Thema der Woche

Firmenalltag? Die Jagd nach Sex und der Moorhuhn-Overkill

22.09.2000
Die Zahl machte Eindruck: 104 Milliarden Mark Schaden entsteht deutschen Unternehmen jährlich, weil deren Mitarbeiter während der Arbeitszeit Pornobildchen begaffen, die Kurse ihrer Aktien auf Broker-Seiten verfolgen oder den Moorhuhn-Massenmord exerzieren. Das entspricht immerhin mehr als einem Fünftel der 478,7 Milliarden Mark des gesamten Bundeshaushalts 2001 von Finanzminister Hans Eichel. Grund genug eigentlich für Arbeitgeber, die Hierarchiekeule auszupacken. Doch an der Arbeitsfront ist Ruh.

Etwas mehr Aufregung hätte man schon erwartet vom Abteilungsleiter Betriebliche Personalpolitik der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) in Berlin. Immerhin hatte die Agentur Denkfabrik GmbH aus Hürth im Auftrag von E-Business-Spezialist Sterling Commerce den monströsen Schaden von 104 Milliarden Mark für die deutsche Wirtschaft errechnet. Der erwachse deutschen Unternehmen, weil sich ihre Angestellten während der Arbeitszeit unbotmäßig im Internet verlustieren und die firmeneigenen E-Mail-Systeme für ihre Privatpost zweckentfremden würden. "Na klar, für Journalisten war das ein gefundenes Fressen. Ist ja auch eine einprägsame Zahl", feixt BDA-Abteilungsleiter Jobst Hagedorn. "Unsere Telefone standen Ende August nicht mehr still, als die Meldung rauskam." Jeder wollte jetzt natürlich wissen, was das Zentralorgan der deutschen Industrie zum fröhlichen Moorhuhn-Jagen so mancher Beschäftigter am Arbeitsplatz zum Besten geben würde.

Die Denkfabrik GmbH aus Düsseldorf hatte im Sommer 2000 zirka 1300 Mitarbeiter deutscher Unternehmen befragt und war zu beunruhigenden Ergebnissen gelangt: Mehr als 60 Prozent aller Arbeitnehmer begeben sich danach mindestens einmal am Tag scheinbar in eine arbeitsrechtliche Grauzone, weil sie aus privaten Gründen im Internet surfen oder E-Mail-Systeme für persönliche Belange zweckentfremden.

Durchschnittlich, so Denkfabrik-Geschäftsführer Wilfried Heinrich, hält sich jeder deutsche Beschäftigte pro Woche 3,2 Stunden im Internet auf, ohne hierbei einen dienstlichen Zweck zu erfüllen. Zirka 16,3 Millionen Mitarbeiter verfügen in ihrer Firma über einen Internet-Anschluss, rechnen die Autoren vor. Nehme man ferner eine Arbeitszeit von jährlich 41 Wochen an, müsse man diese Angaben nur mehr mit den vom Deutschen Institut der Wirtschaft angegebenen durchschnittlichen Personalkosten von zirka 50 Mark pro Stunde multiplizieren. Schon errechne sich eine Summe, mit der Arbeitsminister Walter Riester Deutschlands Rentner über drei Monate lang bezahlen könnte.

Gefragt habe man, so der erste Mann der Denkfabrik, quer durch alle Branchen "in einer repäsentativen Abbildung der Unternehmensgrößen". Eine schleichende Kostenlawine komme da auf die Unternehmen zu, warnt publikumswirksam Roland Ebert-Weglehner aus dem europäischen Management von Sterling Commerce.

Solcherlei Kassandrarufe werden flankiert durch ähnliche Untersuchungen in anderen Ländern. Das Unternehmen Websense aus San Diego im US-Bundesstaat Kalifornien hatte im Frühjahr 2000 errechnet, dass eine Online-Dessous-Modenschau von Victoria''s Secret, Kennern bekannt als US-Edelkette für kostspielige Reizwäsche, während der Arbeitszeit einen Schaden von 120 Millionen Dollar verursacht haben soll. So viel habe der schlagartig einsetzende Produktivitätsabfall von Millionen US-Angestellten im Mai 2000 gekostet.

Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass Websense nicht ganz uneigennützig Untersuchungen in Auftrag gibt, wie auch die der IDC unter dem Titel "Internetuse in the Workplace - Survey of Employees" vom Juni 2000. Die Kalifornier haben sich auf Lösungen für das so genannte Employee Internet Management (EIM) spezialisiert - eine beschönigende Umschreibung für Software, mit der die Wege von Mitarbeitern im Internet minutiös erschnüffelt werden können. Eine entschärfte Variante, bei der etwa auf Proxy- oder Gateway-Servern installierte Websense-Software nach bestimmten Schlüsselwörtern in Internet-Adressen oder E-Mails sucht und diese schon beim Absenden blockiert, setzen einige multinational operierende Konzerne wie Compaq, General Motors, Calvin Klein, IBM, die Hypo-Vereinsbank, Shell Oil oder Delta Airlines ein.

Sollten sich Animations-Events à la Victoria''s Secret im Internet häufen, könnte man Ebert-Weglehners Befürchtungen nachvollziehen. Abgesehen einmal vom Evergreen Erotik regen aber auch Moorhühner Firmenangehörige zu außerdienstlichen Aktivitäten während der Arbeitszeit an. Die Denkfabrik hat errechnet, dass 135 Millionen Mark Schaden allein deshalb entständen, weil auf schätzungsweise 14,7 Millionen Firmen-PCs die neueste Variante von Deutschlands beliebtester Schießübung auf Nestflüchter heruntergeladen würde. Die Produktivität während des Downloads sei, so die Autoren, gleich Null.

Spätestens hier kann BDA-Mann Hagedorn die Ernsthaftigkeit der Denkfabrik-Untersuchung nicht mehr ganz nachvollziehen. "Da wurde die Untersuchung für mich etwas unseriös. Denn ich habe doch, als ich mir Moorhuhn 2 heruntergeladen habe, in einem anderen Fenster weitergearbeitet." Abgesehen von einer kurzfristigen Netzbelastung entstehe da kein Produktivitätseinbruch: "Diese 135 Millionen Mark tauchen doch nirgendwo wirklich auf." Hagedorn kritisiert auch grundsätzliche Annahmen der Untersuchung. So seien etwa die 16 Millionen Mitarbeiter mit Internet-Zugang in deutschen Firmen keine gesicherte Erkenntnis.

In der Tat gesteht Holger Gülden von der Denkfabrik, auf Basis der Befragung der 1300 Mitarbeiter habe man Umrechnungen angestellt, bei denen Studien zum gleichen Sachverhalt aus anderen Ländern heranzogen wurden. Ob solch ein Vorgehen genaue Aussagen zulässt, mag bezweifelt werden.

Hagedorns eigentliche Kritik richtet sich gegen die grundsätzliche Geisteshaltung solcher Studien. Diese stammen, abgesehen von der deutschen Denkfabrik-Variante, vor allem aus den USA von Instituten wie IDC, Yankelovich Partners Inc., oder von Online-Diensten wie Sextracker. "Kennzeichen des modernen Arbeitsplatzes ist heutzutage der eigenverantwortlich agierende Mitarbeiter", sagt Hagedorn. Und da sei doch die Frage wesentlich, wie ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter motivieren könne und womit er sie demotiviert. Eins sei ganz klar: "Wenn ich meinen Mitarbeitern das, womit sie tagtäglich umgehen, verbiete, dann demotiviere ich sie total. Wichtig ist vielmehr, dass jemand die ihm gestellte Aufgabe in einer angemessenen Zeit erledigt."

Bei all diesen Kostenkalkulationen wird laut Hagedorn eins immer vergessen: Bislang habe niemand ausgerechnet, wie negativ frustrierte Mitarbeiter zu Buche schlagen, die ihre Kündigung innerlich bereits vollzogen haben. Hagedorn: "Da braucht man nicht viel Phantasie, um zu wissen, dass solche Fälle sehr viel teurer kommen."

