieren dann.

young professional Warum hat Siemens dieses aufwendige Programm entwickelt?

bellmann Vor nicht einmal zwei Jahren gab es bei Siemens noch über 60 verschiedene Arten von Führungsseminaren. Die Manager wählten aus diesem Sortiment bei Bedarf nach Gutdünken ein Seminar aus und gingen dann für drei bis fünf Tage "auf Schulung". Konkret heißt das, sie waren weg vom Arbeitsplatz und lernten anhand von Modellen und Planspielen Dinge, die sich nicht unbedingt auf den Arbeitsalltag übertragen lassen. Heute sind wir davon überzeugt, daß Lernen und Arbeiten eng verzahnt sein müssen. Qualifizierung muß ein integraler Bestandteil der Arbeitsprozesse sein, nur dann kann der Transfer gelingen.

young professional Ihr Management Learning Programm hat also das Ziel, die Weiterbildung direkt in den Arbeitsprozeß zu integrieren. Wie sehen die einzelnen Schritte aus?

"Bedarf an Managern wirdeutlich steigen"

bellmann In der Vorbereitungsphase findet als Auftakt ein sogenannter Kick-Off-Workshop statt. Hier lernen sich die Teilnehmer zum ersten Mal persönlich kennen und entscheiden sich in Gruppen von vier bis sechs Personen für ein sogenanntes Business Impact Project, das sie dann während der nächsten Monate gemeinsam bearbeiten. Parallel dazu werden theoretische Themen festgelegt, die sich jeder im Laufe der nächsten Monate im Selbststudium und in virtuellen Teams erarbeiten wird. Die Materialien dazu werden über das Intra- und Extranet zur Verfügung gestellt, Diskussionen zu den Themen finden online statt. Die Gruppe trifft sich dann im Laufe des Jahres zu zwei weiteren Workshop-Wochen. In diesen diskutieren interne und externe Experten mit den Teilnehmern über unternehmensrelevante Themen wie Strategie, Marketing, Finanzierung oder Mitarbeiterführung.

young professional Was sind Business Impact Projects?

bellmann Es handelt sich hier um konkrete Probleme aus dem Unternehmensalltag. Die Teilnehmer müssen die Projekte, die sie bearbeiten möchten, selbst identifizieren und die entsprechende Führungskraft davon überzeugen, daß sie auch die Projektkosten trägt. Das Team hat dann vier bis sechs Monate lang Zeit, seine Aufgabe zu lösen und ein konkretes meßbares Ergebnis zu erzielen.

young professional Was versprechen Sie sich denn davon?

bellmann Diese Vorgehensweise birgt Vorteile für das Unternehmen und den Teilnehmer. Hier wird an ganz realen Geschäftsproblemen gearbeitet, und zwar von Personen, die nicht unmittelbar aus diesem Bereich stammen und unter Umständen Tausende von Kilometern entfernt voneinander leben und arbeiten. Die Lernenden sind hoch motiviert, denn ihre Projektergebnisse werden später auch umgesetzt. Die Resultate aus diesen Projekten stehen übrigens allen Kollegen im Konzern via Intranet zur Verfügung.

young professional Handelt es sich bei den Teilnehmern des Management Learning vorwiegend um Hochschulabsolventen?

bellmann Der überwiegende Teil sind in der Tat Hochschulabsolventen, denn diese Berufsgruppe macht einen immer höheren Anteil unserer Belegschaft aus. Viel wichtiger als die Vorbildung sind jedoch das individuelle Potential sowie die konkreten Aufgaben, die jemand später einmal übernehmen soll.

young professional Wie wird in Ihrem Konzern Führungspotential und -verhalten definiert?

bellmann: Führungspotential ist ein sehr komplexer Begriff und hat viele Dimensionen. Deshalb hat Siemens den "Führungsrahmen" entwickelt, der Ziele, Aufgaben und Kompetenzen der Führung detailliert beschreibt und zwar jeweils bezogen auf die Kategorien Geschäfts-, Mitarbeiter- und Selbstführung. Zu den Kompetenzen gehört Lernfähigkeit. Wichtig sind auch Analyse-, Gestaltungs- und Anpassungsfähigkeit sowie Durchsetzungsvermögen und Motivationsfähigkeit.

young professional Was wollen Sie mit diesem Führungsrahmen erreichen?

bellmann Ganz einfach - zum einen schaffen wir einen weltweit einheitlichen Standard, so daß das Verständnis von guter Führung bei Siemens in den USA dasselbe ist wie in Europa oder China.Somit wissen alle Führungskräfte, was das Unternehmen von ihnen erwartet. Sie können sich anhand der Kriterienlisten selbst einschätzen und von ihrem Vorgesetzten bewerten lassen. Die Führungsleistung wird meßbar gemacht.

young professional Inwieweit haben sich Führungsaufgaben bei Siemens in den letztenJahren verändert?

bellmann Wir haben es nicht mehr nur mit klassischen, hierarchischen Führungsaufgaben zu tun, vielmehr kommt es auf die Verantwortung als Projektmanager oder Teamverantwortlicher an.

young professional Kann man hier überhaupt noch von Führungsaufgaben sprechen?

bellmann Diese Aufgaben sind in gleicher Weise Führungsaufgaben, auch wenn sie Personalverantwortung auf Zeit bedeuten. Der Bedarf an modernen Managern wird deutlich steigen. Deshalb nehmen in unseren Programmen Kriterien wie Eigenverantwortung sowie die Bereitschaft, interdisziplinär zu arbeiten, einenbreiten Raum ein. Die Teilnehmer unseres Programms sollen für die vernetzte Arbeit fit gemacht werden.

young professional Ein Ziel Ihrer Seminare scheint es zu sein, daß Ihre Mitarbeiter konkret auf die virtuelle Arbeitswelt vorbereitet werden.

bellmann Ja. Das Programm an sich fördert ja schon die virtuelle Arbeitswelt. Schließlich finden weite Teile der Lernarbeit online statt. Auch die Kommunikation im Rahmen der Projekte erfolgt via Netz. Die Teilnehmer lernen somit, Vertrauen in die virtuelle Welt zu entwickeln. Dazu gehört aber auch eine entsprechende Disziplin in der Zusammenarbeit. Jeder muß sich darauf verlassen können, daß der Kollege seinen Part entsprechend pünktlich liefert. Nur so kann ein Unternehmen wie Siemens die Vorteile einer vernetzten Arbeitswelt nutzen.

*Ina Hönicke arbeitet als freiberufliche Journalistin in München.