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Fiscus-Projekt steht vor dem Scheitern

02.01.2002
Das seit 1989 verfolgte Ziel, ein bundesweit einheitliches IT-System für die Finanzämter auf die Beine zu stellen, droht an einem Alleingang Bayerns zu scheitern.

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Weil auch nach über zehn Jahren Entwicklungsarbeit keine funktionierenden Softwareprodukte zur Steuerbearbeitung vorliegen, wird Bayern nicht der Fiscus GmbH beitreten. Damit rückt das seit 1989 verfolgte Ziel, ein bundesweit einheitliches IT-System für die Finanzämter auf die Beine zu stellen, in weite Ferne.

Mit Fiscus sei ein Mammut-Vorhaben begonnen worden, das von den beteiligten Behörden und Organisationen nicht bewältigt werden könne, kritisiert Bernd Schreiber, Sprecher des bayerischen Finanzministeriums. Bis heute habe das Projekt, das alle Finanzämter bundesweit mit einem einheitlichen IT-System ausstatten sollte, etwa 340 Millionen Mark verschlungen. Jährlich kommen laut Schreiber weitere 100 Millionen Mark an Ausgaben hinzu. Letztendlich dürften sich nach Schätzungen des bayerischen obersten Rechnungshofes die Gesamtkosten bis 2010 auf zirka 1,4 Milliarden Mark summieren.

Angesichts dieser Summe hat der bayerische Finanzminister Kurt Faltlhauser die Notbremse gezogen. In einem Brief an die Finanzminister der Länder sowie den Bundesminister der Finanzen Hans Eichel kündigte Faltlhauser Mitte November an, nicht der Fiscus GmbH beizutreten, die seit April dieses Jahres die Geschicke des Projekts leitet. Am 6. Dezember bekräftigte der bayerische Finanzminister den Ausstieg des Freistaates auf der Finanzministerkonferenz (FMK) der Länder.

Die Fiscus GmbH habe bis Ende 2001 keinen Nachweis erbringen können, der eine Weiterarbeit rechtfertige, kritisiert Faltlhauser in dem Brief. Ergebnisse wie die Pilotierung der Teilprodukte für die Grunderwerbssteuer oder Bußgeld und Strafsachen seien nicht erbracht worden. Außerdem liege keine strategische Planung vor, nach der mittelfristig der Einsatz von Fiscus-Produkten absehbar sei. Das gesamte Projekt kranke an unklaren Zielbestimmungen und undefinierten Aufgabenzuweisungen. "Fiscus ist nicht zuletzt an seinen Grundstrukturen gescheitert", resümiert der Finanzminister.

Diese Vorwürfe will Peter Bonerz, Geschäftsführer der Fiscus GmbH, nicht gelten lassen. So seien die Pilotprodukte Grunderwerbssteuer und Steuerfahndung den Auftraggebern bereits überreicht worden. Bis Ende des Jahres soll ferner eine Mittelfristplanung erstellt werden. Außerdem hätten sich die Management-Prozesse mit Gründung der GmbH verbessert. So werde die Arbeit nicht mehr durch die Regularien behördlicher Vorschriften belastet.

Die Kritik aus Bayern kann er nicht nachvollziehen. Bayern habe der Fiscus GmbH im Grunde nie eine Chance gegeben. Die geforderten Beweise für die Tragfähigkeit des Projektes seien teils gar nie abgefragt worden, teils vorzeitig. Man könne auch kein Auto bestellen und sich dann zwei oder drei Monate vor dem Auslieferungstermin darüber beschweren, dass die Autofabrik nicht funktioniere.

Allerdings überwiegen in der Öffentlichkeit die Stimmen, die dem Fiscus-Projekt Funktionsfehler vorwerfen. So weist das Vorhaben der Finanzbehörden nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes momentan einen Rückstand von zwei Jahren gegenüber der ursprünglichen Zeitvorgabe auf. Aufgrund der vielen in unterschiedlichster Weise entscheidungsbefugten Gremien und nicht klar abgegrenzter Kompetenzen seien Beschlüsse immer wieder verzögert worden. Es sei zu erwarten, dass Kosten- und Zeitrahmen weiter überschritten werden.

Auch mit der Einführung der Fiscus GmbH seien die Probleme nicht gelöst, kritisiert Dieter Ondracek, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft. Durch die Gründungsprozeduren habe das Projekt mindestens ein weiteres Jahr verloren. Trotz der klareren Auftraggeber-Auftragnehmer-Struktur könnten sich die einzelnen Länder wie schon zuvor nicht über die Produkte einigen.

Doch die Zeit drängt. Nach Ansicht Ondraceks stoßen die bestehenden Steuerprogramme längst an ihre Grenzen. Deshalb müsse schnell etwas Neues her. Da jedoch eine komplette Neuprogrammierung aufwändig wäre, sei es am sinnvollsten, auf einem bereits bestehenden Produkt aufzusetzen. Hier biete sich das bayerische IT-System an, das auch in den neuen Bundesländern sowie im Saarland verwendet wird.