Im Moment finde eine geradezu "irre Diskussion" über die Wissensgesellschaft mit ihren selbstverantwortlichen, kreativen und hochmotivierten Mitarbeitern statt. Gleichzeitig werde aber überlegt, ob man nicht die Surfgewohnheiten genau dieser Wissensträger kontrollieren sollte: "Das macht mich fassungslos", konstatiert Hagedorn, "wir beim BDA gehen von selbstverantwortlichen Mitarbeitern aus, die wir folgerichtig sehr ernst nehmen müssen."

Seine Erfahrung, so der BDA-Abteilungsleiter, werde von den meisten großen Firmen in Deutschland geteilt. Die würden unisono die Parole ausgeben, Mitarbeiter sollten nicht kontrolliert, sondern bei der Arbeit in Ruhe gelassen werden.

Das sieht man in den USA, wo der Begriff der Political Correctness seinen Ursprung hat, durchaus anders. Dow Chemical feuerte im Juli 50 Mitarbeiter eines Werks in Midland im US-Bundesstaat Michigan, weil sie elektronische Post mit pornografischen Inhalten verschickt hatten. Aparte Note am Rande: Die E-Mail-Erotiker waren nicht bei einer von den Firmenbossen veranlassten Kontrolle aufgefallen, sondern von einem Kollegen angeschwärzt worden. Einen Monat später zeigte der Chemieriese 40 Angestellten in seinem texanischen Werk in Freeport wegen ungebührlicher Nutzung des Internet und des hausinternen E-Mail-Systems die rote Karte. Die honorige "New York Times" strich aus den gleichen Gründen 20 Angestellte von ihrer Gehaltsliste, Xerox und die First Union Bank warfen ebenfalls so genannte Cyberslacker aus dem Betrieb.

Mitarbeiter am PrangerCabletron hatte sich bis zum vergangenen Jahr eine besonders elegante Methode ausgedacht, Mitarbeitern den Besuch anrüchiger Internet-Seiten zu vergällen. Monatlich veröffentlichte der Mischkonzern über das E-Mail-System eine Hit-Liste, in der Firmenangehörige mit Namen und den von ihnen am häufigsten besuchten Internet-Seiten vermerkt wurden. Cabletron nannte auch solche Web-Adressen, die Tabu-Begriffe wie Sex, MP3 oder Shopping beinhalteten - und natürlich den Namen der Surfer sowie die Zeitdauer, die jemand auf den inkriminierten Internet-Seiten verweilte. Erst als Cabletron 1999 mit Piyush Patel einen neuen Vorstandsvorsitzenden bestallte, ließ das Unternehmen von dieser herzigen Form der offenen Kommunikation ab.

In Deutschland hätten solch rabiate Disziplinierungsmaßnahmen vor dem Gesetz wohl keinen Bestand. Allerdings gibt es höchstrichterliche Entscheidungen noch nicht, die die Vergehen "Privates Surfen am Arbeitsplatz" oder "Private Nutzung des firmeninternen E-Mail-Systems" abdecken. Die dritte Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig hat am 22. Januar 1999 lediglich entschieden, dass eine außerordentliche Verdachtskündigung gegenüber einem Kindergartenleiter rechtens war, der des Besitzes kinderpornografischer Bilder auf seinem privaten PC überführt worden war (Az.: 3 Ca 370/98).

Als Präzedenzfall ungeeignet ist auch ein Urteil der zweiten Kammer des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom November 1998, mit dem die Richter ein Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn bestätigten. Die Richter stimmten hierin der verhaltensbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers zu, der im Internet mehrere Nachrichten unter einer Rubrik "News der Woche" verbreitet und darin seinen Dienstherrn mehrfach beleidigt und herabgesetzt hatte, wie es im Leitsatz des Urteils hieß. Bedeutung gewinnt der Richterspruch der zweiten Instanz, weil hier die Rechtsmeinung vertreten wird, dass sich der Arbeitnehmer hinsichtlich seiner Veröffentlichung im Internet nicht auf sein Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach Artikel 5 Grundgesetz berufen kann.

Obwohl es also in Deutschland bislang keine wegweisenden Urteile zur Problematik des privaten Surfens am Arbeitsplatz gibt, bewegen sich Unternehmen nicht in einem juristischen Niemandsland. Professor Wolfgang Däubler, anerkannter juristischer Experte zur Thematik, hat in einem ausführlichen Artikel in Heft 7/2000 der Fachzeitschrift "Kommunikation und Recht" (K&R) aufgezeigt, dass auch ohne höchstrichterliche Entscheidungen in dieser Angelegenheit keine Wildwest-Methoden in deutschen Betrieben angesagt sein können.

