Problem Scheinselbständigkeit

"Freiberufler brauchen mehr Rechtssicherheit"

23.01.2013
Von 
Hans Königes war bis Dezember 2023 Ressortleiter Jobs & Karriere und damit zuständig für alle Themen rund um Arbeitsmarkt, Jobs, Berufe, Gehälter, Personalmanagement, Recruiting sowie Social Media im Berufsleben.
Selbständige IT-Professionals leisten einen wichtigen volkswirtschaftlichen Beitrag und werden dennoch von der Politik stiefmütterlich behandelt, meint Albert Lidl, Chef von top itservices. Er stellt klare Forderungen an den Gesetzgeber.

CW: Sie sind seit mehr als 30 Jahren als Service- und Personaldienstleister tätig. Wie beurteilen Sie die heutige Situation der Freiberufler?

Albert Lidl von top itservices: "Freiberufler werden gerne mal als 'arbeitnehmer-ähnliche Selbständige' eingestuft, wenn es opportun erscheint, auf diesem Wege Sozialbeiträge einzutreiben."
Albert Lidl von top itservices: "Freiberufler werden gerne mal als 'arbeitnehmer-ähnliche Selbständige' eingestuft, wenn es opportun erscheint, auf diesem Wege Sozialbeiträge einzutreiben."
Foto: Privat

LIDL: Die IT entwickelt sich so rasant, das Know-how ist so speziell, dass fest angestellte Mitarbeiter oft nicht alle Anforderungen abdecken können. Ohne Freelancer wären viele IT-Projekte nicht möglich. Neuesten Umfragen zufolge waren in Deutschland 2012 etwa 80.000 IT-Freiberufler tätig und erwirtschafteten ein Projektvolumen von etwa 7,5 Milliarden Euro.

CW: Aus den Reihen der Personalvermittler ist immer wieder Kritik an der Politik zu hören, wonach die Arbeit dieser Gruppe zu wenig Wertschätzung bekomme. Was erwarten Sie von der Regierung?

LIDL: Selbständige sind wichtige Leistungsträger in unserer zunehmend auf flexiblen Arbeitszeitmodellen basierenden Gesellschaft. Sie sind politisch gewollt! Gleichzeitig stellen wir aber auch fest, dass gerade Freiberufler gerne mal als "arbeitnehmerähnliche Selbständige" eingestuft werden, wenn es aus Gründen leerer Sozialkassen opportun erscheint, auf diesem Wege Sozialbeiträge einzutreiben. Auf diese Weise wird eine langfristige Mittelstandspolitik ad absurdum geführt. Aus meiner Sicht ist die Politik gefordert, hier klare Rahmenbedingungen zu schaffen, um Planungssicherheit zu gewährleisten und die Eigenverantwortlichkeit der Freiberufler zu stärken.

CW: Wie kommt es zu der Einstufung "scheinselbständig"?

LIDL: Die Projekte in der IT dauern lange. Im Durchschnitt ist ein IT-Freiberufler 180 Tage im Einsatz bei einem Kunden, häufig auch länger. Aus diesem Grund laufen IT-Freiberufler schnell Gefahr, in die Scheinselbständigkeit abzudriften. Laut Definition der Rentenversicherung gilt ein freiberuflicher IT-Experte als scheinselbständig, wenn er fünf Sechstel des Jahreseinkommens über ein und denselben Auftraggeber erwirtschaftet. So ist der Begriff der "Scheinselbständigkeit" zustande gekommen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von nicht eindeutig definierten Kriterien für das Vorliegen von Scheinselbständigkeit wie die Frage nach der Weisungsgebundenheit oder der freien Arbeitszeitbestimmung.

Viele Freiberufler rutschen gegen ihren Willen in die Scheinselbständigkeit. Andererseits muss man sagen, dass auch einige die Scheinselbständigkeit provozieren: Es handelt sich hierbei um diejenigen, die plötzlich einen Angestelltenstatus anstreben, weil ihnen Folgeaufträge fehlen. Auch kommt es vor, dass Freiberufler Wettbewerbsverbote durch ihren Auftraggeber umgehen wollen und ihm mit der Anzeige von Scheinselbständigkeit drohen.

Damit Freiberufler nicht im Regen stehen, bedarf es einiger politischer Änderungen.
Damit Freiberufler nicht im Regen stehen, bedarf es einiger politischer Änderungen.
Foto: Sergey Nivens Fotolia.com

CW: Haben Sie einen Vorschlag, wie man die Forderung nach mehr Anerkennung und Rechtssicherheit für IT-Freiberufler umsetzen könnte?

LIDL: Denkbar wäre zum Beispiel eine vom Gesetzgeber formulierte Definition, in der festgelegt wird, was Freiberuflichkeit bedeutet und welche Kriterien erfüllt sein müssen. Das könnte etwa die Absicherung im Alter über einen Pflichtbeitrag in der Rentenversicherung oder über eine Lebensversicherung betreffen. Die von der Sozialversicherung verwendeten Listen von Negativkriterien müssen abgeschafft werden.

Eine andere Option wäre eine ausdrückliche Erklärung des IT-Freiberuflers, in der er sich zur Selbständigkeit bekennt: "Ich bin als Selbständige(r) tätig und verantworte meine Projekte in vollem Umfang, unabhängig von der Dauer oder von Folgeprojekten und unabhängig von der Teamzusammensetzung." Auch hier gilt zudem die eigenverantwortliche Absicherung für das Alter.

Eine solche verbindliche Aussage würde die Zunft der Freiberufler stärken und könnte zum Beispiel über die IHK, den Branchenverband Bitkom oder den Berufsverband Selbständige in der Informatik abgegeben werden. Auf diese Weise ließe sich erreichen, dass die Entscheidung des Freelancers respektiert und gesetzlich anerkannt wird.