Fokus auf Windows 95 Lotus-Manager: "Die IBM gibt uns finanzielle Rueckendeckung"

29.09.1995

Nach der Uebernahme des 5500-Mann-Teams Lotus durch die weltweit rund 240000 Angestellte zaehlende IBM vor einigen Wochen verspuert das ehemalige Manzi-Unternehmen neue Kampfeslust. Nach wie vor heisst der Rivale Microsoft, dem man nun mit Hilfe der IBM effektiver als in den vergangenen Jahren entgegentreten will. Mit den beiden Lotus-Managern Adam Banker, Internationaler PR-Manager fuer die Desktop-Unit, und Robert Ingram, Senior Produkt-Manager fuer Smartsuite, sprach CW-Redakteur Alexander Deindl ueber die Situation der neuen Big-Blue-Dependance.

CW: Inwiefern hat sich die Lage bei Lotus nach der Uebernahme durch die IBM geaendert?

Banker: Nun ja, IBMs Chef Lou Gerstner uebt die letzte Kontrolle aus. Wir muessen Verkaufs- und Marketing-Entscheidungen jetzt zusammen mit Big Blue koordinieren. Ausserdem laufen ploetzlich recht viele IBM-Leute in unseren Gaengen herum und wir bei ihnen.

CW: Muss Lotus nicht seine Produktstrategie den Wuenschen der IBM anpassen?

Banker: Nein, vielmehr versucht die IBM, sich zu aendern. Gerstner will Microsoft (im Desktop-Bereich, Anm. d. Red.) die Stirn bieten - das war die eigentliche Absicht dieser Akquisition. Wir konzentrieren uns mit unseren Desktop-Produkten in Zukunft auf das Team-Computing. Und Smartsuite 96 ist das Produkt fuer diese Strategie.

CW: Aber sprechen die Marktzahlen nicht immer noch eine klare Sprache? Microsoft ist mit seiner Buerosuite Office bislang ungeschlagen. Weshalb erhoffen Sie sich nun bessere Chancen?

Banker: Viele IS-Entscheider, Kaeufer und Verkaeufer haben bislang gedacht, es sei einfach sicherer, auf Microsoft zu setzen. Lotus war zu klein. Nun haben wir etwas grosses Blaues hinter uns. Wir besitzen jetzt eine starke finanzielle Rueckendeckung, so dass man uns nun einfach ernst nehmen muss.

CW: Welcher Plattform widmen Sie kuenftig Ihr Augenmerk, Windows 95 oder IBMs OS/2?

Ingram: Wir konzentrieren uns hauptsaechlich auf Windows 95 - dort besteht die groessere Nachfrage. Dennoch werden wir auch OS/2- Produkte anbieten.

CW: Wie wuerden Sie die Motivation der Mitarbeiter im Hause Lotus nach der unfreundlichen Uebernahme bezeichnen?

Banker: Zu Lotus-Zeiten herrschte vor allem unter unseren Entwicklern grosse Besorgnis. Wir machten uns Gedanken ueber fehlende Ressourcen und finanzielle Mittel. Bis vor kurzem mussten wir hart kalkulieren. Waehrend wir eine Werbung schalten konnten, leistete Microsoft sich 20. Diese Aengste sind jetzt aus der Welt geschafft.

CW: Die Probleme mit ihrem Produkt 1-2-3 offensichtlich noch nicht. Weshalb liefert Lotus die aktuelle Tabellenkalkulation immer noch mit 16-Bit-Funktionalitaet aus, waehrend Microsofts Excel bereits 32-Bit-tauglich ist?

Banker: Die Verspaetung von 1-2-3 wird oft kritisiert. Aber Microsoft hat doch Excel einfach nur auf Windows 95 portiert. Ich glaube nicht, dass das Gros der Anwender plant, schnellstmoeglich von heute auf morgen umzusteigen. Die meisten Benutzer warten sechs bis neun Monate, bis sie eine Migration wagen. Das trifft vor allem auch auf die Unternehmen zu.