Der Ehemann der Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin schreibt, die juristische Literatur konzentriere sich bislang im Wesentlichen auf die Behandlung von E-Mails. Nur vereinzelt werde der Frage nachgegangen, inwieweit das Surfen im Internet mit arbeitsvertraglichen Pflichten vereinbar ist. In der Regel würden jedoch die Rechtsgrundsätze angewandt, die sich für privates und dienstliches Telefonieren entwickelt haben.

Auch wenn der Arbeitgeber eine lockere Einstellung hat und seinen Angestellten erlaubt, das Internet zu privaten Zwecken während der Arbeitszeit zu nutzen, gilt, "dass der Arbeitgeber als Inhaber des Zugangs zum Internet grundsätzlich frei darüber entscheidet, in welchem Umfang er seinen Beschäftigten oder anderen Personen Nutzungsmöglichkeiten eröffnen will". Mit anderen Worten: Auch ein Internet-Anschluss ist Eigentum der Firma, über das sie frei verfügen kann. Angestellte dürfen also prinzipiell Installationen des Arbeitgebers nicht für eigene Zwecke verwenden. Diese Tatsache sollte praktisch für jeden Angestellten interessant sein, fällt doch unter dieses Verdikt beispielsweise auch jede für private Zwecke gefertigte Kopie.

Die Nutzung von Internet und E-Mail-Systemen während der Arbeitszeit aus anderen als dienstlichen Gründen unterliegt im Regelfall also immer der Zustimmung des Arbeitgebers. Wichtig hierbei: Erteilt die Firmenleitung ihre Zustimmung zur privaten Internet-Nutzung ausdrücklich, so sollte sich dieses Plazet entweder im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung wiederfinden. Denkbar, so Däubler, sei auch eine Erklärung des Arbeitgebers, die im Betrieb bekannt gemacht wird.

Eine solche Variante wählte die Compaq-Niederlassung. Bei der deutschen Tochter des Computerherstellers aus Houston in Texas hat die Geschäftsleitung mit dem Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung geschlossen. Darin ist aber "nicht explizit die private Nutzung des Internet erlaubt", erklärt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Christian Brunckhorst.

Die schriftliche Vereinbarung unterblieb aus gutem Grund. Gestattet nämlich "der Arbeitgeber auch die Privatnutzung des Internet-Zugangs vom Arbeitsplatz aus, kann darin eine Sachzuwendung liegen, die wie Arbeitslohn zu versteuern ist", beschreibt Rechtsanwalt und Internet-Experte Arnd Leser von der Rechtsanwaltssozietät Zwipf, Rosenhagen Partnerschaft aus München und Dresden den Sachverhalt.

"Da wäre sofort wieder das Thema geldwerter Vorteil aufgetaucht", sagt Brunckhorst. Elegant umkurvten Arbeitnehmervertretung und Manager das heikle Thema, indem die Geschäftsführung eine E-Mail an die Belegschaft versandte, die das Privatvergnügen im Internet ausdrücklich nicht untersagt. Brunckhorst: "Es ist also erlaubt, privat zu surfen."

Es spricht Bundeskanzler Gerhard SchröderSeit dem 18. September 2000 allerdings hat sich das leidige Thema geldwerter Vorteil der privaten Nutzung von Internet-Anschlüssen ohnehin erledigt: Bundeskanzler Gerhard Schröder versicherte in einer Rede auf der Expo in Hannover vor Vertretern der D-21-Initiative, das Privatgaudium am Arbeitsplatz werde steuerlich nicht abgestraft.

Natürlich birgt das Thema die Grundsatzfrage: Wer darf in welchem Umfang kontrollieren, auf welche dienstlichen Abwege sich Mitarbeiter während der Arbeitszeit im Internet begeben? In der Betriebsvereinbarung bei Compaq ist dieses Kernthema eindeutig geklärt: Log-Files dürfen nicht erzeugt werden. Dadurch ist keine Kontrolle möglich, ob jemand privat surft oder nicht.

