Frueherer Alcatel-SEL-Vorstand Schroeder neuer Konzernchef Schweizer Telecom-Riese Ascom versucht sein zweites Comeback

19.05.1995

BERN/MUENCHEN (gh) - Die schon geraume Zeit vor sich hin kraenkelnde Ascom AG hofft jetzt auf bessere Zeiten. So konnte der Schweizer Telecom-Konzern im Geschaeftsjahr 1994 erstmals seit zwei Jahren wieder schwarze Zahlen verbuchen. Neben einer Reihe von Umstrukturierungsmassnahmen und der Rueckbesinnung auf sogenannte Kerngeschaeftsbereiche wollen die Eidgenossen vor allem im WAN- Markt wieder Flagge zeigen.

Lange Zeit hatte das betuliche Berner Unternehmen mit dem Ruf eines potentiellen Uebernahmekandidaten fuer Alcatel, Ericsson, Northern Telecom & Co. zu kaempfen. Heute haben jedoch die meisten der vermeintlich Grossen im Telecom-Equipment-Geschaeft selbst schon deutlich bessere Zeiten erlebt, waehrend man bei der Ascom AG wieder Licht am Horizont sieht. Was auch dringend notwendig ist, denn in den Geschaeftsjahren 1992 und 1993 haben die Eidgenossen kraeftig Miese gemacht; Verluste in einer Groessenordnung von 46 Millionen beziehungsweise 337 Millionen Schweizer Franken wurden in der jeweiligen Bilanz ausgewiesen.

Zu starke Diversifizierung fuer Probleme verantwortlich

Als Ursache fuer die Misere des Unternehmens gilt unter Experten der uebertriebene Expansions- und Diversifizierungskurs des ehrgeizigen frueheren Ascom-Chefs Vannotti, der den Konzern aus seiner im Prinzip auch heute noch zutreffenden Zwickmuehle befreien wollte: Ascom ist zu klein, um im (internationalen) Konzert der Grossen mitspielen zu koennen. Ergebnis der Aera Vannotti, der (nachdem aufgrund des rezessionsbedingten Ausbleibens lukrativer Inlandsauftraege sowie immensen Verlusten im Mobilfunkgeschaeft Umsaetze und Gewinne in den Keller rutschten) Ende 1993 seinen Hut nehmen musste, war ein unueberschaubares und zu aufwendiges Produktportfolio, das von Internetworking-Komponenten ueber Telefon-Nebenstellenanlagen, Mobiltelefone und Funkgeraete bis hin zu Postbearbeitungsmaschinen und Parksystemen reichte.

Zudem entpuppte sich der fruehere Ascom-Chef als leidenschaflicher Aufkaeufer mehr oder weniger lukrativer Firmen. Hoehepunkt einer Reihe von Akquisitionen war dabei im Sommer 1991 die Uebernahme des US-amerikanischen WAN-Spezialisten Timeplex - mit dem Ziel, dem Haus- und Hoflieferanten der Schweizer PTT Telecom technisches Know-how fuer die Wachstumsmaerkte bei Corporate Networks einzuverleiben.

Die damalige Neuerwerbung, heute bekannt unter dem Namen Ascom Timeplex, soll nun mehr denn je den Anspruch und den Erfolg des Unternehmens in zukuenftigen Wachstumsmaerkten untermauern. Daneben hat man sich in Bern unter dem Interims-Chef und frueheren Vannotti-Stellvertreter Fred Sutter schon Anfang 1994 einer selbstverordneten Abmagerungskur unterzogen, was vor allem die Rueckkehr zu den fuer Ascom klassischen Geschaeftsfeldern Telekommunikation, Enterprise Networks und Dienstleistungsautomation bedeutete.

