Franz Pixelbauer und seine Welt: Schnell reich werden oder lang studieren?

23.02.2001

Franz Pixelbauer studiert im vierten Semester Informatik. Er hat sich für dieses Fach entschieden, weil er schon als Schüler gern seine freie Zeit am Computer verbrachte. Er hat sich das Studium zwar etwas anders vorgestellt. Nicht so viel Mathematik und theoretische Grundlagen. Auch Fragen des Datenschutzes, die im Proseminar behandelt wurden, scheinen ihm eher eine Hinterlassenschaft der Alt-68er. Insgesamt geht es ihm zu theorielastig zu, zu selten begegnet er den Dingen, die ihn packen und von denen in den Medien ständig die Rede ist.

Der Traum vom eigenen Auto

Am Schwarzen Brett hat er gestern verschiedene Anschläge von Multimedia- und Softwarefirmen gelesen. Sie bieten Studenten, die Internet-Seiten programmieren können, zwischen 50 und 80 Mark die Stunde. Websites mit HTML programmieren, das konnte er ja schon als Schüler. Die meisten Kommilitonen haben so einen Nebenjob. Davon lässt sich gut leben, man liegt seinen Eltern nicht mehr auf der Tasche, und ein eigenes Auto lässt sich davon auch finanzieren. Das braucht man, um sich zwischen Uni, Firma und Zuhause rationell zu bewegen und in der knappen Freizeit flexibel zu sein.

Manche seiner Kommilitonen setzen auf ein anderes Pferd: Sie hoffen, die durchschlagende Internet-Idee zu haben, um damit in kurzer Zeit viel Geld zu verdienen. Der eine oder andere kennt einen, der das geschafft hat. Eine Reihe von Kommilitonen sind aus dem Studium ausgestiegen - vorübergehend, wie sie sagen. Dies seien einmalige Jahre, die in ihrem Leben nicht wieder kämen. Die nächsten fünf Jahre ranklotzen, eine eigene Firma aufbauen oder zumindest bei einem Multimedia-Laden dabei sein. Das Studium kann man ja danach wieder aufnehmen. Das läuft nicht weg.

Franz Pixelbauer ist nervös. Er ist hin und her gerissen zwischen den goldenen Zeiten, seinen Interessen, den Vorstellungen der Eltern, die in einer anderen Zeit studiert haben und von ihm erwarten, dass er das, was er einmal angefangen hat, auch erfolgreich zu Ende bringt. Ein Professor hat kürzlich in einem Seminar mit ihm und den anderen Teilnehmern über diese Fragen diskutiert. Er meinte, in einer Zeit, wo sich das Rad der Innovationen so schnell dreht, wie heute in der Informationstechnik, könne man auf Dauer nur mithalten, wenn man methodisch und theoretisch an den Kern des Faches herankommt und ihn zu beherrschen lerne.

Informatische Dilettanten

Auf dieser Basis ließen sich neue Entwicklungen, zum Beispiel der Wert neuer Software, auch langfristig relativ leicht beurteilen. Wer die Theorie der Programmierung einmal kapiert habe, könne sich neue Programmiersprachen dann auch selber beibringen. Er frage sich, ob die heutigen 45-jährigen arbeitslosen Programmierer vielleicht genau dies nicht gelernt hätten. Und: Eine Ökonomie, die in wenigen Jahren auf Netzen und Computern neu errichtet werde, könne sich unter Sicherheits- und Stabilitätsaspekten keine halb ausgebildeten informatischen Dilettanten erlauben.

Überhaupt war der Professor skeptischer, was die Entwicklung des Internet angeht. Er vermutete, dass E-Commerce überschätzt werde, das Internet eher ein Look- als ein Book-Medium sei. Ein Kommilitone vertrat in diesem Seminar eine Meinung, mit der er ziemlich allein dastand: Die Uni solle man nicht kaputtmachen, indem man sie zu einem Berufsbildungszentrum reduziere. Sie sei der Ort, wo Gründlichkeit, langfristige Tragfähigkeit und Kritik angesagt seien, ohne dass man immer auf die unmittelbare Verwertbarkeit schiele. Erst das schaffe die Topleute und Eliten, die die Politiker für die Wissensgesellschaft forderten.

Das "fast-Studium"

Das mag ja alles richtig sein, denkt Franz Pixelbauer, aber Theorie und Methoden zu erlernen, ist ein verdammt mühsamer Weg und dauert zu lange. So viel Zeit hat er nicht. Solche Weisheiten von Professoren oder Kommilitonen lassen ihn nicht ruhiger schlafen.

Vielleicht ist die Ausbildung in solch innovativen Fächern an staatlichen Hochschulen eh ein Anachronismus. Kürzlich hat er gelesen, dass in Hamburg eine private "Internet-Akademie" gegründet wird, die Führungskräfte der Internet-Wirtschaft ausbilden will. Die Sponsoren finden besonders "die extrem kurze Ausbildungszeit reizvoll".

Das ist es, denkt Franz Pixelbauer, ein "fast-Studium". Wo alles "fast" ist, warum nicht auch das Studium? Zumindest hat er dann die Chance, alles unter einen Hut zu bringen. Oder doch nicht? Man müsste noch mal in aller Ruhe im Uni-Seminar darüber diskutieren.

Franz Pixelbauers Alter Ego

Arno Rolf arbeitet als Informatikprofessor an der Universität Hamburg. Seine Schwerpunkte sind Wirtschafts- und Umweltinformatik sowie Technikfolgenbewertung. Seine Erfahrungen und Erlebnisse mit den Studenten und seinen beiden Söhnen, die im Alter der Internet-Generation sind, hat er in der Kunstfigur des Franz Pixelbauer gebündelt. Dieser ist zwar begeistert von seinem Informatikstudium, stellt sich aber immer wieder Fragen, die über eine rein technische Sicht der Dinge hinausgehen: Soll er die Durststrecke Studium durchhalten oder auch ohne Abschluss das große Geld verdienen? Bedeutet E-Commerce wirklich das Ende des kleinen Einzelhändlers um die Ecke? Alle zwei Wochen kann der Leser künftig Franz Pixelbauer auf seinen Gedankengängen begleiten.