Karrierechancen in der Software-Industrie sind nicht nach Schema F gestrickt

Frauen müssen sich ihre Spitzen-Jobs selbst schaffen

10.04.1992

Während weibliche Marketingleiter oder Pressereferenten mittlerweile auch in großen Software-Unternehmen an der Tagesordnung sind, lassen sich die Geschäftsführerinnen in dieser Branche an den Fingern einer Hand abzählen. Bezeichnenderweise haben die meisten dieser Ausnahme. Frauen das von ihnen geführte Unternehmen selbst ins Leben gerufen. Bei der deutschen Software-Industrie ist wieder alles im Lot: Nachdem Eva Preuß die Leitung der Borland GmbH an den ehemaligen Ashton-Tate-Chef Wolfgang Schröder übergeben mußte, sind die Herren- Geschäftsführer und Vorstandsvorsitzenden einmal mehr unter sich beinahe jedenfalls. Ausnahmefrauen wie Martina Grüter und Ulrike Pfeiffer bestätigen hier nur die Regel, nach der das Software-Busineß augenscheinlich immer noch eine Domäne der Männer ist.

Verhinderte Chirurgin

Martina Grüter, Geschäftsführerin der Comfood GmbH, Münster, und der Generics GmbH, Karlsruhe, kam zu ihren beiden Software-Unternehmen wie die sprichwörtliche Jungfrau zum Kind. Nach dem Abitur hatte sie sich zur Ärztin berufen gefühlt. "Ich wäre möglicherweise Chirurg geworden, weil ich sehr praktisch veranlagt bin", beschreibt die 30jährige ihr damaliges Berufsziel.

Doch dazu sollte es nicht kommen: Als Grüter ihr Studium abschloß, war sie bereits Chefin eines Software-Vertriebsunternehmens. Ein von ihrem Mann verfaßter Zeitschriftenartikel über US-amerikanische Public-Domain-Software hatte eine solche Nachfrage-Lawine ausgelöst, daß die Grüters beschlossen, daraus ein Geschäft zu machen und die Comfood GmbH gründeten.

Ohne sich lange Gedanken zu machen, übernahm die kurz vor dem Examen stehende Medizin-Studentin die Organisation des kleinen Betriebs, weshalb die bereits in Angriff genommene Dissertation - über Komplikationen nach der Mandelentnahme - ungeschrieben blieb. "Bei anderen Frauen kommt ein Kind dazwischen, bei mir war es die Firma", resümiert die verhinderte Ärztin. Das auf rund ein Dutzend Mitarbeiter angewachsene Unternehmen widmet sich heute dem Vertrieb von PC-basierten Softwarewerkzeugen und der Übersetzung von Handbüchern.

Vor etwas mehr als drei Jahren stiegen Martina und Thomas Grüter dann in den Unix-Markt ein: Unter dem Dach der Generics GmbH beschäftigt das Ehepaar mittlerweile 16 Mitarbeiter, die an der Weiterentwicklung eines bislang unter der Bezeichnung "Eurix" vermarkteten deutschsprachigen Unix-Derivats arbeiten.

Martina Grüter führt die Geschäfte beider Gesellschaften; ihr Mann, ebenfalls Mediziner, kümmert sich um die Auswahl der Produkte und das Marketing. Mit dieser Rollenverteilung sind beide offenbar ganz glücklich: "Mein Mann hat das bessere Gespür für den Markt, kann aber nicht gut organisieren", erläutert die Münsteranerin. Zwar räumt sie ein, daß es für einige Kunden besser aussähe, wenn ihr Mann als Geschäftsführer aufträte. Aber solche Zugeständnisse sind nicht ihr Stil: "Einen anderen vorschieben, weil er einen Doktortitel hat und zwei Meter groß ist, das liegt mir nicht."

