Digital-Manager setzen weiter auf Alpha, aber:

"Frage nach der CPU wird nicht mehr wichtig sein"

06.03.1998

CW: Angesichts der anstehenden Übernahme von DEC durch Compaq drängt sich die Frage nach der Zukunft der Alpha-Technologie auf.

Croxon: Ich glaube, auch Compaq wird zugeben müssen, daß wir mit der Alpha-CPU die leistungsfähigste Architektur am Markt anbieten können. Diesen Vorsprung werden wir auch in Zukunft halten.

CW: Digital beschäftigt 500 Ingenieure, die die Alpha-Technologie weiterentwickeln. Das ist nichts gegen die Ressourcen, die Intel für kommende Prozessorgenerationen aufwenden kann...

Jenkins: Aber Digital hat heute schon mehr Erfahrung mit der 64-Bit-Technologie als irgend jemand sonst in der Branche. Wir haben die Chips, wir haben die Betriebssysteme...

Croxon:... und außerdem wissen wir ganz gut über Intels Produktplanungen der Zukunft Bescheid: Deren erster 64-Bit-Prozessor, der Merced-Chip, wird wie unsere zukünftige Alpha-CPU mit einer Strukturbreite von 0,18 Mikrometer gebaut sein. Aber unser Produkt ist nur halb so groß. Außerdem wird der Alpha-Prozessor als erster Chip der Welt mit einer Taktrate von 1 Gigahertz aufwarten können. Wir haben für die nächsten fünf Jahre einen Leistungsvorsprung vor jeder anderen Architektur und auch vor Intels Merced.

CW: DEC trägt nun schon seit Jahren das Technologieargument vor sich her wie eine Monstranz, um seine Alpha-Technologie zu bewerben. Geholfen hat es nicht besonders viel. Wohl auch, weil Technologieargumente nicht interessieren.

Jenkins: Es gibt durchaus Bereiche, wo das Technologieargument sticht. Das hängt vom Marktsegment ab.

CW: Trotzdem: Intels Merced neben DECs Alpha - wieviel Sinn macht das?

Croxon: Gut, man könnte fragen, ob beide Architekturen gemeinsam eine Existenzberechtigung besitzen. Von einem betriebswirtschaftlichen, von einem rein geschäftlichen Standpunkt aus betrachtet, läßt sich argumentieren: Nein, das ist nicht wirklich nötig. Aber der DV-Markt setzt sich aus verschiedenen Anwendungsbereichen, teils Nischen zusammen, in denen sich ganz unterschiedliche Anforderungen stellen. Und da besitzt die Alpha-Technologie im High-end-Segment absolut ihre Existenzberechtigung.

CW: In einem Unternehmen Compaq-Digital-Tandem wird es sechs verschiedene Betriebssysteme geben - drei davon sind unterschiedliche Unix-Derivate. Hinzu kommen drei beziehungsweise vier verschiedene Hardwareplattformen, je nachdem, wie man die Abwärtskompatibilität von Intels künftiger 64-Bit- zur heutigen 32-Bit-Architektur einschätzt. Da kann eine gewisse Produktbereinigung doch nicht ausbleiben.

Jenkins: Nun, für Digital Unix sehen wir gute Chancen. Für Tandem dürfte dessen 64-Bit-Technologie hochinteressant sein - insbesondere für deren Midrange-Systeme. SCO Unix hingegen ist zwar für Compaq momentan noch ein nicht zu vernachlässigendes Produkt, immerhin verkauft das Unternehmen pro Jahr rund 120 000 Server unter SCO Unix. Aber SCO ist lediglich als 32-Bit-Architektur ausgelegt...

CW: ... SCO arbeitet aber heftig an einer 64-Bit-Implementierung, und bislang hat das Unternehmen seine Zeitpläne immer eingehalten ...

Jenkins: ... die Wahrscheinlichkeit, daß SCO Unix irgendwann in absehbarer Zukunft auf 64 Bit getrimmt wird, ist aber eher gering. Also wird SCO gegen NT konkurrieren genauso wie gegen Novell. Und da ist heute schon abzusehen, daß beide Betriebssysteme schnell Marktanteile gegen NT verlieren werden. Novell noch schneller als SCO - aber beide werden verlieren.

CW: Aber will nicht NT mit seinen Cluster-Fähigkeiten auch in Hochleistungsbereiche drängen, die bislang von Unix abgedeckt werden?

Jenkins: Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis NT im Cluster-Umfeld interessante Skalier- und Verfügbarkeitskriterien aufweisen kann. VMS ist da ganz eindeutig das beste Cluster-Betriebssystem. VMS bietet heute schon verschiedene Charakteristika wie sogenannte Disaster Tolerance, transparentes Fail-over oder Batch-queuing, die notwendig sind, um Nonstop-Computing-Eigenschaften zu realisieren - übrigens zu einem Bruchteil des Preises, den man heute für Tandem-Systeme zahlen muß. Unser Plan ist nun, Digital Unix auf das gleiche Leistungsniveau zu heben.

Croxon: Bezüglich der Hardwareplattformen geht der Weg natürlich Richtung Standardisierung. Meine Vision ist: Es wird in der Industrie prozessorunabhängige Plattformen geben mit gemeinsamen Ports zu den Betriebssystemen, die sich am Markt durchgesetzt haben. Solche Systeme zu bauen ist nicht wirklich schwierig.

CW: Sie reden von Systemen, die sich im wesentlichen nur noch durch unterschiedliche Prozessortypen voneinander unterscheiden?

Croxon: Genau. Und die Prozessoren lassen sich austauschen. Man kann sogar Systeme mit einer Prozessor-unabhängigen Architektur entwickeln, in denen gleichzeitig zwei unterschiedliche Prozessortypen arbeiten. Gut, am Binary-System muß man etwas feilen - aber konzeptionell ist das im wesentlichen standardisiert. Mit anderen Worten: Die Frage nach den Prozessoren wird in Zukunft gar nicht mehr so wichtig sein.

CW: Wovon hängt es dann ab, welche Hardwaretechnologie sich am Markt durchsetzt?

Croxon: Entscheidend für die Frage, welche Hardware-Architektur sich am Markt durchsetzen wird, sind die Kosten. Und da hat derjenige Vorteile, der seine Prozessorfertigung am besten standardisiert.

*Don Jenkins ist Director des Unix Business Segment. Brain Croxon ist Vize-President verantwortlich für das Alpha Server Business Segment bei Digital.