Ifo-Institut vergleicht Prognosen

Folgen des IT-Einsatzes für den Arbeitsmarkt sind strittig

26.07.1996

Im Auftrag des Bonner Wirtschaftsministeriums haben die Ifo- Mitarbeiter Herbert Hofmann und Christoph Saul die Forschungsliteratur ausgewertet, die sich mit den Auswirkungen der Informationsgesellschaft auf die Beschäftigung befaßt. Hofmann: "Anlaß unserer dreimonatigen Literaturstudie war die allgemeine Verunsicherung auf diesem Gebiet. Es wird viel spekuliert, doch das Gerede entbehrt jeder Grundlage."

Auch die von Beratungsunternehmen wie etwa Arthur D. Little vorgelegten optimistischen Zahlen halten die Forscher für wenig zuverlässig. Allenfalls kämen sie als Anstöße zur weiteren Analyse in Betracht. Vor allem die einseitige Konzentration auf arbeitsplatzschaffende Effekte greife zu kurz. Die Frage, wieviel Arbeitsplätze wegfallen, sei kaum Gegenstand der Diskussion.

"Weder die Enthusiasten noch die Skeptiker können bislang die Auswirkungen der Informationsgesellschaft auf die Beschäftigung zuverlässig quantifizieren", fassen Hofmann und Saul zusammen.

Grundsätzlich gibt es in der Forschung zwei Richtungen. Während die einen Wissenschaftler von einer schnellen Ausbreitung der IuK- Technologien und -Dienste ausgehen und damit rechnen, daß insbesondere die deutschen Anbieter ihre internationale Wettbewerbsfähigkeit verbessern, erwarten andere Analytiker eher eine langsame Diffusion der Technik. Diese Skeptiker berufen sich auf die durch politische Barrieren hervorgerufenen Probleme der Liberalisierung sowie Verzögerungen bei der Durchsetzung von übergreifenden Standards.

In diesem Negativszenario gelingt es den deutschen und europäischen Anbietern von IT und Unterhaltungselektronik kaum, ihre Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und stärker am globalen Wachstum der Nachfrage zu partizipieren. Gegenüber den Entwicklungen in den USA und vor allem in Fernost geraten sie deutlich ins Hintertreffen.

Auch der audiovisuelle Sektor sei durch eine negative Leistungsbilanz gekennzeichnet.

Hofmann: "In der Gesamtwirtschaft werden die Chancen nur zögerlich genutzt, die Technologien bei der Flexibilisierung der Produktion, der globalen Ausrichtung von Beschaffungs- und Absatzstrategien oder der Verkürzung von Innovationszyklen bieten." Technisch realisierbare Produktivitätssteigerungen werden nicht durch Produktionswachstum kompensiert und wirken daher arbeitsplatzvernichtend. Vertreter dieser These rechnen schon für das Jahr 2005 mit zusätzlich etwa drei Millionen Arbeitslosen in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien.

Demgegenüber erwarten die Autoren, die mit einer schnellen Ausbreitung von IuK-Technologien und -Diensten rechnen, ein beschleunigtes Marktwachstum. Weitere Effekte sind demzufolge:

- die Schaffung von neuen Beschäftigungsmöglichkeiten,

- die Abschwächung von negativen Beschäftigungstrends in einzelnen Bereichen sowie

- die Erhöhung der Wachstumsdynamik - insbesondere bei Audio- Video-Produkten, Verlagen und Software.

Wissenschaftler, die von einer solchen Entwicklung ausgehen, nehmen an, daß sich Unternehmen dabei auch organisatorisch reformieren. Dabei werde der gute Absatz von IT-Produkten mehr Arbeitsplätze schaffen, als durch Rationalisierung verlorengingen. Ihre Zahl in Europa werde zwischen 1992 und 2010 von 139 Millionen auf 166 Millionen wachsen.

Ifo-Forscher Hofmann ging auch auf die aktuelle Diskussion über die berufliche Qualifizierung ein. Pessimisten halten den in der Qualifikation liegenden deutschen Standortvorteil nicht für zukunftsträchtig. Ihrer Einschätzung zufolge beschleunigen die modernen IuK-Technolgien und schnellen Netze nur die Auslagerung von Kompetenz und Wissen, im Falle der Softwareproduktion zum Beispiel nach Indien. Befürworter der Qualifikationsoffensive verlangen dagegen nach Think tanks und Elite-Universitäten und propagieren das lebenslange Lernen. Hofmann: "Doch auch sie wissen kaum, wie man Weiterbildung organisiert."

Angesichts des unaufhaltsamen Trends in Richtung Informationsgesellschaft kommen die Ifo-Experten zu dem Resümee, daß eine Verknüpfung von Erfahrung und Innovation die meisten Chancen für positive Beschäftigungseffekte mit sich bringe. Tradition sei zu bewahren, Neues zu erproben..

*Winfried Gertz ist freier Fachjournalist in München.