Internet-Schmiede

Freiburg ist das Silicon Schwarzwald

12.11.2013
Von Michael Kroker
Nicht nur Berlin pulsiert in puncto Online-Wirtschaft. Auch am anderen Ende der Republik, in Freiburg im Breisgau, floriert ein Netzwerk überregional bedeutsamer IT-Firmen.

Berlin, Deutschlands IT-Metropole Nummer eins - und dann kommt lange nichts? Kristian Raue winkt ab. "Ein Internet-Unternehmen kann man überall gründen - dafür bin ich selber das beste Beispiel", sagt der Chef des Software-Anbieters Jedox. Der gebürtige Westfale ist 2002 nach Freiburg gezogen, unter anderem, sagt er, "weil dort der Freizeitwert so hoch ist".

Doch das Wort Freizeitwert hat für den 51-Jährigen eine umfassendere Bedeutung als für viele der Hinzugezogenen. Raue ist es wichtig, dass ein Feeling von Freizeit auch während der Arbeit aufkommt. Entsprechend hat er die Firmenzentrale eingerichtet, die direkt neben dem Freiburger Hauptbahnhof liegt. In den Großraumbüros wimmelt es nur so von Palmen unterschiedlicher Sorten. "Das ist sozusagen unser südbadischer Dschungel", sagt Raue. Umrahmt wird das entspannende Flair durch den Blick aus dem Fenster, entweder in Richtung Kaiserstuhl und Vogesen oder auf das Freiburger Münster.

Entspannendes Flair

30 der 90 Mitarbeiter, die Jedox beschäftigt, kommen in den Genuss dieses Ambientes, darunter die komplette Entwicklungsmannschaft des Unternehmens. Die Atmosphäre scheint die Mannschaft zu Spitzenleistungen zu animieren. Jedox produziert eine hoch innovative Software für einen der wichtigsten Zukunftsmärkte der IT überhaupt: Big Data, die blitzschnelle Analyse gigantischer Datenmengen.

Im Gegensatz zu Konkurrenzprodukten bedient sich die Jedox-Software dabei eines technischen Kniffs: Bei den Berechnungen nutzt das Programm statt des normalen Prozessors die Grafikkarte im Computer. "Eine professionelle Grafikkarte kostet rund 1.500 Euro - und die ist um einen Faktor 100 schneller als ein herkömmlicher Computerprozessor", sagt Raue. Unternehmen, die Jedox für Big-Data-Analysen einsetzen, können ihre Server-Computer auf diese Weise mit einer oder mehreren Grafikkarten aufrüsten, um die Performance ihrer Software zu steigern.

Mit jährlichen Umsatzwachstumsraten jenseits der 40-Prozent-Marke und einem Umsatz von zuletzt acht Millionen Euro behaupten sich Raues Mitarbeiter in diesem Geschäft erfolgreich gegen so namhafte Konkurrenten wie den deutschen Softwareriesen SAP und seinen US-Rivalen Oracle.

Von wegen außerhalb Berlins nix los in der deutschen Internet- und IT-Wirtschaft. Zwar ist die Hauptstadt weiter die unumschränkte Metropole der hiesigen Web- und Startup-Szene, mit einem Netzwerk aus Gründern, Kapitalgebern und Beratern, dessen Mitglieder in die Tausend gehen. Zwar haben sich auch Hamburg mit seinen Werbe- und Marketingagenturen und München mit seinen Deutschland-Niederlassungen amerikanischer Branchenriesen einen Namen in der IT-Szene gemacht. Ebenso gelten Universitätsstädte wie Karlsruhe oder Darmstadt als Brutstätten deutscher Web- und Softwareideen.

