Forum 77 für Wissenschaft und Verwaltung in der \Bundeshauptstadt: IBM aktiviert seine Bonner Lobby

23.09.1977

BONN - Einen vollen Werbeballon ließ IBM dieser Tage über der öffentlichen Verwaltung steigen: Unter dem Leitmotto "Der Computer bringt dem Bürger die Verwaltung näher" brachte der Marktführer auf dem "Forum 77 für Wissenschaft und Verwaltung" in Bonn den DV-Spezialisten und Budget-Verwaltern von Bund, Ländern und Gemeinden seine Produkte und Dienstleistungen näher: Von 90 Vorträgen waren 58 eindeutig IBM zugeordnet; alle 25 Praktika wurden auf IBM-Maschinen gefahren.

"Eine Abhängigkeit zum Großkapitalisten IBM ist dadurch aber nicht gegeben", wies Hausherr Prof. Dr. Hans Egli, Prorektor der Uni Bonn, ob der massiven Selbstdarstellung des DV-Marktführers, Zweifel an der Neutralität der Veranstaltung zurück.

Mit dem hohen Anspruch, "über Erfahrungen der Computeranwendung Bilanz zu ziehen und neue Wege in die Zukunft abzustecken" wollte das Forum den Stand der DV in der gesamten öffentlichen Verwaltung der Bundesrepublik Deutschland widerspiegeln. "Wir haben jahrelang um dieses Forum gekämpft und es ist uns Anlaß zur Freude genug, endlich diese Kontaktbörse für interdisziplinäres Arbeiten bei uns im Hause zu haben", versuchte der' Wissenschaftler die totale IBM-Tagung ins rechte Licht zu rücken, zu der der IBM-Fachbereich für Wissenschaft und Verwaltung und die Universität Bonn geladen hatten. Zur Diskussion über "Computer-Nutzung für bessere kommunal-, landes- und bundespolitische Entscheidungsfindung und besseren Verwaltungsservice" bei der mit DV-Mitteln üppig ausgestatteten öffentlichen Hand (DV-Ausgaben des Bundes 1977: 224 Millionen) kamen 2000 Wissenschaftler und Verwaltungsfachleute.

Das Forum informierte beispielsweise über "Funktionen zukunftsorientierter Betriebssysteme (". . . wie schon in MVS vorhanden") oder den "Produktivitätszuwachs durch den Einsatz der IBM 3790 in der Krankenversicherung". Als ,;Drauf- und Dreingabe" lagen stapelweise Broschüren, Plakate sowie Prospekte ("Das kleine Abc der IBM" oder "IBM - ein Unternehmen stellt sich vor") aus. Auch politischemotionelle Bedenken gegen das multinationale Unternehmen konnten im Referat A 31 besänftigt werden, weil es sich bei den Anschuldigungen in aller Regel um Übertreibungen, um pauschale Vorurteile beziehungsweise Verallgemeinerung von Einzelfällen handelt" und übersehen wird, daß "den Vorwürfen eine ganze Reihe anerkannter Vorteile gegenüberstehen". So würde IBM beispielsweise "die Gewinne dort versteuern, wo verkauft beziehungsweise produziert wird".

Hier gekürzte Fassungen der interessantesten Forum-Referate:

Prof. Dr. G. Wittkämper referierte über die Wandlung des Begriffes Informationssysteme:

Die Zielsetzungen, die die fortgeschrittenen Automaten und die ersten Datenverarbeitungsmaschine verfolgten, betrafen nahezu ausschließlich den sogenannten primären Rationalisierungsraum, das unmittelbare Arbeitsvollzugsfeld des Menschen. Die zweite Generation der Informationssysteme ließ sich im Grunde nicht optimal nutzen ohne Bewältigung ihrer Herausforderung an die betriebliche Ablauf- und Aufbauorganisation.

In der täglichen Anwendung beider Generationen standen technische Probleme des Baus und des Betriebs im Vordergrund, die Programmierung als eigenständiger Problembereich kam eher zögernd hinzu. Etwa ab 1964-1966 beginnt die Einführung der dritten Generation von Informationssystemen. Bei ihr steht von Anfang an der sekundäre Rationalisierungsraum, das heißt das soziale Einzelsystem insgesamt, im Zielmittelpunkt. Das Marketing der Hersteller wird als Systemmarketing aufgezogen: Es wird nicht mehr

ein Informationssystem angeboten, sondern eine neue Lösung der Aufbau- und Ablauforganisation und der in ihr sich vollziehenden Mensch-Mensch sowie Mensch-Maschine-Beziehung, eine mikrosoziale Problemlösung.

In der täglichen Anwendung stehen nicht mehr die Probleme des Baus und Betriebs im technischen Sinne im Vordergrund, sondern Probleme der Systemanalyse, der Systemplanung und der Anwendungsprogrammierung.

Informationssystem der fortgeschrittenen dritten Generation ist Teil eines neuen gesellschaftlichen Verfahrenstyps von Problemlösung, der sich als Kombination von technischer, intellektueller und sozialer Technologie darstellt. Diejenigen, die unter dem Druck des Tages beim heutigen technischen Stand der fortgeschrittenen dritten Generation gern ein "Es ist erreicht" aussprechen und das Gewachsene vollenden wollen, sehen sich nun - nach einer Zwischenzeit einer mehr gefühlsmäßigen gesellschaftlichen Antihaltung gegen integrierte IS-Systeme - vor der Aufgabe, die Herausforderungen der entdeckten neuen Wirklichkeit zu bewältigen. Dazu zwingt sie oft der Gesetzgeber, wie bei der Datensicherheit und beim Datenschutz.

Aber die Herausforderung ist viel größer, als sich das in diesen und anderen Normen widerspiegelt. Daß wir eine dynamische Kultur gewählt haben - vielleicht ohne es zu wissen -, ist klar, aber wie diese aufbau- und ablauforganisatorisch in der Informations- und Kommunikationsstruktur gestaltet werden soll, ist die durch die fortgeschrittene dritte Generation gestellte Frage. Es geht, mit einem Wort von Richard F. Behrendt, darum, für die uns zur Verfügung stehenden Sachtechniken die adäquaten Sozialtechniken zu finden. Dies gilt nicht nur für den Schutz- und Sicherheitsbereich, darüber hinaus aber für die gesamte Steuerungslogik unserer sektoralen und regionalen sozialen Systeme; Die IS-Systeme der dritten Generation haben eine neue Wirklichkeit konstituiert, aber wir tun allzu oft so, als hätten wir die alte Wirklichkeit der ersten und zweiten Generation lediglich verbessert um einige technische Komponenten.