Lernmöglichkeiten werden zunehmend zum Entscheidungskriterium:

Fortbildungschance bestimmt die Wahl des DV-Arbeitsplatzes

16.09.1988

*Hans-Jürgen Twiehaus ist Leiter der Siemens-Schule für Kommunikations- und Datentechnik in München, Jutta Wirth ist ebenfalls dort tätig.

Arbeitsabläufe und -inhalte wandeln sich durch verstärkten Technikeinsatz zunehmend. Dadurch kommt vor allem der beruflichen Weiterbildung von Mitarbeitern immer mehr Bedeutung zu. Auch der Nachwuchs wird künftig die Attraktivität eines Unternehmes nach den Weiterbildungsmöglichkeiten bewerten.

Fachleute bezeichnen den Arbeitsmarkt heute als "gespalten": Auf der einen Seite gibt es - trotz momentaner Konjunkturabschwächung - einen eklatanten Mangel an Fachkräften auf dem Markt für DV-Berufe, was besonders für den Software-Entwicklungsbereich gilt. Auf der anderen Seite existiert ein Überangebot an qualifizierten Arbeitslosen, die in ihrem Beruf keine Chance haben. Gleichzeitig wird deutlich, daß Arbeitsabläufe und Arbeitsinhalte zunehmend einem starken Wandel unterliegen - das gilt vom Arbeitsplatz der Sekretärin über den Sachbearbeiter bis hin zum Chef.

Diese Erkenntnis löst verständlicherweise nicht nur Begeisterung aus, sondern auch Befürchtungen: Werde ich das noch lernen können? Wie wird meine Arbeit in Zukunft aussehen und bewertet werden? Wo bleibt meine Autorität? Ist mein Arbeitsplatz gefährdet? Wenn diese Verunsicherungen nicht ernst genommen werden, entstehen erhebliche Akzeptanzprobleme, die den Erfolg von vornherein gefährden. Neue Technik kann nicht von oben "verordnet" werden. Ihr Einsatz läßt sich nur gemeinsam mit allen Mitarbeitern konstruktiv planen und einführen. Nur wenn alle an einem Strang ziehen und bereit sind, die Vorteile der neuen Technik für ihre Arbeit zu nutzen, sich das nötige Wissen und Können anzueignen, wird der erhoffte Nutzen der Investition auch eintreten können.

Für diese Lernphase muß genügend Zeit und auch Geld aufgewendet werden. Es ist sicher nicht ausreichend, mal einen Mitarbeiter, der zu Hause einen Minicomputer hat, "auf Kurs" zu schicken, damit er es dann den anderen beibringen kann. Die Qualifizierung für neue Technik erfordert mehr. Auch der Chef muß wieder lernen, damit er richtige Entscheidungen treffen kann und weiß, wovon seine "Experten" reden. Es ist langfristig besser, die Kosten hierfür rechtzeitig in eine realistische Investitionsplanung einzubeziehen, als im Nachhinein "Investitionsruinen" zu beklagen.

Auch die Meinung, durch die Freisetzung älterer Mitarbeiter und mit der Einstellung eines qualifizierten jüngeren Nachwuchses könnten Akzeptanz- und Ausbildungsprobleme umgangen werden, trifft in diesem Ausmaß sicher nicht zu. Am Arbeitsmarkt der neunziger Jahre werden aufgrund des Geburtenrückgangs qualifizierte Jüngere nur begrenzt zur Verfügung stehen. Außerdem kann auf die Erfahrung und die Arbeitseinstellung der Älteren gar nicht verzichtet werden. Arbeitsorganisation, Qualifizierung, betriebsspezifische Software-Entwicklung, Wirtschaftlichkeit und Humanisierung des Arbeitslebens bedingen sich gegenseitig, stellen den Teil eines Regelkreises dar.

Es liegt auf der Hand, daß die Erfüllung dieser Qualitätsstandards einen erheblichen Aufwand an materieller Vorleistung erfordert, den letztlich nur wenig Institute aufbringen können. Noch wichtiger als das technische Equipment ist jedoch das Wissen und Können der Dozenten, die im günstigsten Fall ihre Tätigkeit im Wechsel mit eigener praktischer Arbeit im Lernfeld ausüben sollten.

