Fuehrungsinformationssysteme (FIS) profitieren von der Forschung IAO: Wir testen die Systeme und entwickeln auch Prototypen

30.06.1995

Die Wissenschaft kaempft immer noch mit dem Vorurteil, Theorie und Praxis seien zwei grundverschiedene Welten. Dass betriebswirtschaftliche Forschung durchaus fuer Unternehmen, also in der Praxis, von Nutzen sein kann, zeigte das Fraunhofer- Institut fuer Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) mit einer Anwender- und Marktstudie ueber Fuehrungsinformationssysteme (FIS). Ueber die Rolle der Wissenschaft in diesem Sektor sprach Silke Ritterrath* fuer die CW mit Professor Dr. Hans-Joerg Bullinger, Leiter des Fraunhofer- Instituts fuer Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart.

CW: Seit wann beschaeftigen Sie sich mit Fuehrungsinformationssystemen?

Bullinger: Ungefaehr seit 1988. Unsere erste groessere Marktstudie wurde 1989 in "Capital" veroeffentlicht.

CW: Weshalb haben Sie 1993 eine weitere Studie nachgeschoben?

Bullinger: Wir hatten uns schon lange mit Kennzahlen und Kennzahlenbildung beschaeftigt. Es ging darum, interessierten Anwendern einen kompakten Ueberblick ueber die Anwendungsfelder zu zeigen und Unternehmen den Einstieg in FIS zu erleichtern. Wir wollten aber auch unsere Kompetenz in diesem Bereich zeigen und mit neuen Partnern ins Gespraech kommen. Vorrangig ist, die Anwender neutral zu beraten, das ist ein Muss. Sie sollen einen Ueberblick ueber den Stand der Technik, Anwendungsmoeglichkeiten und -konzepte bekommen. Nach dem Motto "Aus der Praxis fuer die Praxis" werden in der neueren Studie Erfahrungen anderer Unternehmen, Ziele, Vorgehensweisen, aber auch Huerden bei der Einfuehrung gezeigt. Die Reaktionen waren positiv; repraesentativ untersucht haben wir sie allerdings nicht.

CW: Aber Sie hatten doch Anfragen von Unternehmen, die ein Fuehrungsinformationssystem einfuehren wollen?

Bullinger: Das schon, aber keinen Auftrag fuer die Studie. Indes haben wir jetzt das klare Feedback, dass viele Anwender sie bei ihren Entscheidungen heranziehen.

CW: Und wie haben die Softwarehersteller reagiert?

Bullinger: Wir haben interessanterweise erfahren, dass viele Softwerker nicht von Deutschland aus die Entscheidungen ueber ihre Produktentwicklungen faellen.

CW: Wie kamen Sie zu ihren Informationen?

Bullinger: Wir haben einen repraesentativen Querschnitt der Produkte bei uns im Hause installiert. Wir testen und bewerten die Systeme, die uns meist kostenlos zur Verfuegung gestellt werden. Interessierte Kunden koennen sich diese Produkte auch ansehen. Wir entwickeln Prototypen, um die Leistungsfaehigkeit zu testen. Beispielsweise ein System fuer eine grosse Krankenkasse, wo zahlreiche Verfahren mit den spezifischen Randbedingungen evaluiert wurden. Darueber hinaus nehmen wir an Veranstaltungen, Seminaren und Schulungen teil und fuehren Gespraeche. Wenn wir einen signifikanten Schritt in der Weiterentwicklung erreicht haben, bieten wir auch selbst solche Veranstaltungen an.

CW: Wo liegen zur Zeit die groessten Probleme bei einer Einfuehrung?

Bullinger: Das ist sehr unterschiedlich. Wichtig ist natuerlich das richtige Produkt, ferner die Art des Umsetzungsprojektes und - konzeptes. Haeufig gibt es organisatorische und personelle Rueckwirkungen. Auf der Seite der Softwarehersteller herrscht eine hohe Komplexitaet, und es faellt ihnen schwer, Offenheit bezueglich der verschiedenen Basisdaten zu gewaehrleisten und die Pflege der unterschiedlichen Schnittstellen zuzusagen.

CW: Kann man trotzdem von einer Symbiose zwischen Wissenschaft, Herstellern und Anwendern sprechen?

Bullinger: Unsere Erfahrung ist, dass Zusammenarbeit am besten im Rahmen konkreter Projekte laeuft. Der Forschungsgegenstand Fuehrungsinformationssysteme ist keine Grundlagenforschung wie Parallelrechner, neuronale oder aktive semantische Netze. Die FIS- Forschung ist eine angewandte Forschung, in die wir unser Wissen aus anderen Grundlagenprojekten wie Datenbank- und Netzstrukturen, Schnittstellen und Transaktionsprozesse mit einbringen. Die Hersteller sind daran interessiert, unser Know-how aus den Projekten und uns als unabhaengige Berater einzubinden. Meiner Meinung nach gibt es hier durchaus eine Symbiose. Besonders bei grossen Projekten wird das deutlich.

CW: Kann die Wissenschaft dabei unabhaengig bleiben?

Bullinger: Das ist ein generelles Problem der Auftragsforschung und daher schwer pauschal zu beantworten. Der Geldgeber hat immer einen gewissen Einfluss, insbesondere in der angewandten Forschung. In der Grundlagenforschung kann man diesen Einfluss nicht gebrauchen.

CW: Und wie geht es weiter?

Bullinger: Eine enge Zusammenarbeit zwischen Anwendern und Herstellern wird notwendig bleiben. Begleitend dazu koennte die Wissenschaft als Katalysator oder Moderator fungieren. Da die Softwarehersteller meistens nur auf die Software fixiert sind, entsteht fuer uns eine Luecke. Anwender und Hersteller haben ein Interesse, die betriebswirtschaftlich und Management-orientierte Qualifikation des IAO zu nutzen.

Ein Beispiel dafuer ist Professor Rolf Hichert, der von uns zu McKinsey ging und erst danach sein Unternehmen MIK aufbaute, also von der Theorie in die Praxis steuerte mit der betriebswirtschaftlichen Orientierung bezueglich der FIS-Systeme. Hier gibt es immer noch einen grossen Forschungsbedarf. Ausserdem sind die betriebswirtschaftlichen Systeme in den Unternehmen zum grossen Teil veraltet. Grundsaetzliches wurde dort in den letzten Jahren nicht geaendert.

CW: Wo muss am dringendsten geforscht werden? Und koennten die Fuehrungsinformationssysteme davon profitieren? Welchen Einfluss koennen sie auf das Controlling haben?

Bullinger: Die Forschung hat einiges zu tun bei den methodischen Modellen. Die Unternehmen machen noch weitgehende Zuschlagskalkulationen mit Gemeinkostensaetzen und orientieren sich an Kostenstellen und Abteilungsgrenzen.

Jetzt arbeiten die Firmen an Business-Re-Engineering- und Lean- Management-Projekten, dadurch ist nicht mehr nur ein Controlling von Interesse, das auf das ganze Unternehmen wirkt. Jetzt ist ein, wie wir es nennen, Team-Controlling in den dezentralen Bereichen noetig. Darauf muss ein FIS reagieren. In diesem Bereich gibt es mehr FIS-spezifische Forschungsarbeit als bei der Technologie.

*Silke Ritterrath ist freie Journalistin in Heidelberg