Software-Industrie sieht offenbar im Kampf gegen den "Programm-Klau" keinen rosigen Zeiten entgegen:

Frankfurter Urteil läutet "Wende" ein

01.03.1985

Die COMPUTERWOCHE bat den Münchner Patentanwalt Jürgen Betten um eine Stellungnahme zum Urteil des OLG Frankfurt. Hier seine Anmerkungen:

Nachdem bereits das OLG Karlsruhe und das OLG Nürnberg die Urheberrechtsschutzfähigkeit von Computerprogrammen grundsätzlich bejaht hatten, liegt nun das dritte Urteil eines Oberlandesgerichts zum Urheberschutz von Computerprogrammen vor.

Das OLG Karlsruhe hatte sich in seinem Urteil "Inkasso-Programm" ausführlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob in einem Computerprogramm eine schöpferisch-geistige Leistung liegen kann und dies auch im entschiedenen Fall bejaht. Es hat dann ausgeführt, daß sich die schöpferisch-geistige Leistung jedoch in der Formgebung selbst niedergeschlagen und der Werkcharakter in der Darstellung selbst offenbart werden müsse. Erforderlich sei insbesondere, daß "der bearbeitete Stoff eine willkürliche Formgebung - Aufbereitung - zulasse und diese einer selbständigen, schöpferischen Geistestätigkeit entspringe".

In seiner gründlichen Analyse der Rechtslage sah sich das OLG Karlsruhe jedoch zu dem Hinweis veranlaßt, daß im Hinblick auf die wirtschaftlich-technischen Gegebenheiten auch zu bedenken sei, ob das Urheberrecht in allen seinen Phasen, insbesondere mit seinem ausgeprägten Schutz des Urheberpersönlichkeitsrechts, Grundlage des Rechtsschutzes für Computerprogramme bleiben soll oder ob nicht doch eine sondergesetzliche, mehr formalisierende. Regelung angebracht erscheint.

So ließ bereits die Stellungnahme des vom OLG Nürnberg beigezogenen Sachverständigen erkennen, daß wohl nur solche Computerprogramme urheberrechtlich geschätzt sind, bei denen "das erforderliche Können das eines durchschnittlichen Programmierers weit übertrifft".

Diese Einschränkung des Urheberrechtsschutzes auf herausragende Progamme wird nun vom OLG Frankfurt damit begründet, daß die technische Zielsetzung und die Zweckbestimmung des Computerprogramms nicht ohne Einfluß auf Inhalt und Form des Werkes bleiben. Da Computerprogramme keine Kunstwerke seien, bei denen sich der geistig-ästhetische Gehalt in der Formgebung ausdrücke, müsse sich der urheberrechtlich Relevante, sich über die reine Zweckbestimmung und die dadurch bedingte Inhaltsgestaltung deutlich erhebende und sich davon absetzende geistig-ästhetische Gehalt in dem Gedankeninhalt des Werkes finden lassen. Er müsse seinen Niederschlag finden in der Gedankenformung und Gedankenführung des dargestellten Inhalts und/oder in der besonderen geistvollen Form und Art der Sammlung, Enteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes.

Das OLG Frankfurt kommt zu dem Schluß, daß die untere Grenze der Urheberrechtsschützfähigkeit ein bedeutendes schöpferisches Überragen der Gestaltungstätigkeit in Auswahl, Sammlung, Sichtung, Anordnung und Einteilung der Informationen und Anweisungen gegenüber dem allgemeinen Durchschnittskönnen voraussetzt. Der Sachverständige stellt zusammenfassend fest, daß die Programme ein gegenüber dem allgemeinen Durchschnittskönnen deutliches Überragen der Gestaltungsfähigkeit in Auswahl und Einteilung der Informationen erkennen ließen.

Nachdem in einigen erstinstanzlichen Urteilen der Eindruck erweckt wurde, daß praktisch alle Computerprogramme, mit Ausnahme von ganz banalen Computerprogrammen durch das Urheberrecht geschätzt seien, scheint sich nun eine"Wende" der Rechtsprechung dahingehend abzuzeichnen, daß doch nur solche Computerprogramme urheberrechtlich geschätzt sind, die eine weit über dem Durchschnitt liegende individuelle Leistung zeigen.

