Vier Thesen

Freiberufler 2030 - Zukunfts- oder Auslaufmodell?

30.07.2014
Von 
Zukunftsforscher Horst Opaschowski hat sich Gedanken gemacht, wie wir 2030 leben werden. Wie sich seine Thesen auf Freiberufler auswirken könnten, skizziert Oliver Knittel in seiner Kolummne.

Der Wunsch in die Zukunft zu blicken ist so alt wie die Menschheit. Schon die alten Griechen befragten das Orakel von Delphi nach der Zukunft. Das Orakel gab nur in den seltensten Fällen klare Antworten, meist waren die Antworten ironisch oder rätselhaft. Dies war der Trick: Wenn die Weissagung nicht eingetreten ist, konnte das delphische Orakel behaupten, das Rätsel wurde nicht verstanden. Heute müssen wir Freiberufler uns auf Aussagen der Zukunftsforscher stützen. Einer der bekanntesten Vertreter in Deutschland ist Professor Horst Opaschowski. Er hat in die Glaskugel geschaut und einige Thesen aufgestellt, wie im Jahr 2030 die Zukunft in Deutschland aussehen wird. Einige Thesen sind auch auf Freiberufler übertragbar.

These 1: Der Druck in der Arbeitswelt nimmt zu

Die Formel 0,5 mal 2 mal 3 beschreibt, dass in der Zukunft die Hälfte der Mitarbeiter doppelt so viel verdient und dafür drei Mal so viel leisten muss, wie früher. Aufgrund der Globalisierung wird für die noch verbleibenden Vollzeitbeschäftigten die Arbeit konzentrierter und psychisch belastender. Der eigenen Mannschaft wird in der globalisierten Welt mehr abverlangt. Dieser Trend wird in noch stärkerem Maße auf IT-Freiberufler wirken. Die Wünsch-Dir-Was-Liste der Auftraggeber der Zukunft wird länger und unterliegt häufigen Veränderungen. Wer als Freiberufler heute noch in ist, kann morgen schon out sein.

Denn Projektleistungen des Freiberuflers können in Windeseile im Internet nachgelesen und bestaunt werden. Die Transparenz im Internet erhöht zusätzlich den Leistungsdruck.

These 2: Der Freiberufler von Morgen wird ein anderer sein

Der typische Freiberufler von heute ist männlich, deutscher Staatsangehöriger, im Durchschnitt 40 Jahre alt und hatte vor seiner Selbständigkeit schon eine Karriere als Angestellter hinter sich. Der demografische Wandel wird auch bei den Freiberuflern die Strukturen ordentlich durchschütteln.

Es werden deutlich mehr Frauen als heute in die Freiberuflichkeit drängen. Die Freiberufler werden weiblicher.

Auch mit Mitte 50 gehört der Freiberufler noch nicht zum alten Eisen. Der durchschnittliche Freiberufler wird deutlich älter sein als heute.

Der durchschnittliche Freiberufler der Zukunft wird deutlich älter sein als heute, glaubt Autor Oliver Knittel.
Der durchschnittliche Freiberufler der Zukunft wird deutlich älter sein als heute, glaubt Autor Oliver Knittel.
Foto: G. Menzl - Fotolia.com

Seit April 2011 ist die siebenjährige Übergangsfrist für den Zugang zu den Arbeitsmärkten für die mittel- und osteuropäische Beitrittsstaaten von 2004 abgelaufen. Das bedeutet schon heute volle Arbeitnehmerfreizügigkeit innerhalb der EU. Für eine Arbeitsaufnahme in Deutschland ist keine Arbeitsgenehmigung mehr erforderlich. Dies wird langfristig zu einer höheren Zahl von IT-Freiberuflern führen, die nicht aus Deutschland kommen.

Die jungen gut ausgebildeten Menschen wollen nicht mehr durch schwerfällige Hierarchien gebremst werden. Sie wollen Gas geben und zeigen, was in ihnen steckt. Daher wird der direkte Einstieg in die Selbständigkeit viel häufiger stattfinden als heute. Folgt man der These von Prof. Dr. Opaschowski: "In 2030 werden über zwei Drittel ihren Lebenssinn in der Arbeitsleistung suchen.", dann ist das ein Indiz für mehr Direkteinsteiger in die Freiberuflichkeit im Jahr 2030.

