Freud und Leid mit Elster

19.08.2005
Von Lars Reppesgaard 
Eigentlich sollte die Elektronische Steuererklärung (Elster) Unternehmen und Finanzämter entlasten. Tatsächlich kratzen technische Mängel und Sicherheitslücken am Vertrauen der Nutzer in die Anwendung.
Um die Annahme von Massendaten zu gewährleisten, läuft die verschlüsselte Elster-Kommunikation über den Port 8000.
Um die Annahme von Massendaten zu gewährleisten, läuft die verschlüsselte Elster-Kommunikation über den Port 8000.

Gerhard Czech, kaufmännischer Leiter des Kunststoffteile-Herstellers Saarpor aus dem saarländischen Neunkirchen, hat gelernt, mit der Ungewissheit zu leben. Seit 1. Januar 2005 sind Unternehmen verpflichtet, ihre Umsatzsteuerschuld und die einbehaltene Lohnsteuer elektronisch an die Finanzverwaltung zu melden. Doch ob die Daten wirklich ihren Empfänger erreichen, wenn Czech sie mit Hilfe der von den Finanzämtern angebotenen Elster-Software auf die Reise geschickt hat, ist ihm völlig unklar. Immer wieder erscheinen Fehlermeldungen auf seinem Bildschirm, wenn er die Steuerdaten als verschlüsselte XML-Datei versendet hat: "Was letztendlich beim Finanzamt ankommt, wissen wir nicht."

Tipps gegen den Elster-Ärger

• Einzugsermächtigung stoppen

Einzugsermächtigungen zu kündigen und die Steuerschuld selbst zu überweisen schützt vor überraschenden Liquiditätsproblemen infolge einer Manipulation.

• Widerspruch einlegen

Wurde eine zu Unrecht festgesetzte Umsatzsteuer abgebucht? Betroffene müssen in diesem Fall der Abbuchung bei der Bank widersprechen und das Finanzamt informieren.

• Steuernummer geheim halten

Statt auf Rechnungen die Steuernummer anzugeben, empfiehlt es sich, die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer anzuführen. Mit ihr kann sich niemand Unbefugtes bei Elster einloggen.

• Härtefallregelung beantragen

Unternehmer, die entweder ein fortgeschrittenes Alter oder sehr niedrige Umsätze nachweisen können oder ohnehin bald den Betrieb aufgeben, haben gute Chancen, von der elektronischen Berichtspflicht ausgenommen zu werden.

Ständige Nachbesserungen

Doch das ist nur ein Elster-Problem unter vielen. Die Steuersoftware, die Beamte der Oberfinanzdirektion München entwickelt haben, kostet Bund und Länder jedes Jahr zehn Millionen Euro - unter anderem, weil sie ständig nachgebessert werden muss. Schon der Start des Projekts im Februar dieses Jahres verlief nicht optimal: 70 Prozent der Unternehmen in Deutschland meldeten ihre Zahlen via Elster. Die eingesetzte IT-Infrastruktur war dem Ansturm nicht gewachsen. Die Münchner hatten die Zahl der Server-Adressen viel zu knapp kalkuliert. Nur sechs Empfangszugänge standen mehreren hunderttausend zur Abgabe verpflichteten Unternehmen gegenüber. Statt einer Bestätigung, dass die eingereichten Daten angekommen waren, gab es für Elster-Nutzer den Hinweis zu lesen, dass die Server überlastet seien. "Bitte senden Sie Ihre Umsatzsteuer-Voranmeldung oder Lohnsteuer-Anmeldung erst am 11. oder 12.02.2005. Ein Verspätungszuschlag für die verspätete Übermittlung wird nicht festgesetzt werden", hieß es weiter.

Die Praxis für viele Unternehmen sah anders aus. Auch dem Internet-Dienstleister Teresto aus Merzig hatte der Finanzamtsrechner die Datenannahme verweigert. Die Steueranmeldung konnte erst mit mehreren Tagen Verzögerung übermittelt werden. Prompt verlangte das Finanzamt doch Säumnisgebühren, berichtet der verärgerte Teresto-Geschäftsführer David Zimmer.

Nach diesem Muster verliefen bislang viele Erfahrungen, die der Mittelstand mit Elster machte: Praxisferne Gesetzesvorgaben des Bundes überforderten die Münchner Entwickler - die Folgen auszubaden haben die Unternehmen. Saarpor musste beispielsweise auf eigene Kosten zusammen mit einem Softwareunternehmen die Elster-Anwendung mehrere Tage lang zurechtschneidern, bis sie mit den Finanzamts- und den eigenen Systemen, etwa der Firewall, einigermaßen harmonierte.