Nach deutscher Rechtsprechung spielt es beim Thema Kontrolle übrigens keine Rolle, ob ein Unternehmen eine Arbeitnehmervertretung besitzt und ob rechtlich bindende Betriebsvereinbarungen abgeschlossen wurden: Für das durchaus nachvollziehbare Bedürfnis des Arbeitgebers, die Internet- und E-Mail-Nutzung seiner Beschäftigten zu überwachen, gibt es "zwei sehr gewichtige Grenzen", schreibt Däubler. Möchte der Arbeitgeber seine Angestellten überprüfen oder in seinem Auftrag von einem Dritten mit technischen Hilfsmitteln kontrollieren lassen, so hat er schlechte Karten: Denn für solch einen Eingriff muss sich das Management nach Paragraph 87, Absatz 1, Nummer 6 des Betriebsverfassungsgesetzes die Zustimmung des mitbestimmungsberechtigten Betriebsrats einholen.

Begründung: Die erhobenen Daten lassen zusammen mit so genanntem Zusatzwissen Aussagen über das Verhalten und die Leistungen des Arbeitnehmers zu.

Aus diesem Grund ist beispielsweise auch die Erfassung von Telefondaten mitbestimmungspflichtig, wie das Bundesarbeitsgericht 1996 feststellte. Genauso argumentiert die juristische Literatur auch für den E-Mail-Verkehr.

Hat also ein Betriebsrat der Erfassung von Nutzungsdaten nicht zugestimmt, müssen diese umgehend gelöscht werden. Außerdem ist eine Verwertung dem Arbeitnehmer gegenüber unzulässig.

Noch wichtiger: Kommt es zum Rütlischwur in Sachen Internet- und E-Mail-Nutzung, befinden sich auch Arbeitnehmer eines Unternehmens, das über keinen Betriebsrat verfügt, nicht im rechtsfreien Raum. Auch dann nämlich darf die Firmenleitung nicht beliebig Internet-Bewegungsprotokolle ihrer Angestellten anfertigen. Der Zugriff auf den Inhalt von E-Mails und andere Nachrichten wie etwa Bestellungen und Überweisungen über das Internet ist schon mit Rücksicht auf das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers ausgeschlossen.

Bereits das Einfrieren von Verbindungsdaten ist für einen Firmenchef rechtlich außerordentlich problematisch. Schon bei der Übermittlung von Daten greifen die Datenschutzvorschriften der Paragraphen 85 folgende des Telekommunikationsgesetzes. In schönstem Juristendeutsch heißt es bei Däubler: "Sie verpflichten den Arbeitgeber zu einem hohen Maß an Datensicherung, schließen die Speicherung der angewählten Personen oder Anschlüsse aus und verpflichten dazu, die erhobenen Daten nur insofern zu verwerten, als dies für die geschäftsmäßige Erbringung der Telekommunikationsdienste erforderlich ist." Die Folge: Der Arbeitgeber ist auf "konventionelle" Beweismittel beschränkt. Die kann er, wie im Fall Dow Chemical, etwa durch intrigante Kollegenbezichtigung gewinnen.

Eine Notlösung, die allerdings das Verständnis von moderner Personalpolitik des BDA-Manns Hagedorn auch erheblich strapazieren dürfte, stellt der Einsatz von Überwachungs-, also so genannter Monitoring-Software dar. Produkte unter anderem von Websense, von Elron Software oder von Content Technologies Ltd. gibt es in den verschiedensten Varianten.

Installiert auf Proxy- oder Gateway-Servern des Unternehmens, protokollieren sie den Verkehr, der über diese Rechner läuft, in Echtzeit und schreiben die anfallenden Informationen in eine Datenbank. Diese wiederum gibt regelmäßige Reports aus. Ähn-lich arbeiten Programme, die den E-Mail-Verkehr überwachen. "Mailsweeper" von Content Technologies etwa überprüft mit der elektronischen Harke alle Mails auf ausgewählte Schlüsselbegriffe oder Kombinationen von Begriffen. Wird die Software bei einer Mail fündig, blockiert sie die elektronische Post noch vor dem Versand. Der Versender bekommt zudem automatisch - ebenfalls per Mail - die Gelbe Karte gezeigt.