Überregional bedeutsam

Aber hinter der Fassade von Solarstrom und erneuerbaren Energien hat sich in Freiburg in den vergangenen 25 Jahren eine kleine, aber feine IT-Szene etabliert, die weit über ihre Grenzen hinaus strahlt. Wie der regionale Technologieverband BWCon Südwest ermittelt hat, sind allein in Freiburg fast 18.000 Menschen bei örtlichen IT- und Medienunternehmen beschäftigt. In der gesamten Region südlicher Oberrhein zwischen Achern und Weil am Rhein arbeiten insgesamt 41.000 Beschäftigte in 5.150 High-Tech-Unternehmen und sorgen dort für einen Jahresumsatz von 4,7 Milliarden Euro. Damit kommt die Informations- und Telekommunikationsbranche im Südwesten auf einen Anteil von 9,1 Prozent aller Beschäftigten - laut BWCon ist diese Quote nur in München, Düsseldorf und Köln höher.

Der Unruhepol

Einer, der mehr als zwei Jahrzehnte für diesen Erfolg im Winkel zwischen Schweiz und Frankreich sorgte, ist Axel Wessendorf. Mehr noch, Wessendorf ist so etwas wie der ungekürte Doyen der alemannischen IT- und Internet-Community. Der heute 52-Jährige stammt wie Jedox-Gründer Raue aus Nordrhein-Westfalen, aus der ehemaligen Kohle- und Stahlstadt Oberhausen, und lebt seit mehr als einem Vierteljahrhundert in Freiburg.

Wessendorf hat dort 1989 die Softwarefirma Lexware gegründet. Das war sein erstes IT-Unternehmen. Der gelernte Steuerberater wollte einem Mandaten die Reisekostenabrechnung erleichtern. Also programmierte er ein passendes Computerprogramm. 1997 verkaufte Wessendorf Lexware an den Freiburger Verlag Haufe-Gruppe - und gründete in der Manier amerikanischer Startup-Vorbilder ein neues Unternehmen: United Planet, einen Spezialisten für sogenannte Intranet-Lösungen.

Diesem widmet sich der Wahlfreiburger nun mit voller Kraft. Wessendorf kann sich noch gut an die Gründung von United Planet 1998 erinnern. "Das war die Zeit, als alle nach der ersten Internet-Welle vom Intranet redeten, dem firmeneigenen Datennetz." Weil es damals keine Standardlösungen gab, bastelten die Unternehmen verzweifelt selbst drauf los oder ließen es lieber bleiben. "Welcher Mittelständler kann sich schon leisten, dafür extra ein Softwarehaus zu beauftragen?", fragte sich Wessendorf damals.

Daraus macht er seine Geschäftsidee. Er entwickelt unter dem Slogan "Kauf Dir Dein Internet" eine Standardsoftware für Intranets. Als diese Anfang 2000 fertig ist, nennt Wessendorf das IT-Paket Intrexx Compact. Das Intranet-Programm ist für Unternehmen mit bis zu fünf Mitarbeitern ausgelegt und kostet einmalig 275 Euro. Sodann lässt Wessendorf eine Intranet-Software für größere Unternehmen namens Intrexx Professionell programmieren. Die ermöglicht den Nutzern, ein Unternehmensportal aufzubauen, und kann Software von SAP, Microsoft und anderen IT-Anbietern einbinden. Das Starterpaket kostet 1.550 Euro aufwärts.

Damit hatte Wessendorf die rechte Idee zur rechten Zeit. Heute betreiben mehr als 4.000 Unternehmen in Deutschland und angrenzenden Ländern wie Österreich ihr Intranet mit der Software von United Planet, darunter der japanische Reifenhersteller Bridgestone, die Tankstellenkette Jet oder die Frankfurter Sparkasse. Laut Wessendorf hat United Planet insgesamt sogar mehr Kunden als der große Rivale Microsoft mit seinem Konkurrenzprodukt Sharepoint. Offiziell mag Wessendorf zwar keine Finanzzahlen nennen, doch nach Informationen der Wirtschaftsauskunftei Creditreform betrug der United-Planet-Umsatz im vergangenen Jahr rund fünf Millionen Euro.