BGH-Urteil setzt Maßstäbe

Diese Auffassung wird auch durch das vor kurzem veröffentlichte BGH-Urteil "Ausschreibungsunterlagen" bestätigt, mit dem der Bundesgerichtshof sein seit längerer Zeit erwartetes Urteil zur Frage der Urheberrechtsschutzfähigkeit von Computerprogrammen vorzubereiten scheint: Im entschiedenen Fall ging es um die Urheberrechtsschutzfähigkeit von Ausschreibungsunterlagen für den Bau einer Pipeline.

Dabei hatte der BGH ausgführt, daß für derartige technische Beschreibungen Urheberrechtsschutz nur dann besteht, wenn die konkrete Formgestaltung eine das durchschnittliche Ingenieurschaffen beim Pipelinebau deutlich überragende individuelle Eigenart zeige. Dies folge aus dem Wesen des Urheberrechtsschutzes und seiner Abgrenzung gegenüber den technischen Schutzrechten.

Da der im fraglichen Fachbereich üblichen Ausdrucksweise regelmäßig eine eigenschöpferische Prägung fehlen würde, käme ein Urheberrechtsschutz nur für eine besonders geistvolle Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffs in Betracht.

Wenn dies bereits für technischwissenschaftliche Schriftwerke gilt, in denen ein Bauwerk beziehungsweise eine Maschine beschrieben werden, so gilt dies noch viel mehr für ein Computerprogramm, das der Steuerung einer DV-Anlage dient und damit noch mehr mit dem technischen Gegenstand verwoben ist.

Mit Fragen des, dem Urheberrecht zugrunde liegenden Persönlichkeitsrechts des Urhebers sowie der langen Schutzfrist von urheberrechtlich geschätzten Werken hatte sich das Gericht nicht auseinanderzusetzen. Das Entstehungsdatum der Programme konnte der Kläger durch Zeugen beweisen, was dann nicht erforderlich gewesen wäre, wenn es bereits - wie in den USA - eine amtliche Registrierung von Computerprogrammen gäbe.

Auch wenn sich die nunmehr abzeichnende Rechtsprechung durchsetzen dürfte, wonach nur solche Programme urheberrechtlich geschützt sind, die eine weit über dem Durchschnitt liegende individuelle Leistung zeigen, so muß doch darauf hingewiesen werden, daß beispielsweise einfache Computerprogramme auch weiterhin durch eine Kombination aus Warenzeichengesetz, dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), dem Vertragsrecht und insbesondere dem technischen Schutz geschätzt werden können.

Dies gilt insbesondere gegenüber dem Kopierer von Computerprogrammen, der die Kopien wirtschaftlich verwerten möchte. Gerade die wirtschaftliche Verwertung von Programmkopien ist für die Software-Industrie besonders störend, während die Kopie für den Eigenbedarf beziehungsweise der Tausch bei den meisten Programmen - vielleicht mit Ausnahme der Videospiele von untergeordneter Bedeutung sein dürfte.

Interessant sind auch die Ausführungen des Sachverständigen zur Frage der Implementierung von Algorithmen beziehungsweise der Schaffung eines "computergerechten" Algorithmus, für den offensichtlich nicht das gleiche Freihaltungsbedürfnis für die Allgemeinheit besteht, wie etwa bei einem mathematischen Algorithmus.

Das OLG Frankfurt hat bei der Frage der Verletzung der Urheberrechte des Klägers lediglich auf die Übereinstimmung im Verarbeitungsteil des Programms abgestimmt. Die Nichtberücksichtigung der Eingabe-/Ausgabeteile ist insofern etwas unbefriedigend, als der Sachverständige -bei seiner Feststellung, daß es sich nicht um einfache Programme handele, unter anderem fordert, daß "das Programm robust sein müsse, also falsche Eingabedaten und Bedienungsfehler zurückweisen" und insbesondere "ergonomischen Bedürfnissen entsprechen" müsse. Diese Aussagen beziehen sich jedoch im wesentlichen auf die Eingabe-/Ausgabeteile, so daß diese wohl auch in der Gesamtbetrachtung hätten einbezogen werden müssen, wenn die Benutzung des gesamten Programms verboten werden soll.