Firmen mögen Studienabbrecher

26.06.2001
Von Michael Franz
Wer der Universität vorzeitig den Rücken kehrt, findet auf der Internet-Plattform (www.studienabbrecher.com) Gelegenheit, Firmen kennen zu lernen, die insbesondere Uni-Aussteiger rekrutieren wollen. Die Betreiber des Online-Dienstes sind fest davon überzeugt, dass das Loser-Image den Ex-Studierenden zu Unrecht anhaftet, und sie im Gegenteil sogar die besseren Arbeitskräfte seien.

Auf den ersten Blick ist es sicher eine etwas eigenartige Idee, für Studienabbrecher eine Internet-Plattform anzubieten und zu diesem Zweck auch noch eigens eine Firma zu gründen. Die beiden Nürnberger Betriebswirtschaftsstudenten Bernd Nierbaum und Tobias Mazet kamen gemeinsam mit dem angehenden Wirtschaftsinformatiker Timm Fuchs auf diesen Gedanken, als sie sich im vergangenen Jahr an einem Projekt des Junior Consulting Teams - eine studentische Unternehmensberatung - beteiligten.

Quelle: Freie Universität Berlin
Quelle: Freie Universität Berlin

Im Auftrag eines großen deutschen Versicherungskonzerns sollte eine Recruiting-Veranstaltung konzipiert werden. Zielgruppe waren unter anderem auch Studienabbrecher.

Im Laufe ihrer Arbeit wurde den drei Studenten klar, dass es gar nicht so einfach ist, an die Studienabbrecher heranzukommen. Mazet beziffert ihre Zahl auf 70000 pro Jahr, was einer Studienabbruchquote von 35 Prozent gleich komme - Tendenz steigend. Die Problematik bestand darin, einerseits mit den Ex-Studierenden in Kontakt zu kommen und andererseits der Nachfrage von Firmen nach Abbrechern gerecht zu werden.

Die Firmengründer sahen die Lösung darin, beide Gruppen auf der Internet-Plattform studienabbrecher.com zusammenzuführen. Seit Januar diesen Jahres ist der Service im Netz abrufbar, und seit März knüpfen die Betreiber Kontakte zu interessierten Firmen. Bereits acht Unternehmen präsentieren sich für 250 Mark monatlich auf dieser Website, bei weiteren fünf sollen die Verträge demnächst abgeschlossen sein.

Bald soll es auch eine Datenbanklösung geben, mittels der interessierte Firmen ihre Wunsch-Studienabbrecher finden können, indem sie ihr gesuchtes Profil eingeben und die Datenbank dann passende Kandidaten in anonymisierter Form auflistet. Gezahlt wird bei diesem Modell dann für jeden vermittelten persönlichen Kontakt.

Das schlechte Image der Abbrecher stört viele Firmen nicht. Ganz im Gegenteil, denn sie sind die idealen Azubis, wie Mazet versichert. Sie kommen nicht vollkommen ahnungslos von der Schule, sondern bringen zumindest Grundwissen über das betreffende Fachgebiet mit. Sie sind älter und reifer als jene Lehrlinge, die direkt vom Gymnasium kommen. Und - vielleicht der wichtigste Vorzug - sie wissen genau, was sie nicht wollen: nämlich studieren. Bei ihnen müssen die Firmen nicht befürchten, dass sie nach ihrer Lehrzeit an die Universitäten abwandern, was zum Beispiel bei 40 Prozent der Bankkaufleute der Fall sei.

Der Grund, weshalb sich viele Firmen scheuen, öffentlich um Studienabbrecher zu buhlen, liegt auch am Negativimage, das dieser Klientel noch immer anhaftet. Mazet erzählt von einem großen deutschen Automobilkonzern, der selbst Hochschulaussteiger beschäftigt, "sich aber nicht traut, das publik zu machen". Auch Mazet hatte zuvor gewisse Vorurteile: "Anfangs habe ich auch über die Abbrecher gedacht: Die habens halt nicht geschafft, sind durch zwei oder drei Prüfungen gefallen, und das wars dann." Doch er ließ sich eines Besseren belehren: Das Verlierer-Image sei ein falsches Bild.

"Nur in den seltensten Fällen", betont er, "sind es schlechte Leistungen, die den Ausschlag für den Studienabbruch geben." Der Anteil liege gerade mal bei zehn Prozent. Die meisten würden der akademischen Welt den Rücken kehren, weil sich im Laufe der Semester eine immer größere Distanz zum Studium aufbaue, zu dem Hochschulsystem an sich, das den Leuten zu viel Theorie und zu wenig Praxis vermittle. Oft seien es auch private Gründe finanzieller oder familiärer Art.