Fiscus-Geschäftsführer Bonerz räumt gewisse Schwierigkeiten bei der Entwicklung ein. "Im Grunde geht es hier um die Sanierung eines Altbaus." So hätten sich die Verantwortlichen nach der Aufgabe des objektorientierten Frameworks "San Francisco" durch IBM für eine rein Java-basierende Entwicklungsumgebung entschieden.

Deshalb baue die neue Fiscus-Entwicklung auf einer J2EE-Architektur auf, erklärt Bonerz. Datengrundlage sei eine relationale Datenbank von Oracle. Allerdings wolle man keine dogmatische technische Architektur vorgeben, sondern vielmehr eine den verschiedenen Verfahren angemessene IT-Umgebung präsentieren. So gebe es beispielsweise einzelne Projekte, die wegen ihrer Komplexität große Laufzeitanforderungen stellten. Andere Teile seien mehr dialogorientiert und verlangten deshalb andere Funktionen von ihrer Umgebung.

Vorteil von Java sei, dass die Produkte auf den verschiedenen Hardwareplattformen der Länder aufsetzen können. Ferner könnten bestehende Anwendungen integriert werden: "Man muss nicht alles neu erfinden."

Die Option, ein bundesweit einheitliches IT-Steuersystem auf Basis der bayerischen Software zu entwickeln, lehnt Bonerz ab. Diese sei inklusive der Datenbasis mittlerweile 35 Jahre alt, so der Vorwurf aus der Bonner Fiscus-Zentrale. Es sei abzusehen, dass dieses System irgendwann nicht mehr wartbar und pflegbar sein werde.

Diese Vorwürfe stoßen bei einem IT-Mitarbeiter der bayerischen Steuerbehörde, der nicht namentlich genannt werden möchte, auf Unverständnis. So seien im Freistaat während der letzten Jahre etwa 150 Millionen Mark investiert worden, um die neue Architektur "Unifa" einzuführen. Große Summen seien beispielsweise in die Verkabelung aller Finanzämter geflossen. Die Basis des Systems bilden BS2000-Systeme im technischen Finanzamt in Nürnberg. In den einzelnen Filialen stehen Unix-Server, die Arbeitsplätze mit Windows-NT-Rechnern bedienen.

Wenn die Architektur so veraltet wäre, wie Bonerz dies behauptet, hätte man weder die Jahr-2000- noch die Euro-Umstellung geschafft. Ferner hätten sich die neuen Bundesländer und das Saarland wohl kaum für ein überholtes System entschieden, verteidigt der Beamte die bayerische IT-Steuerlösung. "Die Aussage stimmt definitiv nicht."

Das sieht Peter Handrock, Gruppenleiter Automation, Informationstechnik und Organisation im nordrhein-westfälischen Finanzministerium, jedoch anders. Zwar hätten die bayerischen Behörden mit großem Aufwand die Oberfläche des Systems überholt, die Basis bilden aber nach wie vor alte Großrechnerprogramme, die zum Teil vor 30 oder 40 Jahren von Programmierverbünden des Bundes entwickelt wurden. Diese seien in Assembler-Code geschrieben und basierten auf IMS-Speicherung. Deshalb gebe es keinen Sinn für andere Bundesländer, deren Systeme schon weiter entwickelt seien, auf eine veraltete Architektur zurückzumigrieren.

Auch Unifa scheint nicht reibungslos zu funktionieren. Probleme bereite in erster Linie das Antwortzeitverhalten des Systems, berichtet Ludwig Wörner, SPD-Abgeordneter des bayerischen Landtags. Zwar würden nach Angaben der Finanzbehörden alle Richtlinien eingehalten, "in Wirklichkeit haben die Beamten jedoch katastrophale Antwortzeiten. Sie gehen in der Zwischenzeit zum Kaffeetrinken."

Ein bayerischer Alleingang bei der Steuererhebung gebe laut Wörner wenig Sinn, da weite Bereiche des Steuersystems in der Bundesrepublik einheitlich sind. "Offensichtlich hat Herr Faltlhauser zu viel Geld." Der Sonderweg würde wesentlich teurer kommen als das in der Kritik stehende Fiscus-System. So müssten die Entwickler zum Beispiel großen Aufwand treiben, um die entsprechenden Schnittstellen zu schaffen, die das bayerische System an Fiscus anbinden würden.

Allerdings müsste das Projekt Fiscus zunächst auf eine solide Basis gestellt werden, fordert Wörner. "Organisatorisch ist man da sehr beamtenmäßig herangegangen." Die Treffen alle paar Wochen hätten nichts gebracht. Sinnvoller wäre eine ständige Arbeitsgruppe gewesen, die eine vernünftige Projektplanung auf die Beine stellt. Inwieweit die GmbH diesen Missstand beheben könne, sei abzuwarten. (ba)