Die Niederländer sind so gut wie verkauft

Folgen der Baan-Übernahme durch Invensys sind noch unklar

09.06.2000
MÜNCHEN (jm) - Nach der Übernahme von Baan durch Invensys sind die Baan-Anwender verunsichert. Die Zukunft der Baan-Software im Gemischtwarenladen von Invensys mit den Foxboro-, Wonderware-, Marcam- und jetzt Baan-Produkten ist im Wesentlichen ungeklärt.

Invensys will ein "rigoroses" Umstrukturierungs- und Kostensenkungsprogramm für Baan aufsetzen. Bis zum vierten Quartal 2000 sollen die Ausgaben pro Vierteljahr zwischen 60 und 120 Millionen Dollar gesenkt werden. Insgesamt rechnet Invensys für die ersten 18 Monate nach der Übernahme mit Umstrukturierungskosten in Höhe von 400 Millionen Dollar. Das geht nicht ohne die bei Firmenübernahmen bekannten Diäteffekte: Vornehmlich von Baan stammen die rund 1000 Mitarbeiter, die im Zuge der Fusion mit Invensys entlassen werden. Insgesamt zählt die Baan-Belegschaft weltweit noch 4300 Köpfe. Bislang ist unklar, ob die Reduzierungen zu Lasten etwa administrativer oder Marketing-Jobs gehen.

Innerhalb von zwölf Monaten, so hofft das Invensys-Management, könne Baan wieder die Gewinnschwelle erreichen. Einschließlich des Baan-Geschäfts erhofft sich Invensys zudem innerhalb von zwei Jahren eine Umsatzrendite von zehn Prozent.

Hier aber sind Zweifel angebracht: Baan hatte zum Geschäftsjahresende 1999 (Ende: 31. Dezember 1999) einen operativen Verlust vor Steuern von 281 Millionen Dollar bekannt geben müssen. Das erste Geschäftsquartal 2000 (31. März 2000) schlossen die Niederländer mit einem Nettoverlust von 25,7 Millionen und einem operativen Verlust von 74,5 Millionen Dollar ab. Mit einem Gewinn von 31 Millionen Dollar schlug in diesem Zeitraum der Verkauf des "Coda"-Finanzsoftware-Bereichs zu Buche. Gleichzeitig sank der Umsatz um satte 39,6 Prozent von 143,35 auf 106,1 Millionen Dollar. Die vergangenen sieben Quartale beendete Baan mit roten Zahlen. Zudem muss Invensys ein Schuldenpaket von 65 Millionen Dollar aus der Baan-Mitgift verkraften. Diese Fakten lassen die Invensys-Hoffnung, Baan innerhalb eines Jahres in die Profitzone zu führen, ziemlich ambitioniert erscheinen. Analysten gehen davon aus, dass schwarze Zahlen für Baan nicht vor 2002 zu erwarten sind

Außerdem musste Invensys gerade selbst einen Verlust für das abgelaufenen Geschäftsjahr (Ende: 31. März 2000) von 825,93 Millionen Dollar bekannt geben (Vergleichszeitraum des Vorjahres: 771,19 Millionen Dollar). 399 Millionen Dollar Verlust entfallen auf Restrukturierungsmaßnahmen, die Invensys in der Folge des Aufkaufs von Marcam Solutions Inc. und dessen ERP-Software "Protean" investieren musste. Die Marcam-Akquisition im Mai 1999 schlug darüber hinaus mit 60 Millionen Dollar zu Buche.

Invensys-CEO Allen Yurko sagt selbst, dass die Akquisition von Baan ein großes Risiko bedeute. Wie groß die Gefahr für Baan-Anwender ist, mit ihren Produkten allein gelassen zu werden, steht vorerst dahin. Bislang gilt das Wort von Invensys, wonach man hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung der kompletten Produktpalette von Baan zugesichert hat.