Die Konzentration auf das sogenannte Core-Business scheint nun erste Fruechte zu tragen. So konnten die Ascom-Verantwortlichen vor kurzem anlaesslich der Bilanz-Pressekonferenz fuer das Geschaeftsjahr 1994 mit einem Konzerngewinn von immerhin 21 Millionen Schweizer Franken erstmals seit zwei Jahren wieder mit einem positiven Ergebnis aufwarten. Die erfolgten Desinvestitionen (man hat sich mittlerweile vom verlustreichen Geschaeft mit Kabelfernsehnetzen und von Teilen der Produktion von Mikroelektronik-Komponenten getrennt) sowie die Konzentration auf die Kerngeschaefte haetten eine positive Wirkung gezeigt, hiess es in Bern. Darueber hinaus wurde mit dem frueheren Alcatel-SEL-Manager Hans-Ulrich Schroeder, der sein Amt zum 1. Juli 1995 antreten soll, endlich der Chefsessel in der Berner Ascom-Zentrale neu besetzt.

Verluste verzeichnet indes immer noch der Geschaeftsbereich Enterprise Networks - aufgrund, wie es bei Ascom heisst, deutlich ueber dem Branchendurchschnitt liegenden Entwicklungsaufwendungen; Insider sprechen von 300 Millionen Mark allein im abgelaufenen Geschaeftsjahr. Diese Negativbilanz resultiert in erster Linie aus den Bemuehungen, aus der WAN-Tochter Ascom Timeplex, die einst zu den fuehrenden Anbietern bei Multiplexern und X.25- Paketvermittlungssystemen gehoerte, wieder eine Art Technologiefuehrer in Sachen Internetworking zu machen.

Dazu beitragen soll vor allem die neue Produktfamilie "Synchrony", ein (momentan verfuegbares) Bundle aus den Knotenrechnern "ST-1000" und "ST-50", mit dem die Eidgenossen auf der Basis von, wie sie es nennen,

"Express Routing" und "Express Switching" erstmals eine Komplettloesung fuer den Aufbau eines Hochgeschwindigkeits-Backbones zum Transport von Sprach-, Video- und Datensignalen anbieten. Mit gutem Erfolg, wie es scheint, denn nach Angaben der CW- Schwesterpublikation "Computerworld" ist Ascom mit seinen neuen WAN-Komponenten auf grosses Interesse bei grossen internationalen Netzbetreibern wie AT&T, Deutsche Telekom und Unisource gestossen.

Ascom Timeplex baut auf vorhandene Installationen

Erfolge im klassischen Carrier-Geschaeft duerften letztlich aber auch dem neuen Anspruch der Company, vom reinen WAN- zum WAN-LAN- Management-Hersteller zu avancieren, nicht abtraeglich sein. Dies jedenfalls ist das Ziel des neuen, fuer die Bundesrepublik zustaendigen Ascom-General-Managers James Adams, der im Gespraech mit der COMPUTERWOCHE auf die nach wie vor vorhandenen und nicht gerade kleinen Installationen von Ascom-Timeplex-Equipment - auch und gerade in Deutschland - hinwies. So zum Beispiel in einem Projekt bei der Landesverwaltung von Sachsen-Anhalt, wo auf der Basis des

"Access Routers" und des "Enterprise Routers" (beide Komponenten sind uebrigens in die Synchrony-Familie integriert) ein grosses Internetwork errichtet wurde.

Adams ist Chef der zu Beginn des Jahres neu gegruendeten, in Frankfurt ansaessigen Ascom Timeplex GmbH, die Konzern-Angaben zufolge die rechtliche Nachfolge der frueheren deutschen Dependance Ascom Corporate Networks GmbH antritt. Nachdem dieser Geschaeftsbereich im alles in allem schwierigen Geschaeftsjahr 1994 ein Umsatzvolumen von zwoelf Millionen Mark erzielen konnte, rechnet Adams bereits fuer das laufende Jahr mit schwarzen Zahlen. Ein Trend, der sich dann auch 1996 fortsetzen soll, wenn man mit der Markteinfuehrung neuer ATM-Switches die eigene Internetworking- Kompetenz unterstreichen will. Beim Absatz ihrer Produkte wollen die Eidgenossen in Zukunft in Deutschland ausschliesslich auf den sogenannten indirekten Vertrieb setzen und bauen dabei auf Partner wie die Deutsche Telekom, Controlware und Rheinelektra.