Arbeitnehmerinnen nehmen ihre Karrierechancen unter die Lupe

Frauen sind nicht langer Exotinnen in den DV-Berufen

20.10.1989

Bremen (dow) - Fachgespräche über den Einsatz neuer Technologien standen im Vordergrund der ersten Tagung der Fachgruppe "Frauenarbeit und Informatik" im Fachbereich 8 der Gesellschaft für Informatik (GI). In Vorträgen - beispielsweise zur Softwareentwicklung und Rechneranwendung im Maschinenbau machten die Referentinnen klar, daß die Frauen sich selber schon längst aus der Rolle der Exotinnen in technischen Berufen gelöst haben.

Mehr Kooperation in der Sache statt Konkurrenz um Positionen - das war eines der am Anfang in Arbeitskreisen formulierten Ziele. Vor drei Jahren gründeten die Informatikerinnen dann innerhalb der Gesellschaft für Informatik die Fachgruppe "Frauenarbeit und Informatik". Die Gl zählt heute insgesamt rund 14 000 Mitglieder. In der Fachgruppe 8 haben sich rund 300 Frauen, überwiegend Informatikerinnen, und DV-Fachfrauen aus der Industrie und Hochschule, zusammengefunden. "Nötig ist eine Interessenvertretung nur für Frauen auch deswegen, weil sie trotz Kompetenz immer noch Schwierigkeiten haben, Führungspositionen zu übernehmen, erläuterte Heidi Schellhowe, eine der Mitbegründerinnen des Arbeitskreises.

Führungskompetenzen von Frauen liegen häufig brach

Auch unter den 400 Teilnehmerinnen des Bremer Kongresses, die fast alle eine Hochschulausbildung vorweisen konnten und hochqualifizierte Ausbildung für DV-Berufe haben, waren keine Managerinnen zu finden. Aber es fehlten auf der viertägigen Veranstaltung auch Anwenderinnen, die beispielsweise in der Fertigung eines Unternehmens mit rechnergesteuerten Abläufen an den Maschinen stehen. Ebenso waren auf dieser Veranstaltung die Schreibkräfte, die den Rechner täglich nutzen, nur spärlich vertreten. Die Interessen dieser Computerfrauen aus der Praxis versuchten Gewerkschaftsfunktionärinnen zu vertreten.

Diese Arbeitnehmer-Vertreterinnen sehen, so wurde in Bremen überdeutlich, im Einsatz von Rechnern immer noch mehr Gefahren als Nutzen für berufstätige Frauen. Elisabeth Becker-Töpfer von der Gewerkschaft Handel-Banken-Versicherungen (HBV) und Angelika BahI-Benker von der IG-Metall stellten in der Praxis immer noch eine Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern fest, zuungunsten der Frauen: "In kaufmännischen Berufen sind die Männer in der Sachbearbeitung, die Frauen mit Abwicklungstätigkeiten beschäftigt. In der Fertigung gilt entsprechendes. Die Facharbeit wird von Männern, die Zuarbeit von Frauen erledigt". Nach Meinung der Funktionärinnen läßt sich dieses Schema der Arbeitsteilung auch auf die Berufe der DV übertragen: Systemprogrammierung sei überwiegend Männersache, in der Anwendung hingegen seien mehr Frauen zu finden.

Frauen müssen noch immer den Fahmännern zuarbeiten

Noch krasser als im Büro wirkt sich die Hierarchie von Qualifikationen unter den Arbeitnehmern in der Produktion aus, war die fast einhellig vertretene Meinung. Arbeitsplätze mit einem hohen Anteil an Routinetätigkeiten werden als erstes automatisiert. Häufig seien es ungelernte Arbeitskräfte und dann zuerst die Frauen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, beschrieb Eva Köhl vom Forschungsinstitut für Rationalisierung e.V. in Aachen die Situation. Schlüsselqualifikationen wie Strategien zur Problemlösung, Kooperationsfähigkeit verbunden mit der Bereitschaft, sich weiterzubilden, gewinnen ihrer Meinung nach im Arbeitsleben immer stärkere Bedeutung.