These 3: Die Personalvermittler entdecken neue Geschäftsmodelle

Im heutigen Freiberuflermarkt ähneln sich die Geschäftsmodelle der führenden Personalvermittler sehr stark. Die Geschäftskonzepte sind darauf ausgerichtet, Einzelkämpfer zu standardisierten Konditionen preiswert und möglichst schnell zur Verfügung zu stellen. Übertragen auf den Einzelhandel ist dies ein Markt, in dem es nur Supermärkte gibt. Der Kunde erhält ein schier unüberschaubares Warenangebot zur Selbstbedienung. Die Mitarbeiter im Supermarkt wissen vielleicht noch, wo welche Ware steht. Sie können aber sonst kaum über ihre Produkte beraten. Im Einzelhandel kennen wir neben den Supermärkten Bio-Supermärkte, Feinkostläden, Reformhäuser, Direktverkauf im Hofladen, Großhändler, Internetvertrieb und Bringservice. Eine solche Differenzierung gibt es im Markt der Personalvermittler kaum, zumindest ist sie mir nicht bekannt.

Folgende Geschäftsmodelle sind künftig denkbar:

a) Neben dem standardisierten Massenverkauf wird es Anbieter geben, die ausschließlich Spezialisten im oberen Preissegment haben. Sie können über jeden ihrer Spezialisten qualitative Einschätzungen geben und wählen diese persönlich nach individuellen Einstufungsverfahren aus (Modell Feinkost).

b) Neben der Vermittlung von Einzelkämpfern wird es zunehmend Anbieter geben, die ausschließlich in Konkurrenz zu Software- und Beratungshäusern komplette Projektteams von Freiberuflern anbieten (Modell Großhändler).

c) All Drinks are local: Ökologie und verstärktes Umweltbewusstsein wird auch vor den Freiberuflern nicht halt machen. Der Freelancer, der als Business-Class-Nomade montags zum Kunden fliegt und donnerstags zurück wird zum Auslaufmodell. Der Freelancer der Zukunft sucht sich seinen Auftrag in der Nähe seines Wohnortes und ist abends wieder zu Hause oder er arbeitet von zu Hause aus (Modell Hofladen).

These 4: Die Freiberufler werden stärker zur Kasse gebeten

Im weltweiten Vergleich ist das deutsche Steuersystem weit abgeschlagen, was Ausmaß und Auswirkung der Besteuerung angeht, auf Platz 106 von 133 Ländern5. Die Liste potenziell EU-rechtswidriger Normen des Deutschen Steuerrechts umfasst mit 47 Seiten mehr als 250 Einzelregelungen. Dies ist für die viertgrößte Volkswirtschaft und den zweitgrößten Exporteur auf der Welt mehr als blamabel. Hierunter leiden besonders die Freiberufler, weil sie politisch schlecht vernetzt sind und keine Lobby haben.

Im Umkehrschluss heißt das: Die Staatskassen sind leer und die weltweite Staats- und Schuldenkrise wird dafür sorgen, dass dies auch noch lange so bleibt. Das gilt im Übrigen auch für die Sozialkassen. Immer weniger junge Menschen zahlen ein. Der Generationenvertrag funktioniert in der jetzigen Form nicht mehr. Steuererleichterungen, geschweige denn Steuersenkungen rücken in weite Ferne. Wo wird der Staat, der dringend Geld braucht, das Geld einsammeln? Richtig: Bei den Besserverdienern und Freiberuflern!

Fazit: Arbeitform der Zukunft

Trotz meiner pessimistischen Einschätzung zur Besteuerung wird der Fachkräftemangel als Folge des demografischen Wandels die Unternehmen mehr als bisher zwingen, Schlüsselpositionen mit Freiberuflern zu besetzen. Denn wer gut ausgebildet ist und selbstbestimmt arbeiten will, macht sich selbstständig. Für mich besteht daher kein Zweifel: Die Freiberuflichkeit ist die Arbeitsform der Zukunft.

Der Artikel erschien im IT-Freelancer-Magazin.

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