Personalmangel erzwingt mehr Flexibilität

Firmen müssen ihre Anforderungen überdenken

20.08.1999
Zur Personalnot haben die Nomina GmbH, die Lothar Kornherr Unternehmensberatung und der Verband der Software-Industrie (VSI) mehr als 400 IT-Unternehmen befragt. Ina Hönicke* fragte im Auftrag der CW den Freisinger Personalberater Lothar Kornherr, wie Firmen den Engpaß an qualifizierten Mitarbeitern überwinden können.

CW: Im IT-Bereich ist die Personaldecke mehr als dünn. Handelt es sich um eine kurzfristige Ausnahmesituation?

KORNHERR: Mit einer Ausnahmesituation hat das sicher nichts zu tun. Auch in nächster Zeit ist nicht mit einer nachhaltigen Verbesserung des Angebots zu rechnen. Während die Stellenausschreibungen für IT-Profis in den letzten drei Jahren um das Fünffache gestiegen sind, sinkt die Zahl der Hochschulabsolventen in diesem Bereich dramatisch.

CW: Wie sieht die Lage denn genau aus?

KORNHERR: Im vergangenen Jahr waren an den Hochschulen von insgesamt 11000 Informatikstudienplätzen lediglich 6700 belegt. Benötigt werden aber jährlich rund 20000 Informatiker.

CW: Könnten flexiblere Arbeitszeitmodelle dazu beitragen, den Personalengpaß zu beseitigen?

KORNHERR: Für die IT-Branche würden sich Teilzeitmodelle ebenso anbieten wie Job-sharing oder Telearbeitsplätze. Solche Möglichkeiten werden viel zuwenig genutzt. Interessanterweise sind es gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, die prozentual gesehen mehr Teilzeitkräfte beschäftigen, während sich die größeren eher zurückhalten. Vielleicht sind die kleineren Betriebe aufgrund der erschwerten Rekrutierung gezwungen, flexibler zu reagieren. Insgesamt sind die Firmen mit variablen Arbeitszeiten noch in der Minderzahl.

CW: Welche Arbeitnehmer sind am meisten gefragt?

KORNHERR: Gesucht wird der gestandene IT-Profi, der noch über eine Zusatzqualifikation, Branchenkenntnisse und soziale Kompetenzen verfügt. Diese Spezies ist Mangelware. Darum müssen die Unternehmen ihre Anforderungen überdenken und flexibler werden. Allerdings bestand der größte Personalbedarf 1998 nicht in den klassischen IT-Berufen Software-Entwicklung/Programmierung und System-/Netz-Management, sondern in der Kunden-/Anwendungsberatung und im Projekt-Management.

CW: Welche Qualifikationen sind hierfür erforderlich?

KORNHERR: Die Mitarbeiter in der Kundenschulung und -beratung müssen Branchen-, Programmier- und IT-Kenntnisse haben. Außerdem werden kommunikative, didaktische und pädagogische Fähigkeiten verlangt.

CW: Das hört sich stark nach der eierlegenden Wollmilchsau an. Müssen hier nicht Abstriche gemacht werden, beziehungsweise ist nicht eine Weiterqualifizierung im Unternehmen erforderlich?

KORNHERR: Sowohl das eine als auch das andere. Nach unserer Erfahrung ist es einfacher, einem eloquenten Bankkaufmann oder einer Handelskauffrau Softwarekenntnisse beizubringen, als einem Informatiker in kurzer Zeit umfangreiches Branchen-Know-how zu vermitteln.

CW: In Ihrer Studie fällt auf, daß die Unternehmen auf Instrumente der Personalbeschaffung offenbar nur wenig vertrauen.

KORNHERR: Das stimmt. Die besten Noten erhalten eindeutig die "Kontakte durch Mitarbeiter" und die Suche über Jobbörsen im Internet. Bemerkenswert ist, daß sowohl das Arbeitsamt als auch die Personalberater als Helfer nicht sehr geschätzt werden.

CW: Das Arbeitsamt war im Grunde noch nie der Ansprechpartner der IT-Branche. Daß die Personalberater in den gleichen Topf geworfen werden, überrascht allerdings.