Trotz vieler Klagen gab es aber auch positive Gestaltungsansätze beim Einsatz neuer Technologien zu begutachten. Anne Röhm von der Universität Bremen berichtete von einem Arbeitnehmer- und, wie sie sagte, somit auch frauenfreundlichem CIM-Projekt. Ein Zulieferer der Automobilindustrie sah mehr Vorteile darin, sich in der Produktion vom herkömmlichen Konzept der Arbeitsteilung am Fließband zu trennen. Statt dessen bildeten die Mitarbeiter, als der Fertigungsprozeß automatisiert wurde, Gruppen, die seitdem für komplexe Abläufe verantwortlich sind. Die schon in der manuellen Montage beschäftigten Frauen müssen nun jedoch an ihrem neuen, rechnergestützten Arbeitsplatz mehr Tätigkeiten als vorher beherrschen. Voraussetzung für den Einsatz an diesen Arbeitsinseln sind entsprechende Qualifikationen, um die automatischen Stationen führen zu können. Auch sollen kleine Beanstandungen und Störungen selbständig behoben werden können.

Die von Gewerkschaftsseite häufig vertretene sogenannte Dequalifizierungsthese bei der Einführung neuer Technologien lehnte auch Sabine Heinig vom Institut für Soziologie der Universität Münster ab. Dieser These zufolge wird der Handlungsspielraum von Arbeitnehmern dort eingeschränkt, wo im Betrieb Rechner eingesetzt werden. Zwar sei für Schreibkräfte ein Verlust an Anforderungen festzustellen, stellte die Expertin fest, Sachbearbeitung erfordere jedoch sowohl fachliches als auch technisches Wissen. Die arbeitsorganisatorische Integration der Technik lasse also eher auf erweiterte Qualitikationen als auf das Gegenteil schließen. Für den Bürobereich gilt einer 1989 erschienenen Studie zufolge, daß gerade weibliche Angestelle erfolgreiche Trägerinnen technischer Innovation sind.

Die Soziologin sieht die Gefahr, daß DV im Büro häufig "entlang der traditionellen Linien der geschlechtsspezifisehen Arbeitsteilung" eingeführt wird. Das Ergebnis sei,

Frauen beschränkten sich auf Zu- und Hilfsarbeiten. Heinigs Meinung nach bringt aber gerade die derzeitige Umbruchsituation in vielen Unternehmen Chancen für Frauen, ihre Situation zu verbessern. Eine qualitative Arbeitspolitik seitens der Arbeitgeber brächte Frauen die Möglichkeit, sich zum Beispiel bei der Neuorganisation von Arbeitsabläufen Kenntnisse für die Sachbearbeitung aneignen zu können.

Umbruchsituation kann die Lage der Frauen verbessern

Den Versuch zur Aufwertung von Arbeitsplätzen mit Hilfe von PCs startete im vergangenen Jahr die Bremer Sozialbehörde. Grundlage waren arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse. Laut einer Dienstvereinbarung sollen statt reiner Schreibarbeitsplätze bis Oktober 1991 überall Mischarbeitsplätze eingerichet werden, für Vollzeit- als auch für Teilzeitkräfte. Textverarbeitung soll nur an den Arbeitsplätzen stattfinden, wo zusätzlich Verwaltungstätigkeiten geleistet werden. Ein Wechsel von Arbeiten am Bildschirm zu anderen Tätigkeiten könne die körperliche Belastung der Betroffenen reduzieren, hofften die Initiatoren des Projektes.

