Ford-Vorstand im CW-Interview: Mensch steht im Mittelpunkt, aber Neue Technologien bestimmen Tempo kuenftiger Entwicklungen

23.12.1994

Der Automobilkonzern Ford will bei der Qualifizierung seiner Produktionsmitarbeiter und in der Weiterbildung Computer- Selbstlernzentren einsetzen. Personalvorstand Hans-Peter Becker erlaeuterte im Gespraech mit CW-Redakteur Hans Koeniges die Gruende fuer die Einfuehrung dieser Zentren und geht auf die Qualifizierungsoffensive seines Unternehmens ein.

CW: Ihr Unternehmen hat eine "umfassende Qualifizierungsoffensive" angekuendigt. Was beinhaltet sie, und wie sind die Lernprogramme in dieses Konzept eingebettet?

Becker: Um neue Arbeitsstrukturen und effizientere Produktionsverfahren einfuehren zu koennen, ist es notwendig, den Facharbeiteranteil in den einzelnen Produktionsstaetten erheblich zu erhoehen. Da dies auf breiter Front zu geschehen hat, ist die Qualifizierungsoffensive (QO) '95 mit immerhin 1200 zu schulenden Mitarbeitern (siehe Kasten auf Seite 38) sehr umfassend.

CW: Wer wird die Schulung durchfuehren?

Becker: Wir tun dies mit unseren eigenen Mitarbeitern, weil wir ueberzeugt sind, dass dort das Potential besteht. Da aber die Eingangsvoraussetzungen fuer eine Aufqualifizierung bei den einzelnen Mitarbeitern durchaus unterschiedlich sind, ist ein individuelles Lernen fuer den Schulungserfolg von grosser Bedeutung. 1200 Personen im klassischen Einzelunterricht zu schulen wuerde allerdings auch uns ueberfordern.

CW: Was ist Ihre Alternative?

Becker: Selbstgesteuertes, individuelles Lernen ist der Koenigsweg, zumal nach einer einmaligen Installation von Selbstlernzentren auch fuer die Zukunft schnell und auf breiter Basis Wissen vermittelt werden kann. Dieses selbstgesteuerte Lernen wird die Weiterqualifizierung unserer Mitarbeiter in allen Bereichen unterstuetzen. Wir haben uns einiges vorgenommen, denn ueber die Aufqualifizierung un- und angelernter Mitarbeiter bietet Ford in Zukunft einen "innerbetrieblichen Bildungsweg" an. Die Ausbildung zum Facharbeiter, Meister, Techniker bis hin zum Diplomingenieur (FH) ist Teil des ehrgeizigen Angebots im Rahmen der Qualifizierungsoffen-

sive '95.

CW: Wo sehen Sie den Unterschied dieses Programms zu anderen?

Becker: Die Einzigartigkeit besteht in der Gesamtheit und Breite jenseits der klassischen Aus- und Weiterbildung. Jetzt wird ein Programm angeboten, das einerseits zugeschnitten ist auf betriebliche Erfordernisse, andererseits aber auch dem Mitarbeiter eine bedeutende Perspektive zur persoenlichen Entwicklung bietet.

CW: Was versprechen Sie sich vom Einsatz dieser Programme? Welche Rolle spielen dabei Kosten?

Becker: Wir versprechen uns davon, unsere Mitarbeiter, speziell in der Fertigung, besser in die neuen Strukturen fuehren zu koennen. Diese Arbeitsstrukturen - Gruppenarbeit und Lean Production sind nur zwei Schluesselbegriffe - bringen nicht nur mehr Effizienz, sondern auch verbesserte Qualitaet. Das wird sich fuer den Kunden und fuer uns auszahlen. Die Kosten der Programme sehen wir deshalb auch vor diesem Hintergrund. Wir sind sicher, dass sich diese Investition in die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter lohnt.

CW: Wie umfangreich ist das Programm? Soll es ganze Kurse, Dozenten etc. ersetzen?

Becker: Das Programm soll keine Kurse oder Dozenten ersetzen, sondern ein zusaetzliches Angebot bringen. In bestimmten Aus- und Weiterbildungsbereichen laesst sich multimediales Lernen nur ergaenzend verwenden, was an den Ausbildungsprogrammen fuer die Fachwerker und Teilezurichter ganz deutlich wird. Dort betraegt der Anteil des multimedialen Lernens etwa 20 Prozent.

CW: Liegen erste Erfahrungen vor?

Becker: Wir haben bereits in der Lehrwerkstatt bei unseren 700 Auszubildenden sehr positive Erfahrungen in bezug auf multimediales Lernen gemacht.

CW: Wie werden die neuen Lerntechnologien angenommen? Gibt es Unsicherheit und Ablehnung?

Becker: Besonders die juengere Generation hat keine Beruehrungsaengste mit diesen Systemen. Bei den anderen Mitarbeitern arbeitet heute schon ein grosser Teil mit Rechnern oder vernetzten Computersystemen. Die Akzeptanzprobleme, die es vor 15 Jahren noch gab, bestehen heute nicht mehr.

Besonders freut uns die Einstellung der Arbeitnehmervertretung, die unsere Qualifizierungsoffensive und die Selbstlernzentren voll unterstuetzt.

