Manager in der digitalen Transformation

Führung heißt Mut zur klaren Entscheidung

03.12.2017
Von  und Reza Moussavian
Marc Wagner ist Future-Work-Evangelist und ein ausgewiesener Experte rund um die Themen Future Work, New Work und Innovationskultur. Er ist Senior Partner und Global Head of Transformation, Peoplemanagement & Integral Business bei Detecon International, einer auf digitale Transformation spezialisierten Managementberatung. Seit mehr als 20 Jahren begleitet er Unternehmen bei der Gestaltung der digitalen Transformation. Er ist Autor diverser Publikationen und Studien rund um New Work und Innovationskultur.
Die Digitalisierung zwingt Führungskräfte in Unternehmen zu disruptiven, schnellen und klaren Entscheidungen. Doch vielen Managern fehlt es am Mut dazu. Warum dies so ist und weshalb eine falsche Entscheidung besser ist als gar keine, lesen Sie hier.
  • Vielen Unternehmen und Führungkräften ist der Mut zur Entscheidung verloren gegangen.
  • Die perfekte Führungskraft in der Digitalisierung ist der Entrepreneur - eine Synthese aus Manager und visionärem Leader.
  • Die digitale Transformation erfordert schnelle und konsequente Beschlüsse.

Neoliberalismus, Kommunismus und Digitalisierung wären ohne Führung nicht denkbar. Und selbst die Bibel und andere Religionsschriften behandeln das Thema Führung. Doch zurück zum Business: Die ersten Vordenker wie Comte, Taylor, Drucker haben mit der Berufsbeschreibung des Managers ein rationales Weltbild eingeführt. Es bietet eine Bedienungsanleitung dafür, wie Mitarbeiter zu führen sind, wie Führung regel- und prozesskonform betrieben wird und wie Ziele festzulegen sowie zu bewerten sind - kurzum die vollständige Entmystifizierung des Themas.

Eine Führungskraft muss das operative Geschäft effizient führen, aber als Visionär auch rechtzeitig einen neuen Kurs einschlagen.
Eine Führungskraft muss das operative Geschäft effizient führen, aber als Visionär auch rechtzeitig einen neuen Kurs einschlagen.
Foto: Jirsak - shutterstock.com

Führung - so die Lehre - ist nicht naturgegeben, sondern erlernbares Handwerkszeug wie Lesen oder Mathematik. Es bedarf dafür nur einer gewissen Ausbildung und individueller Fähigkeiten im Planen, Umsetzen und Kontrollieren. Führen wird dabei gerne im Kontext zweier Konzepte verwendet: zum einen die Führung des Managers und zum anderen die des Leaders. Der These des Managers als Bewahrer der operativen Betriebsfähigkeit steht die Antithese des visionären Leaders gegenüber. Letzterer ist zukunftsorientiert, charismatisch, innovativ sowie Unternehmer und Erneuerer in einer Person.

Digitalisierung und digitale Entgiftung

Doch das digitale Zeitalter ist gewissermaßen das Ei der postmodernen Henne, denn es gibt weder die eine Wahrheit noch den einen Weg. Vielmehr gilt heute: Adieu "Tyranny of OR", willkommen "Mastery of the AND" in allen Dimensionen. Mit anderen Worten: Die Digitalisierung des Alltags und "Digital Detox" koexistieren, ebenso wie Kosteneffizienz und Innovationslaune sowie hoch automatisierte Kundenserviceprozesse neben vollständig individualisierten Services. Eben in dieser Pluralität ist beides gefragt, nämlich der Manager und Leader in einem.

Die dialektische Synthese der beiden ist der Entrepreneur, ob im Startup oder einem etablierten Unternehmen, der disruptive Innovationen hervorbringen und gleichermaßen Effizienz sicherstellen soll. Er muss das operative Geschäft effizient führen und es gleichzeitig als Visionär strategisch weiterentwickeln beziehungsweise in Frage stellen. Es geht also sehr konkret um die Einhaltung von Zielen, aber anders als der Manager verfolgt der Entrepreneur eine gesamtunternehmerische Strategie der Wertschöpfung durch Zusammenarbeit, Disruption, Nutzerzentrierung, Fehlerkultur sowie Plananpassung und -änderung.

Legitimation für agile Teams, Holacracy & Co.