KORNHERR: Hier muß man differenzieren. An der Untersuchung haben sehr viele kleine und mittlere Betriebe teilgenommen. Für sie sind Personalberater meist zu teuer. Die großen Unternehmen spielen auf der gesamten Klaviatur der Personalsuche: Sie schalten kostspielige Anzeigen, arbeiten mit Personalberatern zusammen und sind an den Hochschulen vertreten. Firmen mit einem guten Ruf können außerdem mit vielen Initiativbewerbungen rechnen.

CW: Wie sollten Unternehmen mit knappen Personalressourcen im IT-Bereich vorgehen?

KORNHERR: Sie müssen ihren dringend benötigten Nachwuchs verstärkt selbst heranziehen. Warum erhalten nicht auch Quereinsteiger, beispielsweise Geisteswissenschaftler, eine Chance?

CW: Wie sieht nach den Ergebnissen Ihrer Studie das Szenario 2005 aus?

KORNHERR: Nun könnten wir es uns leichtmachen und die vorliegenden Zahlen einfach auf das Jahr 2005 hochrechnen. Unser Fazit wäre dann, daß die Lage noch schlechter wird, daß sich sowieso nichts ändern läßt, daß die kleinen Firmen keine Chance im Wettbewerb um den richtigen Mitarbeiter haben. Doch wir haben die Studie auch deswegen aufgelegt, weil wir hofften, Lösungsvorschläge anbieten zu können. Aufgrund der Ergebnisse steht eins fest: Patentrezepte gibt es nicht. Im Grunde kann man nur von den Unternehmen lernen, die auf dem Arbeitsmarkt weniger Rekrutierungsprobleme haben als andere.

CW: Welche besonderen Strategien haben denn diese Unternehmen?

KORNHERR: Wie gesagt, sie spielen auf der ganzen Klaviatur der Personalbeschaffung. Größere, erfolgreiche Unternehmen investieren bis zu hundert Prozent mehr in die Mitarbeiterakquisition. Dazu gehört, daß sie interessante, innovative Stellenanzeigen schalten, die Kontakte ihrer eigenen Mitarbeiter nutzen und darüber hinaus gute Personalberater einschalten.

CW: Das ist doch ganz normale Mitarbeiterakquise.

KORNHERR: Das ist ja auch nur die eine Seite der Medaille. Die andere ist, daß man die Fluktuation der eigenen Mitarbeiter so gering wie möglich hält. Es kann nicht angehen, daß man motiviertes und qualifiziertes Personal einstellt, es ausbildet, um es dann an andere Arbeitgeber zu verlieren. Es gibt Unternehmen, die geradezu stolz darauf sind, wenn sie von drei eingestellten Mitarbeitern zwei entlassen. Das halte ich für völlig falsch, da die Existenz von Menschen zerstört wird und die Firma obendrein ein schlechtes Image bekommt. Das spricht sich herum. Ein anderes Problem sind die flachen Hierarchien, auf die die IT-Branche so stolz ist, die aber kaum Karrierechancen bieten. Meist bleibt da nur die Position des Projektleiters - und das für immer. Nun legen aber die meisten Beschäftigten in Deutschland nach wie vor großen Wert auf einen Titel. Diese Einstellung müßten auch moderne IT-Unternehmen berücksichtigen und entsprechende Möglichkeiten bieten.

CW: Ihre letzte Empfehlung wird vielen IT-Unternehmen ganz sicher nicht leichtfallen. Haben Sie noch mehr untypische Vorschläge parat?

KORNHERR: In der Tat. Warum sind in der IT-Branche so wenige Frauen zu finden? Meines Erachtens ist es höchste Zeit, den Arbeitnehmerinnen IT-Berufe schmackhaft zu machen. Dies könnte unter anderem mit dem Angebot von Teilzeitmodellen geschehen. Wenn Frauen neben einer Branchenausbildung eine Affinität zu Bits und Bytes haben, sollten sie auf jeden Fall gefördert werden. Auch die Ausbildung älterer Menschen kann zur Lösung beitragen.

*Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.