Fast schon wieder gut in ihrer Perfidie ist Software, die nicht nur jeden Tastendruck eines PC-Benutzers protokolliert, jedes benutzte Programm dokumentiert und die Ergebnisse dieser Big-Brother-Überwachung per Anhang verdeckt an eine vordefinierte Mail-Adresse - etwa den Chef einer Abteilung - verschickt. Die rechtlich in Deutschland völlig indiskutable Funktion "Silent Install" der Software "Investigator 2.0" erlaubt es dabei zudem, das Programm an jedem Arbeitsplatz zu installieren und zu betreiben, ohne dass der Benutzer davon irgend etwas bemerkt.

Weniger problematisch ist da Filtersoftware: Um seine Mitarbeiter gar nicht erst in Versuchung zu bringen, auf bestimmte nicht opportune Web-Seiten zu surfen, setzt Compaq wie viele andere Konzerne auch auf seinen Internet-Gateways die Filtersoftware "Websense Enterprise" ein. Eine Datenbank beim Hersteller Websense in San Diego wird ständig auf den neuesten Stand gebracht, um unerwünschte Websites, Newsgroups oder Chat-Rooms sofort ausfindig zu machen, wenn sie online gehen. Hierzu nutzt das Unternehmen eine eigene Software, die Suchmaschinen, Usenet und Verzeichnisse durchforstet. Websense-Mitarbeiter überprüfen die URLs auf ihre Unbedenklichkeit. Jede Nacht überspielt das Unternehmen aus San Diego diese aktualisierte Datenbank an Kunden wie Compaq.

Genau diese Vorauswahl durch US-Amerikaner, also deren Entscheidung, welche Internet-Inhalte zur Kenntnis genommen werden dürfen und welche nicht, bereitet dem Compaq-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Brunckhorst aber erhebliche Probleme: Viele Moralvorstellungen der Amerikaner, gesellschaftlich kodifiziert in Political-Correctness-Bibeln, decken sich nicht unbedingt mit europäischen und deutschen Tabu-Richtlinien. Verbote, die jenseits des Atlantiks gelten, werden hier oft als bigotte Heuchelei oder zumindest Prüderie der US-Amerikaner eingestuft.

Prompt gab es Ärger, als Compaq die Websense-Filtersoftware erstmals in Deutschland installierte. Entgegen geltendem Recht war der Betriebsrat zudem zunächst nicht involviert worden. Wirklich geärgert hatte sich Gesamtbetriebsrats-Chef Brunckhorst aber "wegen des Kulturimperialismus", der via Filtersoftware im Hause Compaq Einzug hielt. "Die US-Amerikaner konnten uns also sagen, was wir im Internet sehen dürfen und was nicht. Das hat mich aufgeregt."

Wenig Spaß versteht man bei Compaq übrigens in bestimmten Fällen: Wenn der begründete Verdacht besteht, dass ein Mitarbeiter etwa rechtsradikale Inhalte im Internet sucht oder dort verbreitet, kann eine Protokollierung seines Surf-Verhaltens in Übereinstimmung von Betriebsrat und Geschäftsleitung für einen bestimmten Zeitraum stattfinden - ohne dass der Betreffende davon unterrichtet wird. Arbeitgeber und Arbeitnehmervertretung werten dieses Protokoll aus und legen notwendige Maßnahmen fest (siehe Kasten "Alles klar, oder...?").

Jan-Bernd Meyer

jbmeyer@computerwoche.de

Was unstrittig istSoweit ein Bezug zu den dienstlichen Aufgaben besteht, diese also durch das Tun des Arbeitnehmers gefördert werden sollen, liegt eine dienstliche Nutzung vor. Wichtig hierbei: Ob sie im Einzelfalll zweckmäßig war, spielt im Ergebnis keine Rolle. Es reicht die Absicht, die Arbeit voranzubringen. In Zweifelsfällen kann man auf die Abgrenzungsversuche zurückgreifen, die im Unfallversicherungsrecht und im Recht der Arbeitnehmerhaftung entwickelt wurden, da in beiden Fällen auf das Vorliegen einer "betrieblichen Tätigkeit" abgestellt wird.