Die Erfahrung von fast zwei Versuchsjahren ist nach Einschätzung der beiden Beraterinnen ernüchternd. Kaum ein Schreibarbeitsplatz, der mit einer Frau besetzt war, konnte im Rahmen des PC-Einsatzes zu einem qualifizierten Mischarbeitsplatz umorganisiert werden. Bei bis zu acht Stunden Schreibarbeit vor dem Bildschirm waren die physischen und psychischen Belastungen der Arbeitskräfte sogar noch größer als beim konventionellen Arbeiten mit der Schreibmaschine. Eine Aufwertung der Tätigkeiten der weiblichen Schreibkräfte sei gescheitert, stellten die Projektbegleiterinnen fest, obwohl die betroffenen Frauen die gleiche Schulung erhielten wie die männlichen Kollegen.

Neue Kompetenzgrenzen können problematisch sein

Weitere Feststellungen: Mit Selbstsicherheit und stärkerem Durchsetzungsvermögen als die Frauen hatten es die Männer leichter, die Positionen der Systemadministratoren zu besetzen. In dieser Funktion haben sie Arbeitsabläufe zu koordinieren, richten zum Beispiel Adreß- und Batchdateien ein, erstellen Textbausteine, Formulare oder Makros. Die beteiligten Männer waren stärker technikzentriert" an die Umstellung ihres Arbeitsplatzes herangegangen, beschreiben die Beraterinnen den Unterschied zum Verhalten der Frauen. Die wiederum seien weniger an einer schnellen Lösung interessiert, beschäftigten sich stärker mit Aufgabenkritik und Gestaltungsfragen.

Neben solchen "Schwierigkeiten mit männlichem Verhalten" gab es im Bremer Modell auch Probleme zwischen Frauen an unterschiedlich bewerteten Arbeitsplätzen. So stellte sich heraus, daß die Sachbearbeiterinnen Furcht davor hatten, Teile ihrer bisherigen Tätigkeiten an die Schreibkräfte abzugeben. Zudem weigerten sich die besser ausgebildeten Frauen, für Schreibarbeiten, die sie vorher mit der Hand und dem Bleistift erledigt hatten, nun einen PC einzusetzen. Ihre Sorge wieder als Schreibkraft eingestuft zu werden, dominierte über den Nutzen des PC-Einsatzes für bestimmte Tätigkeiten. Keine wollte also den einmal erreichten Status wieder verlieren, "Verteidigungsarbeit schluckte einen Teil der Energien.

In der Softwareentwicklung sah Marlene Wendt von der Gesellschaft für Informatikanwendungen die Chance, bestehende Machtverhältnisse zu verändern. Jede Software bestimme Handlungsfreiräume, Entscheidungsstrukturen, Informationsgehalt sowie bei Erwerbstätigen die Reihenfolge der Arbeitsschritte, führte Frau Wendt aus. Die Freiheitsgrade für den einzelnen blieben in den DV-Abläufen gelegentlich sogar hinter denen der industriellen Produktion, tayloristischer Prägung zurück meinte sie. Softwareentwicklung könne leistungsfähige Arbeitsmittel hervorbringen, die auch sozial verantwortbar seien. So sollten die Anwender ihre bisherige Arbeit in den neuen Abläufen wiedererkennen und Zusammenhänge begreifen lernen, fordert die Informatikerin.

Softwareentwicklung aus der weiblichen Perspektive

Ziele der Softwareentwicklung aus weiblicher Perspektive muß die Betroffenen einbeziehen, verlangt Fanny-Michaela Reisin von der TU Berlin. Ihren Vorstellungen nach ist ein Programm das Ergebnis eines kooperativen Prozesses von Anwendern und Entwicklern. Dazu seien Konzepte wichtig, welche die unterschiedliche Perspektive beider Gruppen berücksichtigte. Auch die Münchnerin Sabine Langner-Meier begriff Softwarecntwicklung als Chance zur Humanisierung der Arbeitswelt. Gemeinsame Arbeit von Soziologinnen und Technologinnen sei nötig, um dem rasanten Fortschritt zu kontrollieren, meinte die Mathematikerin. Zu den wiederholt vorgebrachten Forderungen nach mehr Demokratie bei der Softwareentwicklung sagte die Praktikerin am Rande des Kongresses trocken: "Wenn ich das zu Hause im Betrieb erzähle, lachen die mich aus."

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