Frankenberg: Novell ist und bleibt die Networking-Company Netware steht im Mittelpunkt der DV-Szenarien der Zukunft CW-Bericht, Juergen Hill

06.05.1994

BRUESSEL - Der alte Steuermann Ray Noorda hat das Novell-Schiff verlassen und einem neuen Lotsen Platz gemacht. Mit Bob Frankenberg betritt ein DV-Profi die Bruecke des LAN-Marktfuehrers, der fuer Kontinuitaet und Umbruch gleichermassen steht. So bleibt der neue Frontmann weiterhin dem Networking verbunden, will aber die Mormonen-Company kuenftig auch auf Applikationskurs trimmen, um Konkurrenten wie Microsoft endlich nennenswert Paroli bieten zu koennen.

Bei allen Unklarheiten ueber moegliche weitere Einkauf-Trips des Netzwerkspezialisten aus Provo - in einem Punkt sehen die Teilnehmer der "Novell Brainshare" in Bruessel jetzt klarer: Neben den bisher bekannten Novell-Glaubensgrundsaetzen "Yes Netware", "Yes Unixware", "Yes Appware" gehoert nun auch das Bekenntnis "Yes Groupware" zum guten Ton.

Oberstes Ziel ist und bleibt jedoch, wie Frankenberg vor dem Bruesseler Brainshare-Auditorium zum besten gab, die weitere Verbreitung des Netzwerk-Betriebssystems Netware, von dem in Europa mittlerweile 1,4 Millionen Server und 14 Millionen Nodes installiert sind. Denn, so Frankenbergs Bekenntnis, "Novell ist und bleibt die Networking-Company".

Naechste Zielgruppe sind fuer den CEO nun die Mainframer in aller Welt, deren Rechnerarchitekturen vollstaendig in die Netware-Welt integriert werden sollen. Wenn es die Novell-Marketiers auch nur annaehernd schaffen, hier die notwendige Ueberzeugungsarbeit zu leisten, warten weltweit immerhin rund 15 Millionen Terminals auf ihre Abloesung durch entsprechende Netware-Clients.

Ray Noordas Nachfolger hat aber nicht nur die Mainframer im Visier - glaubt man seinen Visionen, ist das DV-Szenario der Zukunft in erster Linie eine Netware-zentrische Welt, in der fast jeder PC via Netware vernetzt ist und netzwerkfaehige Applikationen dem Groupware-Gedanken zum Durchbruch verhelfen. Dabei versteht es sich fast von selbst, dass die Groupware-Anwendungen aus Provo stammen.

Dass sich daraus Reibereien mit Konkurrenten wie Microsoft und Lotus ergeben werden, ist auch Frankenberg klar, der im Gegensatz zu seinem Vorgaenger nicht mehr auf der Harmoniewelle reitet.

Jenseits aller Netware-Utopien druecken die Anwender indes nach wie vor ganz alte Schuhe. Sie bemaengeln, wie beispielsweise Michael Tillmann, LAN-Manager an der Duke University in Durham, den unbefriedigenden Enterprise-Level-Support des Unternehmens. Lizenzen ja, aber Fehlanzeige, wenn es um eine passende Supportnummer geht, berichtete der frustrierte Anwender, der auch bereit waere, fuer eine entsprechende Dienstleistung zu zahlen. Eine Einstellung, die nicht alle US-Anwender mit Tillmann teilen. Beim Gros der Systembetreuer stoesst der Gedanke, fuer Novells direkten Telefonsupport 150 Dollar hinzublaettern, auf Ablehnung.

Auch die hehre Vision der netzwerkfaehigen Groupware-Applikationen, die alle aus einer Hand stammen, fand bis dato nicht die ungeteilte Begeisterung der Novell-Klientel. Analysten wie etwa Rich Brown von der University of Northern Colorado befuerchten, dass durch die Verbindung von Novell und Wordperfect ein weiteres der in der DV-Industrie hinlaenglich bekannten Kartelle entsteht, das sich, so Brown, unter Umstaenden als "echtes Monster entpuppt".

In diesem Zusammenhang beeindruckt es den neuen Novell-Chef bei seinem Traum von der grossen Networking-Zukunft wenig, wenn die Anwender mit so banalen Wuenschen wie dem, man moege doch erst einmal alle Bugs von Wordperfect beseitigen, an ihn herantreten. Solche Forderungen sind fuer Frankenberg eigentlich kein Thema mehr, da er, so der Tenor seiner Rede, bereits das Ende der Software-Applikationen nahen sieht. Fuer ihn scheint, dieser Eindruck verfestigte sich bei seinem ersten Auftritt in Europa, bereits festzustehen, dass Anwendungen wie Wordperfect kuenftig als Netware Loadable Modules (NLMs) ausgeliefert werden.

Nach Meinung der Anwender fehlt Novell allerdings noch eine Datenbank, damit der NLM-Traum von den umfassenden Netzwerkapplikationen auch Realitaet werden kann. Zwar sieht Frankenberg in punkto Datenbankakquisition keinen Handlungsbedarf, da man im Zuge des Quattro-Pro-Geschaeftes von Borland auch eine Million Paradox-Lizenzen erworben habe, doch diese Ansicht teilen nicht alle Novell-Fuehrungskraefte. So liebaeugelt Vice-President Greg Fallon bereits mit dem Datenbankanbieter Oracle, der nach Fallons Meinung die Novell-Produktpalette gut ergaenzen wuerde.

