Fischsterben

27.11.1981

Nach den reichen Ernten der vergangenen Jahre zieht sich über der deutschen Software-Landschaft erstmals die Wolke einer Beschäftigungskrise zusammen. Die Programmierer-Zunft ist verunsichert, denn die Situation ist neu. Haben sich die DV-Benutzer bei konjunkturellen Tiefflügen bisher stets antizyklisch verhalten, indem sie noch mehr in das Rationalisierungsinstrument Datenverarbeitung investierten, so geben sie sich jetzt wie Otto Normalverbraucher: Wenn das Portemonnaie leer ist, wird eben der Gürtel enger geschnallt.

Die Bosse der Software-Branche tun sich jedoch keinen Gefallen, wenn sie glauben machen wollen, die Investitionsunlust der DV-Anwender sei ausschließlich auf die miserable Wirtschaftslage zurückzuführen. Die Ursachen liegen tiefer: Seit die DV-Abteilungen einer verstärkten Kostenkontrolle ausgesetzt sind, wird deutlich, daß in der Vergangenheit zu viel Geld in immer neue Hardware-Systeme hineingepulvert wurde - ohne greifbare Erfolge, was die Software, sprich: die Anwendung, betrifft.

Daß sich DV-Chefs alleingelassen fühlen müssen, "verraten und verkauft" von ihrem Hersteller, kann nicht als Ausrede gelten. Tatsache ist: Sie geraten in ihren eigenen Unternehmen mehr und mehr ins Kreuzfeuer der (Budget-)Kritik. Um gegenüber ihrem Top-Management aus dem Schneider zu sein, gehen nicht wenige den Weg des geringsten Widerstandes: Bevor sie sich lange um die Genehmigung zum Softwarekauf streiten, entwickeln sie die Anwendungen lieber in eigener Regie. Das mag zwar unter Umständen teurer sein, aber es fällt nicht auf, denn die Manpower ist eh vorhanden. Ausnahmen stellen Software-Werkzeuge dar, mit denen sich kurzfristig sichtbare Rationalisierungserfolge erzielen lassen - so daß der DV-Chef etwas vorweisen kann.

Gute Tools, die den Anforderungen eines properen Software-Engineerings entsprechen, sind freilich rar wie lupenreine Diamanten.

Das Verhältnis von Eigen- zu Fremdprogrammierung hat sich deshalb bei großen und mittleren Unternehmen wieder stark in Richtung "Do-it-yourself" verschoben. Allenfalls DV-Einsteiger und Kleinanwender sind für freie Programmierkünstler als potentielle Kunden noch interessant. Doch in diesem Markt der kleinen Projekte und kleinen Preise tummeln sich neuerdings auch die Mikro-Anbieter - viele kleine "Mikrosofts" im Gefolge. Insbesondere für Programmier-"Klitschen" - Einmannbetriebe und "Pantoffelkinos" - ist der Wettbewerb infolgedessen härter geworden. Nicht nur, daß unter Softwerkern ein Verdrängungswettbewerb stattfindet. Auch die Hardware-Anbieter, für die sie lange Zeit als "Externe" die Dreckarbeit des Codierens übernommen haben, stellen sich ihnen mit wachsendem Software-Appetit in den Weg. Hinzu kommt, daß enttäuschte Anwender kaum noch Vertrauen in die Arbeit der Freelancer haben. Die Zeiten, in denen mit "Huschhusch"-Lösungen das große Geld gemacht werden konnte, sind vorbei.

Beginnt jetzt das große Fischsterben?

Während sich die "Großen" noch den imprägnierten Kapital-Pelz aus besseren (Auftrags-) Zeiten umlegen können, schwimmen bereits einige "Kleine" mit dem Bauch nach oben. Denn die Reserven sind schnell aufgebraucht. Bei mehr als der Hälfte aller Weichware-Anbieter (geschätzt 3500) beträgt Infratest zufolge die Kapitaleinlage gerade 50 000 Mark. So prophezeien Branchen-Auguren "das große Softwarehaus-Sterben", wenn nicht bald Tauwetter einsetzt. Eine Überlebensmöglichkeit für die "kleinen Softwarefische" sehen sie lediglich darin, daß sich Mini-Programmier-Stuben zu Software-Großraumbüros zusammenschließen. Erste Kooperationsgespräche sollen bereits stattgefunden haben.