CW: Wann (in der Arbeitszeit, ausserhalb der Arbeitszeit) und wo (am Arbeitsplatz, in speziell eingerichteten Lernzentren) kommt die Software zum Einsatz?

Becker: Es wird in unseren nordrhein-westfaelischen Standorten in jedem Werk relativ zentral ein Selbstlernzentrum geben. Diese mitarbeiternahe Installation ermoeglicht es den Vorgesetzten, die Beschaeftigten kurzfristig zum Lernen waehrend der Arbeitszeit freizustellen. Diese Weiterqualifikation in der normalen Arbeitszeit wird auch normal verguetet. Sollte der Mitarbeiter an einem Weiterqualifizierungsprogramm teilnehmen, so werden auch die Teile verguetet, die im Selbstlernzentrum oder im "Klassenraum" ausserhalb der Arbeitszeit stattfinden. Jeder Mitarbeiter hat auch die Moeglichkeit, nach seiner Arbeit im Selbstlernzentrum zu lernen - mit den Programmen seiner eigenen Wahl aus den verschiedensten Themenbereichen.

CW: Wie geht es weiter? Wollen Sie auch fuer weitere Mitarbeitergruppen solche Programme entwickeln?

Becker: Die Qualifizierungsoffensive spannt, wie gesagt, schon einen sehr weiten Bogen. Dennoch koennen wir uns vorstellen, noch mehr als das Bisherige zu tun. In den Mitarbeitern und ihrer Qualifikation sehen wir das grosse Potential unserer Firma.

CW: Wie beurteilen Sie die Perspektiven des Weiterbildungsmarktes angesichts des steigenden Kostendrucks in den Unternehmen, aber auch der vielfaeltigen neuen multimedialen Moeglichkeiten?

Becker: Der Kostendruck hat bekanntlich vielfaeltige Ursachen, und es gibt viele Wege, ertragreicher zu werden. Ob Sie nun weiter rationalisieren, Produkte noch guenstiger konstruieren oder bessere Mitarbeit durch Qualifikation erreichen wollen, investieren muessen wir am Anfang. "Ford - die tun was" bezieht sich ja nicht nur auf unsere Produktinnovation, Qualitaet und Sicherheit, sondern auch auf unser Bemuehen, auf breiter Front Spitzenreiter zu sein. Ja - wir erleben einen starken Kostendruck, und gerade deshalb werden wir besonders auch im Bereich Mitarbeiterqualifikation weiter investieren.

CW: Sie sprachen unlaengst von "wachsenden Herausforderungen durch neue Technologien und Arbeitsstrukturen". Welche Rolle wird dabei der Aus- und Weiterbildung zukommen?

Becker: Neue Technologien und Arbeitsstrukturen sind nichts Statisches. Wir kennen zwar den richtigen Weg, sind aber noch lange nicht an seinem Ende und werden es wohl auch nie sein. Es wird immer wieder neue Technologien geben, die zum Teil neue Arbeitsstrukturen erfordern. Daraus ergibt sich zwangslaeufig ein staendiges Bemuehen um optimale Prozesse, die bestmoeglich gehandhabt werden muessen. Unsere Mitarbeiter muessen an der Spitze dieser Prozesse stehen. Schnelle und umfangreiche, teils individuelle Wissensvermittlung lassen der Aus- und Weiterbildung auch in Zukunft eine wichtige Rolle zukommen.

CW: Wie werden sich die Berufsbilder und Anforderungen an Mitarbeiter durch den Einsatz neuer Technologien veraendern?

Becker: Der Mensch steht im Vordergrund, wenn auch die Technologien Tempo und Inhalt vorgeben. Berufsbilder und Anforderungen muessen auch in Zukunft von den Menschen umsetzbar sein. Generell laesst sich sagen, dass mehr Eigenverantwortung, vernetztes Denken, Kommunikation und staendige Lernfaehigkeit die Schluesselqualifikationen fuer die Berufsbilder aus neuen Technologien sein werden.

PC-Lernzentren unterstuetzen Qualifizierungsprogramm

Im Rahmen seines Ausbildungsprogramms will Ford 1000 Fachwerker und 160 Teilezurichter qualifizieren. Darueber hinaus soll jeder Mitarbeiter die Moeglichkeit erhalten, sich freiwillig ueber Themen eigener Wahl in den Selbstlernzentren weiterzubilden. Das Angebot wird sowohl arbeitsplatzrelevante Inhalte als auch allgemeinbildende Programme enthalten.

Selbstlernprogramme bei Ford

Die Lernprogramme, die beim Automobilbauer zum Einsatz kommen, sind zum ueberwiegenden Teil bereits am Markt existierende Module. Partner bei der Auswahl und Beschaffung waren unter anderem "Laser Media" und "Applied Learning". Diese Partner halfen auch bei der ersten Selbstentwicklung des Programmes "Statistische Prozessregelung", das Ford "mit grossem Erfolg" einsetzt. Bei der Einbindung multimedialen Lernens in die Aus- und Weiterbildung half das Institut fuer Medien und Kommunikation (IMK) aus Bochum mit.