Länderübergreifende Regelungen gefordert

Französischer Minister erklärt Internet zur EU-Angelegenheit

10.05.1996

Wie aus französischen Regierungskreisen verlautete, hat sich Fillon mit einem Memorandum an die Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organization for Economic Cooperation and Development = OECD) gewandt. Anläßlich eines informellen Essens im italienischen Bologna habe der Minister seine europäischen Kollegen aufgefordert, ein Regelwerk zu entwerfen, das die Übereinstimmung von Internet-Services und jeweiligen Landesgesetzen sicherstellt. Solche Regeln müßten sich beispielsweise mit dem Schutz Minderjähriger sowie mit Pornografie und Kriminalität beschäftigen.

Fillon erkannte die Vorteile des Internet an, machte aber gleichzeitig geltend, daß der länderübergreifende Charakter des Netzes eine angemessene internationale Kooperation erfordere. Nur so lasse sich vermeiden, daß nationale Regeln und Gesetze aufgrund der dezentralen Anbieterstruktur umgangen würden. Der Vorschlag des französischen Ministers sieht vor, daß auf die Internet-Informationen im allgemeinen die Gesetze des jeweiligen "Absenderlandes" angewandt werden sollen.

Am Rande des Meetings erklärte Fillon weiter, er werde dieses Thema im kommenden Juni auf dem Treffen der G7-Staaten - USA, Kanada, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Italien und Japan - zur Diskussion stellen. Industriekommissar Martin Bangemann wurde von den anwesenden Telecom-Ministern mit der Aufgabe betraut, herauszufinden, wie die anderen G7-Staaten über eine solche Regelung denken. Darüber hinaus solle der ehemalige deutsche Wirtschaftsminister untersuchen, was auf dem Verhandlungsweg erreicht werden könne und ob eine internationale Konvention in diesem Bereich überhaupt realisierbar sei.

Bangemann selbst legte eine ambivalente Einstellung zum Fillon-Vorschlag an den Tag. Unterstützt vom Kulturkommissar Marcelino Oreja äußerte er die Ansicht, daß die existierende Rechtsprechung heute schon auch auf das Internet anwendbar sei. Die Lösung bestehe nicht darin, neue Regeln zu definieren, sondern die vorhandenen durchzusetzen. "Wir dürfen die Bedrohung nicht überbetonen", ließ er seinen Sprecher sagen. "Die illegalen Daten, die im Internet zirkulieren, sind lediglich ein winziger Teil der dort aufscheinenden Informationen." Offen blieb jedoch, wie die brennende Frage der Datenverschlüsselung europaweit gesetzlich geregelt werden soll. Denn während jenseits des Rheins die Verschlüsselung verboten ist, ist sie hierzulande zumindest derzeit noch erlaubt, auch wenn sie dem deutschen Innenminister Manfred Kanther ein Dorn im Auge ist.

Warum die vorhandenen Gesetze nicht greifen

EU-Kommissar Martin Bangemann vertritt die Ansicht, die nationalen Gesetze reichten aus, um den kriminellen Mißbrauch des Internet strafrechtlich zu verfolgen. Eine Gegenposition bezieht der Strafrechtsprofessor Ulrich Sieber im Fachblatt "Juristen Zeitung". Siebers Einschätzung zufolge lassen sich die Gesetze über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften beziehungsweise zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit keineswegs auf das Internet übertragen, da sie von einer physischen Informationsverbreitung - via Buch oder Videoband - ausgingen. Das Medienrecht sei nur dort anwendbar, wo es sich um elektronische Versionen klassischer Publikationen handle. Zudem unterlägen die Online-Provider nicht der Verpflichtung, die von ihnen bereitgestellten Informationen zu kontrollieren. Erst wenn die Anbieter gesetzlich in die Pflicht genommen würden, sei es möglich, wegen der Verbreitung gewaltverherrlichender rassistischer, nationalsozialistischer und pornografischer Texte gegen sie zu ermitteln.