Um dieses "Entrepreneur-Gen" einzupflanzen, bieten viele Konzerne daher sogenannte Entrepreneurship-Programme mit Fokus auf High Potentials und Innovatoren an - neben dem berechtigten Kreis der Führungskräfte qua Amt. "There is a Leader in Every Chair" lautet gewissermaßen die provokante Formel, mit der neue Führungs- und Organisationsmodelle ihre Berechtigung erhalten, wie zum Beispiel agile Teams, Communities of Practice, Holacracy, Crowd Collaborators oder Special Interest Groups. Es geht hierbei immer um die Demokratisierung der Führungsrolle, eine Berufung fernab von Hierarchie und klassischen Karrierepfaden.

Das digitale Zeitalter fordert schwere Entscheidungen

Führung beinhaltet dabei viele Teilaspekte. Einer soll in diesem Beitrag aber besonders hervorgehoben werden, weil er die Nagelprobe für erfolgreiche Führung darstellt: nämlich die Fähigkeit zu entscheiden. Problem erkennen, Herausforderung annehmen, Kräfte fokussieren und letztlich: Entscheidung treffen: Dies stellt insbesondere im digitalen Zeitalter eine große Herausforderung dar, weil wir uns in einem immer komplexeren Umfeld bewegen. Exemplarisch seien hier die exponentielle Komplexität, Singularität, VUCA, zweite Halbzeit der Digitalisierung sowie Second Machine Age als Treiber genannt. Damit steigt die Zahl der Optionen und Verkettungen exponentiell an.

Die wirklichen Probleme zu erkennen und dabei Ursachen von Symptomen zu differenzieren, erfordert völlig neue Fähigkeiten (vgl. World Economic Forum). Zudem sind Problemstellungen nicht (mehr) eindeutig mit einer spezifischen (Fach-)Kompetenz zu lösen. Nehmen Sie zum Beispiel die Einführung von Bring-Your-Own-Device (BYOD), stellvertretend für nahezu jedes andere Unternehmensproblem: Arbeitsrecht, Mitbestimmung, Datenschutz, IT- Roadmap, IT-Security, Einkauf, Budgetierung, Business Case, Richtlinien, Steuerrecht, Kulturwandel und dadurch eine unüberschaubare Anzahl an Stakeholdern und Partikularinteressen. Ist BYOD eine Maßnahme, um Mitarbeiterwünschen entgegenzukommen? Oder ist es die Unfähigkeit der Unternehmens-IT, den Angestellten arbeitsfähige Werkzeuge bereitzustellen, die die individuelle Arbeitssituation optimal unterstützen? Mit welcher Annahme trifft ein Manager hier eine Entscheidung? Und gibt es überhaupt noch die EINE Führungskraft, die so etwas entscheiden würde beziehungsweise sinnvoll entscheiden kann?

Fehlentscheidungen auf dem goldenen Mittelweg

Die Komplexität eines Problems nimmt enorm zu. Man spricht von "Wicked Problems", für die Entscheidungen getroffen werden müssen. Im Deutschen fehlt es an einer angemessenen Übersetzung; wir sind dankbar für Vorschläge. Erschwerend kommt für deutsche Unternehmen hinzu, dass Risikoaversion und mangelnde Verantwortungsübernahme tief verwurzelt sind sowie Mut und Entscheidungsfreude durch den Hang zu Perfektionismus und Bedenken erdrückt werden. Die Angst vor falschen und richtungsweisenden Entscheidungen sowie entsprechend auf Konsens und Absicherung ausgerichtete Strukturen führen zu langwierigen Abstimmungsprozessen. Das Ziel ist dabei selten die "richtige Entscheidung", sondern vielmehr ein konsenstauglicher Kompromiss, bei dem Risiken und Fehlentscheidungen minimiert und potenziell negative Konsequenzen "sozialisiert" werden. Das Ergebnis ist dann meist der berühmte Mittelweg oder Mittelmaß, Gift in einer "the winner takes it all society", in der radikale und vor allem schnelle Veränderungen überlebensnotwendig sind und nach radikalen Innovationen sowie dem nächsten Big Thing gerufen wird.