Die Münchner Finanzamtsprogrammierer arbeiten intensiv daran, wenigstens einen Teil der Probleme zu lösen, die sich im Praxisbetrieb aufgetan haben. Elster funktioniert nun beispielsweise nicht mehr nur auf Windows-Rechnern. Auch für die elektronische Übermittlung von Steuererklärungen aus Linux- oder Mac-Systemumgebungen stellte die Behörde allgemeine XML-Datenschnittstellen und das Java-basierende Programmier-Interface "Coala" zur Verfügung.

Problem Authentifizierung

Das größte Problem mit Elster aber wird man erst zum Jahreswechsel 2006 in den Griff bekommen: Die Meldung der Lohn- und Umsatzsteuer ist so gestaltet, dass sich die Unternehmen bei der Eingabe dieser Daten nicht authentifizieren müssen. Somit ist es jedem möglich, die Umsatz- und Lohnsteuer für jedes beliebige Unternehmen anzumelden, sofern er dessen Namen und Steuernummer kennt. "Wenigstens ein Passwortschutz wäre notwendig, aber da ist gar nichts, null", wundert sich Te-resto-Chef Zimmer. Und Saarpor-Manager Czech befürchtet, "dass sich Hinz und Kunz anhand der Steuernummer auf unseren Rechungen einloggen und falsche Angaben absenden".

Manipulation befürchtet

Die Sorgen der Mittelständler hält man beim Branchenverband Bitkom keineswegs für abwegig. Obwohl der Verband schon im Dezember auf die Authentifizierungsschwachstelle hinwies, sei es nach wie vor möglich, Steuerdaten fremder Unternehmen ohne technische Hürden zu manipulieren und finanzielle Schäden anzurichten. "Damit wird dem Schindluder Tür und Tor geöffnet", kritisiert die Bitkom-Steuerexpertin Anja Olsok. Böswillige Wettbewerber oder Kunden könnten mit wenigen Mausklicks völlig überhöhte Umsatzsteuern oder Lohnsteuern melden. Da die Finanzämter meist Einzugsermächtigungen für die Steuervorauszahlungen besitzen, droht Unternehmen dann der vorübergehende Verlust von Liquidität. "Bis der Fehler festgestellt und der Betrag rücküberwiesen ist, kann es gerade für mittelständische Firmen eng werden", warnt Olsok. Umgekehrt sei es möglich, besonders niedrige Umsätze zu melden und damit eine Umsatzsteuer-Nachschau zu provozieren.

Kontrolle kostet Zeit

Selbst wenn es in allen Fällen auf Anhieb funktionieren sollte, unberechtigte Abbuchungen durch eine einfache Erklärung an das Finanzamt zurückzuholen und Nachprüfungen abzuwenden, bleibt den Firmen ein beträchtlicher Mehraufwand für die ständige Nachprüfung der verwendeten Angaben in Steuerbescheiden. Abhilfe schafft in Zukunft ein behördliches Elster-Web-Portal, das authentisierte Steuerdaten nur von registrierten Absendern entgegennimmt. Spätestens am 1. Januar 2006 soll es einsatzbereit sein, verspricht Elster-Projektleiter Roland Krebs Bis dahin reist die Unsicherheit immer mit, wenn Daten via Elster übertragen werden. Bei Saarpor in Neunkirchen weiß man immer noch nicht, ob alle elektronischen Angaben richtig ankommen oder nicht doch jemand über Elster die Saarpor-Steuerdaten manipuliert. "Wir sagen inzwischen: Augen zu und durch", erklärt Czech. Damit aber nicht plötzlich Geld vom Konto verschwindet, wurde der automatische Bankeinzug für die Steuer erst einmal gestoppt.

Indes proben sogar die Finanzministerien der Länder gegen die praxisfernen Elster-Bestimmungen des Bundes den Aufstand. Das nordrhein-westfälische Finanzministerium sowie die Oberfinanzdirektionen des Landes dulden zum Beispiel weiterhin Papieranmeldungen - zumindest vorläufig bis Ende des Jahres.

Unternehmen, die auf Nummer Sicher gehen wollen, bleibt als Hoffnung gegen den Elster-Ärger ein Anruf beim zuständigen Finanzamt, um die für sie gültigen Ermessensspielräume auszuloten. (ue)