Invensys dürfte neben dem Kontakt zu rund 6000 Baan-Kunden insbesondere an dessen Supply-Chain-Management(SCM) und dessen Software für die diskrete Fertigung interessiert sein. Die Briten selbst können ihre sehr produktionsnahe Steuerungssoftware "Factorysuite" (die Invensys 1998 mit der Einverleibung der Wonderware Corp. hinzugewann) und "Foxboro" (aus der Akquisition der Foxboro Company im Januar 1997) beisteuern. Allerdings fehlte Invensys bislang ein Werkzeug, um Produktionsdaten auszuwerten und Produktionsvorhersagen treffen zu können und auf dieser Basis Material zu bestellen. Diese Lücke soll das Baan-Portfolio schließen.

Ob und wie Baans in diesem Jahr ausgegründete Customer-Relationship-Management-(CRM-) Division "Aurum" in das Softwarekonzept von Invensys integriert wird - nach Meinung mancher Experten gar nicht -, bleibt dahingestellt. Mit Aurum wollte Baan den Schritt über seine angestammte Produktionsklientel hinaus in das Banken- und Finanzwesen schaffen. Auch Invensys sagt, diese neuen Geschäftsfelder stellten ein "langfristiges Wachstumspotenzial" dar. Die Aurum-Software hat in der Branche durchaus einen guten Ruf . Aus genau diesem Grund spekulieren einige Experten damit, dass Aurum auch als Joker herhalten könnte, um von Invensys über kurz oder lang teuer verkauft werden zu können.

Neben der Fragestellung, ob Invensys abgesehen von seinen Kompetenzen in den vier Schlüssel-Industriesegmenten Industrial Drive Systems, Power Systems, Controls und Intelligent Automation auch Erfahrungen als Softwareunternehmen hat, stellt sich natürlich auch das Problem des mittlerweile großen Produktmixes von Invensys.

IDG-Analyst Dennis Byron spricht gar von einem "Produktmischmasch", der nun bei Invensys mit den Foxboro-, Wonderware-, Marcam- und Baan-Produkten vorherrsche. All diese zu integrieren, werde eine erhebliche Herausforderung bedeuten.

Sind etwa Marcam-Produkte objekt- und Request-Broker-orientiert, verfolgten Baan-Entwickler in der Vergangenheit eher die Microsoft- und DCOM-Schiene. Während Invensys-Software in Echtzeit Daten direkt von den Produktionsmaschinen verarbeitet, baut Baan-Software auf einem Transaktionsmodell auf, bei dem Daten im Batch-Modus und nicht in Echtzeit genutzt werden.

Allerdings kann man auch die Meinung vertreten, dass etwa die Marcam-ERP-Software "Protean", die den fertigungsnahen Anforderungen der Prozessindustrie gerecht wird und in Fachkreisen einen guten Ruf besitzt, sowie die für die diskrete Fertigung gedachten Baan-Produkte sich gut ergänzen und ohnehin nicht die gleiche Kundschaft adressieren. Insofern würde sich die Frage nach einer Integration zumindest dieser fertigungsnahen Produktpaletten nicht zwingend stellen.

Gartner-Analyst Bruce Bond vertritt allerdings die Meinung, Benutzer von Baans Prozess-Produktions-Applikationen sollten sich gegebenenfalls nach einer Migrationsstrategie umsehen. Bond meinte zudem, Technologieentwicklungen bei Baan wie Arbeiten im Zusammenhang mit XML würden unter den neuen Voraussetzungen wahrscheinlich nicht fortgesetzt. Auch dies sollten Anwender im Auge behalten.

Der Analyst hält es für möglich, dass Invensys einen Teil oder gar das gesamte Aurum-Segment - Baan hatte die CRM-Software mit dem Kauf von Aurum Software Inc. im Mai 1997 übernommen - aufgeben könnte.

Gleiches gelte für Baans SCM-Engagement. Die Holländer hatten Caps Logistics Inc. im September 1998 übernommen und versucht, dessen SCM-Logistiklösung als "Operations-Management"-Paket in die eigene ERP-Software "Baan ERP" zu integrieren.

