Neue Geld-Diskussion in den USA

Führt Remote-Arbeit zu Gehaltsangleichung?

21.07.2022
Von 
Lucas Mearian ist Senior Reporter bei der Schwesterpublikation Computerworld  und schreibt unter anderem über Themen rund um  Windows, Future of Work, Apple und Gesundheits-IT.
Amerikanische Unternehmen sehen sich mit einem Dilemma konfrontiert: Bezahlen sie remote arbeitende Mitarbeiter genauso wie diejenigen, die in teuren Großstadtregionen leben? Für einige Firmen ist dieses Dilemma bereits Realität.
In den USA wird intensiv darüber diskutiert, wie hoch die Mitarbeiter zu bezahlen sind, die remote arbeiten und in der Provinz leben, also ganz andere Lebenshaltungskosten haben als die Kollegen etwa in San Francisco.
In den USA wird intensiv darüber diskutiert, wie hoch die Mitarbeiter zu bezahlen sind, die remote arbeiten und in der Provinz leben, also ganz andere Lebenshaltungskosten haben als die Kollegen etwa in San Francisco.
Foto: Andrey_Popov - shutterstock.com

Eine aktuelle Studie des Fintech-Startups Carta hat ergeben, dass die Gehälter von Mitarbeitern in Tech-Startups rund um Seattle inzwischen das Niveau derjenigen von San Francisco erreicht haben, und die gelten als besonders hoch.

"Da Remote-Arbeit mittlerweile Alltag ist, stehen Gründer zunehmend vor einer wichtigen Entscheidung: Sollen sie die Vergütung an den Firmenstandort anpassen?", fragt der Carta-Bericht. Und die Antwort folgt auf den Fuß: "Die große Mehrheit der Unternehmen (84 Prozent) berücksichtigt den Firmenstandort bei der Entscheidung über Vergütungspakete." Im Jahr 2019 befanden sich etwa 35 Prozent der neu eingestellten Mitarbeiter in einem anderen Bundesstaat als der Hauptsitz des Unternehmens. Im Jahr 2022 ist diese Zahl laut Carta bereits auf 62 Prozent gestiegen.

Standort spielt für einige Firmen keine Rolle

Startups mit einer geringeren Marktbewertung passen die Vergütung eher an den Standort an. Etwa ein Viertel der Unternehmen mit einem Wert von mehr als 500 Millionen US-Dollar entscheiden sich dafür, ihre Mitarbeiter unabhängig von ihrem aktuellen Standort gleich zu bezahlen, so Carta. "In der Carta-Datenbank für wagnisfinanzierte Startups sehen wir, dass sich die durchschnittliche Vergütung in vielen US-Städten auf die Vergütungssätze von San Francisco zubewegt", analysiert Peter Walker, Director of Insights bei Carta und Autor des Berichts.

Da sich die Untersuchung auf Startups konzentrierte, sei es weniger überraschend, dass sich die Gehälter auf nationaler Ebene eher angleichen, so Amy Stewart, Senior Content Marketing Manager bei Payscale, einem Anbieter von Cloud Compensation Management Software. "Technologie-Startups sind kleiner und agiler, und es gibt einen viel größeren Anreiz für sie, Kosten zu reduzieren und Wege zu finden, um Top-Talente anzuziehen", sagte Stewart. Vor allem IT-Fachleute würden von der Möglichkeit angezogen, flexibel und von zu Hause aus zu arbeiten.

Remote-Work-Angebot wird zum Muss für Arbeitgeber

In seinem 2021 State of Remote Work Report hat Payscale herausgefunden, dass durchschnittlich 43 Prozent der Mitarbeiter erwarten, dass Arbeitgeber nach dem Ende der Pandemie flexibles und ortsunabhängiges Arbeiten anbieten. "Diese Zahl steigt sogar auf 75 Prozent im Marketing und bei Werbefachleuten und bewegt sich bei 71 Prozent unter IT-Experten", so Stewart.

Die Payscale-Untersuchung ergab auch, dass vollständig remote arbeitende Beschäftigte mehr verdienen als Büromitarbeiter und dass erstere eine höhere Arbeitszufriedenheit und eine höhere Bindung an den Arbeitsplatz aufweisen als Nicht-Remote-Mitarbeiter. Anfang dieses Jahres hatte eine andere Payscale-Umfrage ergeben, dass 73 Prozent der Unternehmen befürchteten, Remote-Arbeit würde den Wettbewerb um Talente erschweren. Diese Befürchtungen hätten sich aber nicht bewahrheitet, denn in einer zweiten Umfrage im Juni klagten nur noch 47 Prozent der befragten Firmen Schwierigkeiten im Recruiting.

Gleiches Gehalt als Recruiting-Argument

In der Carta-Studie wird eingeräumt, dass die Zahl der Unternehmen, die für bestimmte Funktionen (vor allem im Ingenieurwesen) unabhängig vom Standort das gleiche Gehalt zahlen, immer noch gering ist. Firmen, die eine geografische Angleichung der Vergütung vornehmen, tun dies jedoch häufig "als Vergünstigung, um Mitarbeiter zu halten, die von kostengünstigeren Standorten aus arbeiten können, oder als Strategie, um neue Mitarbeiter anzuziehen", so Carta.

Tony Guadagni, Senior Principal in der Personalabteilung des Marktforschungsunternehmens Gartner, stellt fest, dass der Trend zum flexiblen Arbeiten die Zahl der Unternehmen erhöht hat, die Talente stärker auf der Grundlage ihrer Fähigkeiten und nicht aufgrund ihrer Nähe zu einem Bürostandort rekrutieren. Als Teil dieses Trends beobachtet Guadagni, dass eine landesweite Angleichung der Gehälter sehr wohl im Gange ist, die jedoch nur langsam stattfindet. "Es wird eine Angleichung der Vergütungen geben, zumindest mehr als jetzt. Ich erwarte aber nicht, dass es zu einem vollständig nationalen oder einheitlichen Marktpreis für alle Arbeitsplätze unabhängig von der geografischen Lage kommen wird."

Fakt sei, so Guadagni, dass der IT-Arbeitsmarkt der am stärksten nachgefragte sei und dass Arbeitgeber zum einen bereit sind, Mitarbeiter auch aus entfernten Regionen einzustellen und zum anderen diese überdurchschnittlich zu bezahlen. Allerdings: "Um das richtige Gesamtvergütungsangebot in einem neuen Markt zu finden, kann dies ein schwieriger Prozess sein", gibt der Gartner-Personalexperte zu bedenken. (hk)

Dieser Artikel basiert auf einem Beitrag unserer US-Schwesterpublikation Computerworld.