Gute Manager

Führen heißt Kommunikation auf Augenhöhe

10.07.2022
Von 
Dr. med. Mirriam Prieß ist Ärztin und gehört zu den führenden Unternehmensberaterinnen Deutschlands im Bereich Gesundheits-Management. Nach ihrem Medizinstudium an der Universität Hamburg mit Promotion im Bereich Psychosomatik und Weiterbildung in tiefenpsychologisch fundierter Psychotherapie war sie acht Jahre in einer Hamburger Fachklinik tätig. Behandlungsschwerpunkte waren Ängste, Depressionen und Burnout. Seit 2005 berät sie Unternehmen, ist im Einzelcoaching von Führungskräften im Konflikt- und Stress-Management tätig und hält Schulungen und Vorträge über Gesundheits-Management und Prävention mit Schwerpunkt Burnout.

Sie sagen, ein Dialog sei viel schwerer zu führen, als allgemein angenommen. Woran liegt das?

Mirriam Prieß: Haben Sie sich einmal gefragt, was die Grundvoraussetzung ist, um anderen auf Augenhöhe zu begegnen? Es ist die Fähigkeit, sich selbst auf Augenhöhe zu begegnen - und zwar nicht mit den eigenen Stärken, sondern auch den eigenen Schwächen. Die meisten Manager verlieren in dem Moment die Augenhöhe vor sich selbst, in dem sie mit den eigenen Defiziten konfrontiert werden. Dies führt nicht nur dazu, dass sie mit eigenen Schwächen nicht umgehen und ein Bewusstsein dafür entwickeln können, sondern ihnen fehlt dann auch das Verständnis für die Schwächen anderer.

Richtiger Umgang mit den eigenen Schwächen

Die Folge sind Verachtung, Ignoranz oder hilfloses Überreagieren. Und: Je höher die Management-Ebene, desto mehr verurteilen sich die Betroffenen für ihre Schwachpunkte, anstatt selbstbewusst daran zu arbeiten. Je schwächer das Selbstbewusstsein eines Menschen ist, umso bedrohlicher erscheinen ihm die Welten, die sich von seinen eigenen unterscheiden. Deshalb kleben diese Personen an der eigenen Position und ihrer vorgefertigten Meinung. Ohne es zu merken, schwächen sie sich dadurch in ihrem Selbstwert und somit auch in ihrer Dialogfähigkeit. Es gilt also die Regel: Eine Führungskraft ist nur so führungsstark, wie stark sie auch mit den eigenen Schwächen umgeht.

Was zeichnet eine starke Führungskraft aus?

Mirriam Prieß: Gute Führungskräfte verwechseln Stärke nicht mit Macht. Wer aus einer Stärke heraus führt, der wird seine Mitarbeiter stärken. Wer Macht ausübt, steuert seine Mitarbeiter sukzessive in die Ohnmacht und das Unternehmen in die Lähmung. Über 70 Prozent der Führungskräfte versuchen, die eigene Minderwertigkeit und innere Ohnmacht durch die Macht ihrer Position zu kompensieren, und verwechseln Macht mit Stärke.

Was raten Sie Führungskräften?

Mirriam Prieß: Da Erfolg nur im Miteinander zu erreichen ist, sind natürlich nicht nur dialogfähige Führungskräfte, sondern auch dialogfähige Mitarbeiter gefragt. Es gibt sechs Fragen, die sich jeder stellen sollte, bevor er ein Gespräch beginnt:

  • Begegne ich mir selbst und dem anderen auf Augenhöhe?

  • Kann ich den Gesprächspartner in seiner Person wertschätzen - unabhängig, ob er meine Meinung teilt?

  • Bin ich offen und interessiert an der Meinung des anderen?

  • Bin ich bereit, ihn verstehen zu wollen und meine Welt zu verlassen?

  • Bin ich interessiert an einem Wir - oder bedeutet das Gespräch für mich nur, meine Position durchzusetzen?

  • Bin ich bereit zu erkennen, dass die Dinge anders sind, als ich meine?

Während des Gesprächs gilt es dann zu überprüfen: Kann ich die Position des anderen emotional und rational wiedergeben, als wäre sie meine eigene? Wie gesagt, Dialog heißt nicht gleicher Meinung zu sein, wohl aber offen für die Meinung des anderen. Nur so kann ein starkes Miteinander entstehen.