Invensys selbst hat für seinen neuen Unternehmensbereich Invensys Software and Systems die Marschroute ausgegeben, Marktführer in der Lieferung und Entwicklung von integrierten betriebswirtschaftlichen Anwendungen zu werden. Das bedeutet, dass die Briten mit Baan den Ehrgeiz haben, mit einem Komplettangebot für betriebliche Standardsoftware aufzuwarten, das SAP und Oracle - um nur die größten Wettbewerber zu nennen - Konkurrenz machen soll.

Insofern könnte für Invensys doch die Entscheidung anstehen, die verschiedenen Softwareprodukte zu integrieren. Lehman-Brother-Analyst Chris Heminway meint, die Integration der unterschiedlichen Produkte würde zwei bis drei Jahre dauern. Invensys habe aber auch in der Vergangenheit nicht versucht, zugekaufte Produkte in eigene zu integrieren, wie das Beispiel Foxboro zeige.

Baan selbst hatte sich in den vergangenen Jahren vor allem dadurch hervorgetan, Defizite der eigenen Produktlinie durch massive Zukäufe zu lindern. So schluckte Baan die CRM-Anbieter Aurum, Matrix und Beologic und mit Coda einen Anbieter von Finanzsoftware. Baans heutige SCM-Module fußen im Wesentlichen auf Funktionen von Berclains Software "Moopi" und der Logistiklösung von Caps Logistics. Auf eine Integration der verschiedenen Produkte warteten Anwender vergeblich, Produkte wie Matrix wurden schlicht eingestampft.

Sicher wäre die Strategie, Baan als eigenständige Einheit im Invensys-Verbund laufen zu lassen, weniger zeitaufwändig und vor allem weniger kostspielig als eine Integration der diversen Produktportfolios. Auf der anderen Seite widerspräche solch eine Vorgehensweise natürlich der Invensys-Strategie, einen Software-Angebotsrahmen schaffen zu wollen, der neben produktionstechnischen Fragen auch diejenigen eines Managements über geeignete ERP-Anbindungen durchgängig löst.

Zu denken wäre allerdings an eine Strategie, die Byron Miller, Analyst bei der Giga Information Group, formuliert: Invensys könnte die Baan-Software als Highend-ERP-Integrations-Angebot offerieren, welche sich dann mit der Processing-Software von Marcam und der Shop-Floor-Software von Wonderware verbinden ließe. Das wäre zwar eine gangbare Strategie, sagte Miller. Er habe allerdings von solchen Plänen bislang nichts gehört.

Was vereinbart wurdeDer Verwaltungsrat von Invensys Plc. sowie der Vorstand und Aufsichtsrat von Baan haben entschieden, das gesamte ausgegebene Aktienkapital von Baan an Invensys zu veräußern. Für jede Baan-Aktie werden 2,85 Euro gezahlt. Der Wert der Aktientransformation beträgt damit 762 Millionen Euro. Für den Anwender von größerer Bedeutung ist, wie Invensys seine nun divergierende Produktpalette ausrichten wird.

Invensys kann zum Angebotspreis von 2,85 Euro pro Stück zudem die Beteiligungen an der von den Baan-Gründern Jan und Paul Baan kontrollierten Vanenburg Group (5,9 Prozent), der Fletcher International (drei Prozent) sowie General Atlantic Partners (1,9 Prozent) übernehmen. Damit sind Invensys bereits 11,1 Prozent der Baan-Anteile sicher. Insgesamt will das britische Unternehmen 95 Prozent des gesamten Aktienkapitals erwerben. Hier liegt noch eine Unsicherheit für den Deal: Ob Invensys die restlichen knapp 84 Prozent der ausstehenden Aktien erhält, ist gar nicht so sicher. Denn das Angebot von 2,85 Euro pro Baan-Anteilsschein ist nicht sonderlich attraktiv.