Eine ähnliche Pioniermentalität wie Grüter legt auch Ulrike Pfeiffer, Geschäftsführerin der Micrografx GmbH in München, an den Tag. Mit dem Hochschulabschluß für Betriebswirtschaft in der Tasche kam die Hamburgerin vor zwei Jahren in die bayerische Landeshauptstadt, um sich einen Job zu suchen. Den fand sie dann bei einem Dienstleistungsunternehmen im Bereich Computer-Grafik, wo sie erstmals mit Micrografx in Berührung kam. Damals, so die Mittzwanzigerin, war das Software-Unternehmen in Deutschland nur durch Distributoren vertreten, die ihre Aufgabe vor allem darin sahen, auf die vorhandene Nachfrage zu reagieren. In puncto Marketing und Pressearbeit habe es "null Aktivität" gegeben. Das änderte sich, als Pfeiffer die Vermarktung der Micrografx-Produkte in die Hand nahm. Zwar läuft der /eigentliche Vertrieb immer noch über verschiedene Distributionskanäle, aber die Koordination des Produktmarketings sowie der Support sind seit Mai 1991 Aufgabe der zehnköpfigen deutschen Micrografx-Zentrale.

Den Anstoß zur Gründung der GmbH gab Pfeiffer selbst: "Ich konnte sehr genau belegen, daß sich Investitionen in Deutschland lohnen würden", erinnert sie sich. Daß ihr die Geschäftsführung übertragen würde, hatte sie eigenen Aussagen zufolge nicht unbedingt erwartet. Allerdings entspreche diese Entscheidung der Micrografx "Politik", die sich vor allem darin äußere, daß der oder die einzelne sehr viel persönlichen Freiraum erhalte: "Ich hatte vom ersten Tag an keinerlei Limits - abgesehen von den finanziellen."

Befürchtungen, ihre Jugend könnte geschäftlich von Nachteil sein, entkräftet Pfeiffer mit dem Hinweis auf ihr Engagement: "Ich wurde lange Zeit mit Micrografx identifiziert; ich war der Ansprechpartner für den technischen Support, für das Marketing, einfach für alles. Und diese Identität hat mir mit Sicherheit weitergeholfen." Auch die Tatsache, daß sie weiblich ist, habe sie nie als, Nachteil empfunden.

Während die oben vorgestellten Unternehmen zu den Software-Zwergen gehören, war die Münchener Borland GmbH mit ihren 70 Mitarbeitern schon vor der Fusion mit Ashton-Tate ein mittelständisches Unternehmen. Im Juni 1990 hatte Eva Preuß in ihrer Funktion als Leiterin des europäischen Borland-Vertriebs die GmbH zum Laufen gebracht.

Die promovierte Betriebswirtin zeichnete knapp anderthalb Jahre für die Geschäfte der deutschen Tochter verantwortlich - bis im Herbst 1991 die Deutschland-Aktivitäten des mit einem Schlag doppelt so großen Unternehmens dem ehemaligen Ashton-Tate-Management unter Wolfgang Schröder anvertraut wurden.

Wie Preuß versichert, wurde sie selbst von der Entscheidung des Borland-Präsidenten Philippe Kahn überrascht. Wenngleich das Kapitel Borland für sie jetzt abgeschlossen ist, macht sie doch kein Hehl daraus, daß sie entscheidend von der Kultur des Unternehmens geprägt wurde - zumal sie dort das machte, was gemeinhin eine Karriere heißt.

Nach ihrer Promotion in St. Gallen - übrigens zum Thema "Die Frau als Manager" - hatte es Preuß zunächst zu der kalifornischen Softwareschmiede Ansa verschlagen. Als die Entwickler des Datenbanksystems "Paradox" 1987 von Borland geschluckt wurde, plädierte die Marketing-Expertin dafür, der geographisch getrennten Ansa-Division ein eigenes Management zu geben. Kahn forderte sie auf, eine Stellenbeschreibung anzufertigen - und sie bekam den Job.

In den europäischen Borland-Vetrieb wechselte Preuß 1988, nachdem die "50 bis 70" ehemaligen Ansa-Mitarbeiter auch räumlich in die Borland Inc. integriert waren.Was ihre künftigen Pläne angeht, so hält sich die ehemalige Geschäftsführerin der deutschen Borland-Niederlassung bislang bedeckt. Sie will sich nicht einmal darauf festlegen, ob sie der Software-Industrie erhalten bleiben wird

Ausuferndes Berichtswesen

Der Branche treu geblieben ist Gabriele Thoering. Zehn Monate lang schlug sie sich als einer von zwei Geschäftsftsführern mit dein ausufernden Berichtswesen der Darmstädter UIS GmbH herum, bevor sie Ende 1990 das Handtuch warf Ihrer eigenen Darstellung zufolge hatte Thoering der neugegründeten UIS-Niederlassung ohnehin nur ein Jahr lang auf die Beine helfen wollen.