Aus: Däubler, Wolfgang; K&R, Heft 7/2000; Seiten 323 ff.

Nicht ausdrücklich, aber unausgesprochen...Größere Probleme bereitet die Erlaubnis zur privaten Nutzung des Internet dann, wenn der Arbeitgeber sie nicht ausdrücklich ausspricht oder per Betriebsvereinbarung ausweist, sondern diese Einwilligung stillschweigender Natur, im Juristendeutsch konkludent, ist. Sie dürfte dann vorliegen, wenn der Arbeitgeber bei der Installation von Internet-Software auf den Firmen-PCs beispielsweise von sich aus unter der Rubrik "Lesezeichen" auch "WOW Top 1000" aufführt und die dabei sichtbar werdende Liste neben "Autos und Motor", "Finanztips", "Gesundheit" auch "Spiele" und "Erotik" enthält.

Ist privates Telefonieren gestattet, so wird der Arbeitnehmer zudem davon ausgehen können, dass in vergleichbarem Umfang auch private E-Mails und privates Internet-Surfen möglich sind. Dies gilt jedenfalls dann, wenn dem Arbeitgeber wegen einer Pauschalabrede keine zusätzlichen Kosten entstehen.

Von einer konkludenten Einwilligung wird man schließlich auch dann ausgehen können, wenn zwar eine Regelung über die Differenzierung zwischen privater und dienstlicher Nutzung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber vereinbart ist, diese jedoch trotz einer an sich vorgesehenen Kostenbeteiligung der Arbeitnehmer während einer längeren Zeit nicht praktiziert wird.

Aus: Däubler, Wolfgang; K&R, Heft 7/2000; Seiten 323 ff.

üblich ist, was bekannt istDie private Internet-Nutzung kann auch "betriebsüblich" sein. Dies setzt allerdings voraus, dass die entsprechende Praxis für den Arbeitgeber wenigstens erkennbar war und die Arbeitnehmer darauf vertrauen konnten, auch in Zukunft werde es bei dem aktuellen Zustand bleiben. Da es aber zu dem Problemkreis bislang in Deutschland keine höchstrichterliche Entscheidung gibt, ist auch nicht klar definiert, wie lange eine solche Praxis bestanden haben muss. Im Regelfall dürfte ein Zeitraum von einem halben bis zu einem Jahr ausreichen.

Aus: Däubler, Wolfgang; K&R, Heft 7/2000; Seiten 323 ff.

Alles klar, oder...?Verschafft sich ein Arbeitnehmer über seinen Internet-Zugang in der Firma Sex- oder Pornodateien mit strafbarem Inhalt, so liegt ein Missbrauchsfall vor. Es gibt eine Rechtsmeinung, die hier eine fristlose Kündigung rechtfertigt.

Allerdings gilt es auch hier zu differenzieren. Werden die strafbaren Dateien nur individuell konsumiert und anderen Beschäftigten nicht zugänglich gemacht, ist das Arbeitsverhältnis nicht berührt. Entsprechend hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg für den Fall eines Haschisch-Konsums im Betrieb entschieden, der sich in keiner Weise auf die Arbeitsleistung ausgewirkt hatte.

Bei strafbaren Äußerungen ist gleichfalls danach zu fragen, ob das Verhalten des Arbeitnehmers überhaupt von den Gesprächspartnern irgendwie mit dem Arbeitgeber in Verbindung gebracht wird oder werden kann. Ist dies nicht der Fall, müssen Sanktionen wegen Verletzung des Arbeitsvertrags ausscheiden.

Berührt das strafbare oder grob sittenwidrige Verhalten das Arbeitsverhältnis, weil beispielsweise andere Beschäftigte belästigt werden, liegt eine Pflichtwidrigkeit vor, die zu einer Abmahnung, gegebenenfalls auch zu einer sofortigen Kündigung führen kann. Ähnliches gilt, wenn der E-Mail-Zugang dazu benutzt wird, andere Arbeitnehmer durch zahlreiche Sendungen mit kränkendem oder beleidigendem Inhalt einzuschüchtern.

Aus: Däubler, Wolfgang; K&R, Heft 7/2000; Seiten 323 ff.