Eine zentrale Rolle kommt bei Novells Planungen, die wichtigsten Netzanwendungen aus einer Hand anzubieten, dem Entwicklungs-Tool Appware zu, das den Aufbau plattformuebergreifender Applikationen ermoeglichen soll. Frankenberg raeumte hier zwar ein, dass mit einem solchen plattformuebergreifenden Tool die hardwarespezifischen Vorteile der verschiedenen Rechnerfamilien verlorengingen. Diesem Nachteil stehe aber entgegen, dass mit Hilfe von Appware kuenftig ueberall im Netz einheitliche Datenbestaende verfuegbar seien, auf die von jeder Plattform aus zugegriffen werden koenne, ohne sich mit zeitraubenden Konvertierungsvorgaengen aufzuhalten.

Ferner will Frankenberg durch das Angebot an zusaetzlichen netzwerkfaehigen Applikationen die Marktfuehrerschaft seiner Company im Networking-Business gegenueber Microsoft verteidigen, denn, so die Durchhalteparole des CEO, "Microsoft ist eine Desktopcompany, die bisher Schwierigkeiten hat, uns in den Netzwerkbereich zu folgen." Selbst wenn dies Bill Gates gelaenge, liessen sich, so der Novell-Chef weiter, "noch viele Bereiche finden, in denen uns Microsoft nicht folgen kann".

Fuer diesen erneut heraufziehenden Kampf der Softwaregiganten hat Novell gleich mehrere Eisen im Feuer. Neben Unixware, das fuer Frankenberg die "robusteste Application-Server-Plattform der gesamten DV-Industrie" darstellt, portieren die Netzwerker aus Provo Netware als Server-Betriebssystem auf den Power-PC von Apple. Netware wird auf diese Weise zum ersten Betriebssystem, das auf einem Apple-Rechner laeuft und von der Mac-Company nicht selbst entwickelt wurde. Waehrend sich Apple von der Allianz mit Novell mehr Erfolg beim Eindringen in den Intel-dominierten Server-Markt verspricht, bekommt Novell durch die Allianz Zugriff auf Apples Know-how im Bereich der grafischen Benutzer-Interfaces - Erfahrungen, so Frankenberg, von denen wir "sicherlich profitieren koennen."

Ein Know-how im uebrigen, das Novell sicherlich gut gebrauchen kann, wenn das Unternehmen sein Vorhaben, bis 1997 ein objektorientiertes Unix mit integrierter Netware-Funktionalitaet anzubieten, verwirklichen will. Zusaetzlich ist die Integration von Appware als Entwicklungsplattform in das neue Betriebssystem geplant.

Ein objektorientiertes Unix ist fuer 1997 geplant

Der CEO wird daher auch nicht muede zu betonen, dass Unixware fuer sein Unternehmen auch kuenftig ein strategisches Produkt bleibt, woran auch der 82-Millionen-Dollar-Deal mit Sun nichts geaendert habe.

Bei allen Bekenntnissen zu Unix steht allerdings noch nicht fest, wie dessen objektorientierte Zukunft aussehen soll. Vorerst will sich Frankenberg noch nicht auf technologische Details festlegen, "da die Technologien wie Sprachen nicht fuer jeden Zweck gleichermassen geeignet sind". Bis zur endgueltigen Ueberarbeitung der Objektstrategie wollen die Netzwerker aus Provo sowohl Corba wie auch Obex unter- stuetzen.

Allerdings ist dieser Zwist fuer Frankenberg von untergeordneter Bedeutung. Fuer ihn ist vielmehr entscheidend, dass sich die kuenftige Arbeitswelt weg von einem applikationsorientierten hin zu einem dokumentenorientierten Arbeiten entwickelt. Dazu will die Company in den naechsten fuenf Jahren die Bedienbarkeit von Netware so weit verbessern, dass auch ein grossangelegter Einstieg in den Consumer-Markt moeglich und der Netzteilnehmer potentiell ueberall erreichbar ist. Den ersten Schritt in diese Richtung hat Novell laut Frankenberg bereits mit DOS 7 und Personal Netware vollzogen.

Ob das Szenario einer allgegenwaertigen Informationsueberflutung, bei der es "keinen Ort gibt, an dem ein Verstecken vor den Informationen moeglich ist", jedermann als erstrebenswertes Ziel erscheint, mag bezweifelt werden. Zumindest fuer den CEO steht bereits heute fest, dass mit der Etablierung von ATM als High- speed-Netz die Vision vom globalen LAN Realitaet wird.

So hofft man mittlerweile auch bei Novell, an der Goldgraeberstimmung in Sachen Information-Highway partizipieren zu koennen. Das Unternehmen will zur Verwirklichung des interaktiven Fernsehens, einer der Applikationen, die ueber die kuenftigen Datenautobahnen abgewickelt werden sollen, die Blackbox zur Steuerung liefern. Die Kosten fuer das Geraet schaetzt Frankenberg auf rund 300 Dollar, ein Preis, der sich nach Ansicht des Novell- Bosses nur mit Netware in der Box, nicht aber mit einer Windows- Loesung realisieren laesst.

Grundlage des Novell-Konzeptes ist die Netware Embedding System Technology (NEST), die Peripheriegeraete aller Art wie Kopierer, Faxgeraete etc. in eine Netware-Umgebung einbinden soll. An Anwendungsszenarien schwebt Novell dabei neben dem Office- und Consumer-Segment auch der Einsatz in der industriellen Fertigung vor. Roboter und Maschinen sollen sich kuenftig dank NEST von Echtzeit-Betriebssystemen via Netware ansteuern lassen.