IPSI Darmstadt testet Versuchsanordnung für die Zeitung 2000

Forscher benutzen Prototypen zukünftiger Publikationsmittel

27.11.1992

*Dipl. Chem. Marlies Ockenfeld ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im GDM-Institut für integrierte Publikations- und Informationssysteme und leitet die Abteilung "Access", die Forschungsarbeiten zu den Anforderungen an multimediale aktive Medien aus Redaktionssicht durchführt.

Die neuesten informationstechnischen Entwicklungen ermöglichen neue Formen der Wissensgewinnung und -verarbeitung. Zu einem bestimmten Sachverhalt lassen sich Informationen nicht nur in Textform darbieten, sondern auch durch Bewegtbild und Tonunterlegung anreichern. Die Vorzüge dieser Kommunikationsmethode werden nun auch auf Computeranwendungen übertragen.

Qualitative Sprünge auf den Gebieten der Datenbank- und Speichertechnik sowie der Telekommunikation haben zu neuen Erscheinungsformen herkömmlicher Mediaprodukte geführt, beispielsweise zu Lexika in Bildschirmtext, Tageszeitungen als Volltext-Datenbanken oder Reiseführern auf CD-ROM. Multimedia-Systeme sollen die Lücke zwischen dem Angebot der herkömmlichen Medien und den neuartigen Produkten für die Nutzung am Bildschirm schließen.

Im Institut für Integrierte Publikations- und Informationssysteme (IPSI) der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) in Darmstadt arbeitet eine interdisziplinäre Forschergruppe im Rahmen der beiden GMD-Forschungsschwerpunkte "Intelligente multimediale Systeme" sowie "Kooperations- und Kommunikationssysteme" an Szenarien und experimentellen Prototypen für Publikations- und Informations- systeme der Zukunft.

Redaktions- und Nutzerumgebung

Mit dem "GMD-Informationsdienst" wurde in Darmstadt ein Pilotprojekt ins Leben gerufen, welches als elektronischer multi- medialer Informationsservice für die GMD-Mitarbeiter dient. Während Multimedia-Anwendungen am Computer - soweit existent - sich bislang hauptsächlich auf isolierte Anwendungen an Stand-alone-Arbeitsplätzen beschränkten, sind im IPSI die Text-, Bild- und digitalen Videoinformationen des multimedialen Dienstes grund- sätzlich institutsweit verfügbar. Allerdings sind nicht alle der

etwa 130 installierten Workstations, die in einem auf einer Client-Server-Architektur basierenden System über Ethernet und TCP/IP miteinander verbunden sind, mit dem erforderlichen Parallax-Board zum Abspielen von digitalem Video ausgestattet. Auch wenn das Pilotprojekt der GMD derzeit noch auf das Institut begrenzt ist, läßt sich das Konzept problemlos auf beliebige andere große, geographisch verteilte Organisationen übertragen.

Ziel des GMD-Informationsdienstes ist die Entwicklung neuer Methoden und Verfahren bei der Erstellung, Weiterentwicklung und Optimierung elektronischer Publikationen, die Text-, Ton-, Bild- und digitale Videoinformationen enthalten.

Durch die Anwendung in der Praxis sammelt das GMD-Redaktionsteam, welches die Beiträge produziert oder übernimmt, Erfahrungen über die Nutzung und die Akzeptanz des elektronischen Mediums.

Mit Hilfe der multimedialen elektronischen Post können Leserbriefe oder mündliche Kommentare direkt an die Redaktion gesandt werden. Das gesammelte Feedback fließt sofort in die Weiterentwicklung des GMD-Informationsdienstes ein.

In der derzeitigen Version stellt dieser Dienst zwei Ebenen bereit: eine Redaktions- und eine Nutzerumgebung.

Die Nutzerumgebung präsentiert dem Leser einen Leitartikel und neueste Nachrichten in Schlagzeilen. Davon ausgehend, kann sich der User - ähnlich wie beispielsweise beim Videotext-Programmangebot eines TV-Senders - in dem nach Sparten gegliederten Informationsangebot bewegen. Dazu ruft er entweder die Informationen der einzelnen Sektionen ab, oder er folgt den elektronischen Verknüpfungen (Hyperlinks) in den einzelnen Dokumenten. Er kann bei den Ton- und Videodokumenten die Lautstärke selbst einstellen sowie Vorlauf und Rücklauf, Einzelbildschaltung und dynamisches Umschalten zwischen mehreren Tonspuren steuern. Zu den diversen Bildern oder Videosequenzen stehen gegebenenfalls - je nach Verwendungszweck und Zielgruppe - unterschiedliche Legenden oder Synchronisationen und Vertonungen zur Verfügung.