Wissen um Zusammenhänge ist nicht produktabhängig

Eigentlich sind nur große Herstellerschulen heute in der Lage, diese Voraussetzungen gleichermaßen zu erfüllen. Hier ist das technische Know-how durch die Verbindung zu eigenen Forschungs- und Entwicklungs-, aber auch Anwendungsabteilungen auf dem neuesten Stand. Hier hat man ausreichend Erfahrung in der Weiterbildung eigener Mitarbeiter und Kunden. Hier steht genügend Kapital zur Verfügung, die Aus- und Weiterbildung der Dozenten zu gewährleisten.

Ein Beispiel für ein am aktuellen Bedarf orientiertes Berufsbild soll hier für viele stehen: Kommunikationsprogrammierer, wie sie zum Beispiel Siemens für den eigenen Nachwuchs, aber auch im Auftrag der Arbeitsverwaltung ausbildet.

Kommunikationsprogrammierer entwickeln selbständig DV-Systeme zur Lösung komplexer Problemstellungen aus der betrieblichen Praxis. Sie können dabei Methoden, Techniken und Werkzeuge des Softwareengineering zur Planung, Realisierung und Dokumentation anwenden:

- Software nach den Grundsätzen moderner Strukturierungsmethoden entwerfen,

- COBOL-, Assembler- und C-Programme codieren und testen,

- benutzerfreundliche Dialogsteuerungen realisieren,

- Qualitätssicherungsmethoden einsetzen,

- Datenbank- und Datenfernverarbeitungssysteme in das Konzept einbeziehen.

Sie kennen die betriebswirtschaftlichen Grundbegriffe, Einsatzmöglichkeiten von Standardsoftware zur Lösung betriebswirtschaftlicher Aufgaben sowie die wesentlichen Bestimmungen und Maßnahmen zum Datenschutz.

Inzwischen haben große Herstellerschulen ihr Angebot auch erheblich um solche Kurse erweitert, die nicht an die Produkte des Herstellers gebunden sind. Ob man die Cobol-, Assembler- oder Fortranprogrammierung oder die PC-Anwendungen Textverarbeitung, Kalkulationsprogramme oder ähnliches auf Siemens-, IBM- oder sonstigen Rechnern lernt, ist letztlich für die Anwendbarkeit unwichtig. Auch das Wissen um organisatorische Zusammenhänge oder richtiges Führungsverhalten sind nicht produktabhängig. Beispielsweise bietet die Siemens-Schule für Kommunikations- und Datentechnik in ihrem nicht produktgebundenen Bereich bundesweit über 130 verschiedene Seminare an. An diesen Kursen kann man teilnehmen, auch wenn man nicht Siemens-Mitarbeiter oder Siemens-Kunde ist.

Für den Nachwuchs ist DV-Ausbildung wichtig

Insbesondere für mittelständische Firmen und Selbständige gibt es beispielsweise in Niedersachsen mit Unterstützung der dortigen Landesregierung sogenannte "Technologie-Trainings-Zentren", so etwa in Zusammenarbeit mit Siemens in Oldenburg und Hannover.

Die kleinste DV-Anlage für den kommerziellen Gebrauch kostet heute etwa soviel wie ein Kleinwagen und leistet mehr als große Computer noch vor ein paar Jahren. Diese Tatsache und ein umfangreiches Weiterbildungsprogramm für Chefs und Mitarbeiter ermöglichen es heute Selbständigen und mittelständischen Unternehmen, die Vorteile moderner Informationstechnik für den eigenen Erfolg zu nutzen - so wie es Großunternehmen schon seit langem tun.

In der COMPUTERWOCHE Nr. 46 vom 13. November '87 fordert Hans Barth, Mitglied der Geschäftsleitung der Prognos AG, Basel, in seinem Artikel: "Mangel an Qualifikation statt an Arbeitsplätzen" unter anderem: "Die berufliche Weiterbildung des vorhandenen Personals wird folglich einen zunehmend höheren Stellenwert erlangen. Betriebliche wie überbetriebliche Weiterbildungsmaßnahmen und -programme müssen vor diesem Hintergrund im ureigenen Interesse der Unternehmen liegen".

Darüber hinaus wird auch die Attraktivität von Unternehmen für qualifizierten Nachwuchs in Zukunft verstärkt davon abhängen, wieviel Zeit und Geld von Seiten des Arbeitgebers für die berufliche Weiterbildung zur Verfügung gestellt werden. Denn die nachwachsende Generation ist nicht mehr im bisher gewohnten Ausmaß, vor allem durch materielles Einkommen zu motivieren. Der Grad an Selbstbestimmung bei der Arbeit, ihre Qualität und die Möglichkeiten, durch geeignete Weiterbildung am technischen Fortschritt teilzuhaben, werden eine zunehmende Rolle spielen.