Was beim Weltmeister Deutschland mit Kollektivfußball funktioniert, führt im Unternehmenskontext letztlich zu Zeit-, Kosten-, Innovations- sowie Wettbewerbsverlusten und im schlimmsten Fall zum Untergang des Unternehmens. Die Haltung, insbesondere schnelle und klare Entscheidungen zu treffen und für die Konsequenzen einzustehen, nimmt ab. Dabei bedeutet Führung in einem immer komplexer werdenden Kontext genau das: die richtigen Entscheidungen herbeiführen! Und dies in einer Geschwindigkeit, die mit dem stetig steigenden Disruptionsgrad in nahezu jeder Branche Schritt hält. Doch wie kann hier eine Lösung aussehen beziehungsweise was bedeutet "Entscheiden" in diesem Umfeld?

Ohne Ende-zu-Ende-Verantwortlichen geht es nicht

Das digitale Zeitalter geht einher mit sozialen Netzwerktechnologien, die Hierarchien durchlässiger machen und Unternehmen demokratischer. Man diskutiert über Unternehmensnetze, erhält Meinungsbilder und kann über Diskurskultur einen Entscheidungsprozess neu und partizipativ gestalten. Wicked Problems erfordern kein autoritäres Prinzip. Sie benötigen aber jenen "Ende-zu-Ende"-Verantwortlichen, in persona Führungskraft und Entscheider, der den Prozess zur Entscheidungsfindung moderiert, die richtigen Experten zusammenbringt und Informationen teilt, die von den Beteiligten bei der Entscheidung zu berücksichtigen sind. Diese Führungskraft sorgt für Transparenz, ein größtmögliches Maß an Objektivität und Teilhabe. Aber am Ende muss dann auch entschieden werden. Hier wird jedoch in Unternehmen zu oft der Fehler gemacht, dass keine Entscheidungen getroffen werden. Stattdessen wird dem ursprünglichen Problem noch mehr Komplexität hinzugefügt, um die Verzögerung für einen Produkt-Launch, für eine Go-Live Schaltung, für einen Strategiewechsel, für eine Personalie und vieles mehr hinauszuzögern. Auf diese Weise verschlackt die Unternehmenskultur und erstickt an der eigenen Trägheit.

Fazit

Es schadet einem Arbeitgeber langfristig mehr, wenn statt einer falschen Entscheidung gar keine getroffen wird. Und es schadet auch der Führungskraft in ihrer Vorbildfunktion für andere. Daher gilt es in Unternehmen konsequent eine "Entscheidungskultur" einzuführen und Führungskräfte wie Mitarbeiter dazu zu ermutigen, klare und schnelle Beschlüsse zu treffen und aus einer Kompromiss- und Mittelmaßkultur auszubrechen. Hier kommt auch die vielbeschworene Fehlerkultur ins Spiel. Wie gesagt, häufig ist es besser, einen Fehler zu begehen, als gar nicht zu entscheiden. Denn Fehler begangen zu haben, bedeutet in der "Silicon-Valley-Kultur", wirkliche Erfahrung gemacht zu haben, und nicht gescheitert zu sein. Um diese Denkweise zu ermöglichen, erfordert es eine klare Guidance der Unternehmensleitung und das Vorleben einer Entscheidungskultur. Sie muss das eindeutige Signal aussenden, dass am Ende nicht ein konsensorientierter Prozess oder eine mit allen Parteien diskutierte Idee im Vordergrund steht, sondern vielmehr eine konsequent getroffene Entscheidung. Denn nur diese hat letztlich einen Impact auf den Erfolg des Unternehmens. Nicht umsonst wurde schon vor Jahrzehnten an vielen Stellen vom "Strategy Execution Gap" gesprochen und versucht, dies durch neue Funktionen oder Organisationsmodelle umzusetzen - vielfach mit mäßigem Erfolg. Eine Entscheidungskultur bedeutet dabei letztlich auch, dass alle Prozesse, Meetings oder "Abstimmungsorgien", die diesem entgegenstehen, zu hinterfragen und im Zweifelsfall abzuschaffen sind. Haben Sie sich mal gefragt, wie viele Abstimmungen und Gremien in Ihrem Unternehmen wirklich klar zu einer (klaren) Entscheidung beitragen und welche nicht? Machen Sie einmal den Selbstversuch - es lohnt sich. Und dabei sprechen wir aus eigener Erfahrung.