An der deutschen Tochter der britischen UIS Ltd. ist Thoering immer noch mit etwa acht Prozent beteiligt. Außerdem unterstützt sie das Software-Unternehmen nach wie vor auf der Marketing-Seite - als Pressechefin der Münchener PR-Agentur Beiersdorff. Daß sie nicht mehr den Rang eine UIS-Geschäftsführerin bekleidet, kann Thoering offenbar gut verschmerzen. Sie habe von Anfang an lieber Marketing und Vertrieb machen wollen, bekennt die Wahlmünchenerin: "Mir ist die Arbeit wichtiger als der Titel."

Eine sachbezogene Einstellung gegenüber der Arbeit ist für Thoering einer der Punkte, in denen sich weibliche Führungskräfte von männlichen unterscheiden. Zustimmung erhält sie hier von Preuß: "Frauen machen anders Karriere", konstatiert die ehemalige Borland-Chefin. "Sie orientieren sich viel stärker an Inhalten."

Einen typisch weiblichen Führungsstil gibt es nach Ansicht der Befragten allerdings nicht. Die von den Konservativen beschworene "Wolfsrudel-Mentalität" (vergleiche Gertrud Höhler: "Adieu, Tarzan" in der "Wirtschaftswoche" vom 23. August 1991) finde sich zwar - erziehungsbedingt - eher bei Männern, sei aber vereinzelt auch bei Frauen vorhanden.

Bleibt die Frage, warum nach Ansicht der Betroffenen so wenige Frauen an der Spitze von Software-Unternehmen stehen. Die übereinstimmende Antwort mutet wider Erwarten konservativ an: "Diese Branche ist von ihrer Natur her erst einmal eine technische; ich bin wenig überrascht, daß es da wenig Frauen gibt", formuliert Pfeiffer stellvertretend für viele ihrer Kolleginnen. Nichtsdestoweniger konzertiert auch die Micrografx-Geschäftsführerin, daß die Führung eines Softwarehauses - zumal eines reinen Vertriebsunternehmens - keineswegs detaillierte Produktkenntnisse voraussetze: "Viele Frauen hätten damit sicher keine Probleme - wenn sie es versuchen würden."

Laut Pfeiffer stehen sich die Frauen oft selbst im Weg. Viele von ihnen setzten einfach voraus, daß sie zunächst einmal benachteiligt würden. Diese Einstellung finde ihren Niederschlag in einer unsicheren Ausstrahlung, die sich dann tatsächlich karrierehemmend auswirke. Allerdings würden die Männer im allgemeinen viel stärker auf eine berufliche Laufbahn hin erzogen: "Bei uns Frauen ist es schon fast als Zufall zu bezeichnen, wenn mal eine Karriere eintritt."Nachwuchs-Pool mittleres Management

Diejenigen, die sich trotzdem für eine berufliche Karriere im Software-Busineß entscheiden, schaffen sich ihre Chancen zumeist selbst - indem sie entweder ein eigenes Unternehmen gründen oder aber ein plötzlich auftretendes Vakuum füllen. Eine Quantité négligeable bilden weibliche Führungskräfte in etablierten Unternehmen mit eingefrorenen Management-Strukturen und konventioneller Nachwuchs-Rekrutierung, wie sie im Bereich Mainframe-Software bereits gang und gäbe sind.

Selbst wenn es momentan keineswegs den Anschein hat, so dürfte sich auch hier längerfristig einiges tun. Preuß liefert dafür eine so einfache wie schlagende Begründung: "Ich denke, daß sich die Situation langsam ändern wird - weniger, weil sich ein sogenannter weiblicher Führungsstil durchsetzen wird, sondern deshalb, weil einfach mehr Frauen im mittleren Management auftauchen; und -das war immer schon der Pool, auf den eine Firma zurückgriff, wenn sie mehr Verantwortung vergeben wollte." je breiter diese Basis, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, daß Frauen langsam in die Führungsriegen aufstiegen - obschon sie von den männlichen Kollegen bisweilen immer noch rechts überholt werden.