Hilfsmittel zur Freigabe und Archivierung

Die Redaktionsumgebung stellt die für die Herstellung und Pflege des lnformationsdienstes notwendigen Werkzeuge bereit. Sie stand im Mittelpunkt der bisherigen Entwicklungsarbeiten. Die vom Redakteur verfaßten Dokumente werden klassifiziert, verschlagwortet und einer Sparte zugeordnet (zur Zeit gibt es davon 15). Außerdem kann man die Links zwischen den Dokumenten definieren. Das Redaktionssystem bietet darüber hinaus Hilfsmittel zur Freigabe und Archivierung sowie zum Import von Beiträgen an und unterstützt die arbeitsteilige Kooperation der verschiedenen Fachleute, die an der Herstellung des Mediums beteiligt sind. Dies sind bei der GMD Autoren von Text-, Ton-, Bild- und Filmdokumenten ebenso wie beispielsweise Grafiker oder Übersetzer.

Das computergestützte elektronische Medium ist in einigen Punkten gängigen Informationsträgern gegenüber im Nachteil: So kann es zum Beispiel auf einer "Seite" weniger darstellen als die Zeitung; auch muß die Wiedergabequalität von Bildern oder Wort- und Tonbeiträgen - gemessen an der TV-Bildschirm-Qualität - verbessert werden. Unter anderen Gesichtspunkten ist das System aber überlegen: Wichtigster Aspekt ist zweifellos der Komfort, den Multimedialität, also die Verbindung von Text, Bild, Ton und Film, dem Leser bietet. Die interaktive Nutzbarkeit ermöglicht Anschauen, Anhören und Lesen der Beiträge.

Im Vorteil ist der Informationsdienst auch durch die Einbindung von direkten Suchmöglichkeiten nach bestimmten Informationen und durch die für Hypermedien typische Verknüpfung von inhaltlich miteinander in Beziehung stehenden Dokumenten. Der problemlose Rückgriff auf früher veröffentlichte Beiträge, die per Mausklick aus dem Archiv aufgerufen werden können, oder auch die Möglichkeit, aus dem Gesamtspeicher persönliche, maßgeschneiderte Ausgaben zusammenzustellen, erweitern die Angebotspalette. Zur Zeit sind jedoch noch nicht alle diese Features realisiert, sondern teilweise erst konzipiert.

Technisch basiert das multimediale Informationssystem der GMD auf einer Client-Server-Architektur von Sun-Sparc-stations und Sparc-Servern unter Sun-OS 4.2.1. Dieses Konzept erlaubt in weiteren Ausbaustufen eine einheitliche Benutzerschnittstelle und für eine Vielzahl von Anwendungen auch ein einheitliches Daten- Management. Eine Sparcstation mit Farbbildschirm und eingebautem Lautsprecher sowie einem Parallax-Board zur Wiedergabe der Bewegtbild-Sequenzen ist die Arbeitsplatz-Ausstattung, die für eine volle Nutzung des GMD-Informationsdienstes erforderlich ist.

Das verwendete Modell, das eine einheitliche Bearbeitung aller Dokumente ermöglicht, basiert auf dem internationalen Standard SGML. Als Datenbanksystem kommt die im Institut entwickelte "Structured Document Base" (SDB) - basierend auf Sybase - Einsatz, die die Dokumente als SGML-Objekte verwaltet. Die Oberfläche ist mit OSF/Motif realisiert.

Mit dem im Institut entwickelten System "imestre" lassen sich Videobeiträge in Echtzeit aufnehmen und darüber hinaus auf beliebig vielen zusätzlichen Audiokanälen nachvertonen, um sie beispielsweise in anderen Sprachen zu synchronisieren.

Der neue Dienst soll in den kommenden Wochen über die Institutsgrenzen des IPSI hinaus zunächst in dem zweiten Darmstädter GMD-Institut, dem Institut für Telekooperations-Technik, und in weiteren Projektphasen auch in den übrigen Standorten der GMD zur Verfügung gestellt werden.

Hierzu sind allerdings noch einige technische Voraussetzungen bei der Datenübermittlung zu schaffen. Gegenwärtig verfügt Darmstadt als einziger Standort über eine einheitliche technische Infrastruktur, die neben den RISC-basierten Sun-Workstations auch Personal Computer unter MS-DOS und sogar Macintosh-Computer einschließt. Hier existiert ein Netzverbund zwischen den beiden Instituten, den eine gemeinsame Gruppe verwaltet. Auf diese Weise werden Einheitlichkeit und Erreichbarkeit sichergestellt.

Sämtliche angeschlossenen Systeme fahren mit den gleichen Software-Releases in weitgehend standardisierten Werkzeugumgebungen.

So ist in beiden Instituten der Zugriff auf sämtliche dort entwickelte Anwendungen problemlos möglich und Forschungsprototypen sind wechselseitig einsetzbar und nutzbar. Herausgabe und Nutzung des multimedialen GMD-Informationsdienstes lassen sich in einem realen Umfeld testen und im Erfahrungsaustausch mit den Anwendern weiterentwickeln. In Kooperationsprojekten mit anderen Partnern sollen darüber hinaus weitere Anwendungsmöglichkeiten erprobt werden.