Firmen lagern auch die Entwicklung aus

26.07.2007
Noch dominiert das Body-Leasing, aber der Trend geht zu "Wertschöpfungspartnerschaften".
Zwei Drittel der externen R&D-Ausgaben werden an privatwirtschaftliche Anbieter in Deutschland vergeben. Das restliche Drittel geht ins Ausland sowie an Forschungsinstitute.
Zwei Drittel der externen R&D-Ausgaben werden an privatwirtschaftliche Anbieter in Deutschland vergeben. Das restliche Drittel geht ins Ausland sowie an Forschungsinstitute.
Stärker nachgefragt werden künftig R&D-Dienstleistungen, die sich über den gesamten Produktentwicklungsprozess erstrecken.
Stärker nachgefragt werden künftig R&D-Dienstleistungen, die sich über den gesamten Produktentwicklungsprozess erstrecken.

Unternehmen arbeiten auch im Bereich Forschung und Entwicklung zunehmend mit externen Partnern zusammen. Dem Stifterverband Wissenschaftsstatistik zufolge gaben deutsche Firmen im vergangenen Jahr insgesamt 8,5 Milliarden Euro für extern erbrachte R&D-Leistungen (Research and Development) aus. Zwei Drittel davon (5,5 Milliarden Euro) entfielen auf kommerzielle Anbieter: freiberufliche Entwickler, Personalvermittlungsagenturen sowie auf R&D spezialisierte Dienstleister. Im laufenden Jahr wird dieses Geschäft um sieben bis acht Prozent zulegen, prognostiziert die Beratungsfirma Lünendonk in ihrer kürzlich vorgestellten Studie.

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www.computerwoche.de

596095: Lünendonk-Studie zu R&D-Services;

571690: Inder setzen auf Knowledge-Process-Services;

593868: NSN verlagert R&D-Jobs zu Tieto Enator;

1213963: Siemens lagert TK-Entwicklung aus;

552019: Tieto Enator über-nimmt R&D-Dienst-leister Sesa;

535874: Ericsson lagert For-schung in Deutschland aus.

Wichtigste Branche: Automotive

Der mit Abstand größte Abnehmer von R&D-Dienstleistungen in Deutschland ist die Fahrzeugindustrie (Automotive, Luft- und Raumfahrt sowie Schienenfahrzeuge). Allein die Automobilbranche gab nach Angaben des Statistischen Bundesamts im vergangenen Jahr 4,7 Milliarden Euro für externe Entwicklung aus. Das entspricht fast 18 Prozent ihrer gesamten Aufwendungen für Forschung und Entwicklung. Ebenfalls stark nachgefragt werden R&D-Services von der IT- und TK-Industrie, der Elektrotechnikbranche sowie dem Maschinen- und Anlagenbau.

Im Gegensatz zu den teilweise verwandten IT-Services, bei denen die fertige Lösung beim Anwender im Haus verbleibt - etwa in Form von verbesserten Prozessen , beziehen sich R&D-Dienstleistungen auf die Entwicklung von Produkten des Auftraggebers, die an den Endkunden weiterverkauft werden. Der externe Anbieter übernimmt dabei entweder einzelne Teilaufgaben oder gleich mehrere Schritte etwa Hardwareentwicklung, Projektservices und Embedded Systems. Aber auch die Vermittlung von Entwicklern für spezielle Aufgaben, im Fachjargon "Bodyshopping" genannt, ist ein wichtiger Teil des R&D-Servicemarkts.

Extrem heterogener Markt

Dementsprechend heterogen ist die Anbieterlandschaft: Das kommerzielle Spektrum reicht von zahlreichen kleinen, spezialisierten Ingenieurbüros mit nur zwei oder drei großen Auftraggebern bis hin zu breit aufgestellten Zeitarbeitsunternehmen wie Hays oder Randstad, die ihre Mitarbeiter in der Regel über das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) beim Kunden einsetzen. Da Produktinnovationen zunehmend auf Softwareerweiterungen basieren, kommen aber auch branchenübergreifend aufgestellte IT-Dienstleister wie ESG oder T-Systems immer häufiger ins Spiel. Sie übernehmen die Verantwortung für eine Entwicklungsarbeit im Rahmen von Werkverträgen.

Die Grenzen sind allerdings fließend, da die IT-Dienstleister auch klassische Time&Material-Projekte betreiben und sich die Staffing-Anbieter wiederum zunehmend auf Projekte auf Festpreisbasis verlegen. Ein starkes Wachstum sowohl organisch als auch durch Übernahmen attestieren die Analysten von Pierre Audoin Consultants (PAC) vor allem Recruitment-Anbietern wie Brunel, Euro Engineering oder Yacht, die verstärkt Festpreisprojekte betreiben und sich dabei auf hoch qualifizierte Entwickler mit Hochschulabschluss konzentrieren.

Vermittlung von Spezialisten

Das Ausbeuter-Image, das den Zeitarbeitsfirmen vielerorts anhaftet, hat im R&D-Bereich vor diesem Hintergrund keine Berechtigung. Laut PAC verdienen über das AÜG vermittelte Entwickler 60 bis 70 Euro am Tag, im Time&Material-Geschäft sind Sätze zwischen 75 und 95 Euro üblich. Und ein R&D-Berater geht in der Regel mit bis zu 120 Euro nach Hause. "Das sind Spezialisten, einige sehen sich regelrecht als Künstler. Die haben gar kein Interesse daran, fest angestellt für ein und dieselbe Firma zu arbeiten", beschreibt Hartmut Lüerßen, Geschäftsführer der Lünendonk GmbH, die Mentalität der vermittelten Entwickler.

Angesichts des akuten Mangels an Ingenieuren und Entwicklungsspezialisten in Deutschland bietet die professionelle Personalvermittlung durch einen externen Anbieter handfeste Vorteile. Abgesehen davon kann der Anwender dadurch die Zahl seiner R&D-Servicepartner reduzieren: "Wer 600 bis 800 freiberufliche Entwickler beschäftigt, sollte besser einen externen Anbieter einschalten, der die Verwaltung und Projektsteuerung übernimmt", meint Christian Rosengarten, als Senior Director verantwortlich für den Einkauf von IT- und R&D-Services bei Infineon. Und schließlich kann sich der Anwender flexibler auf kurzfristig veränderte Marktanforderungen einstellen: "Nur mit den eigenen Leuten kann man in der Regel nicht schnell genug reagieren", weiß Rosengarten aus Erfahrung.

Gesamtdienstleister im Trend

Neben der Behebung von akuten Personalengpässen oder dem Zugang zu spezifischen Qualifikationen sind es seit einigen Jahren zunehmend auch strategische Motive etwa die Erschließung neuer Märkte und Zielgruppen, eine Neuausrichtung des Unternehmens oder die Erhöhung der Produktvielfalt , die Anwender zur Inanspruchnahme von externen R&D-Services veranlassen. Den Beratern von Lünendonk zufolge geht der Trend dabei zu Wertschöpfungspartnerschaften, wie sie sich etwa in der Automobilindustrie zwischen Herstellern und Zulieferern etabliert haben: Große Anbieter positionieren sich als Gesamt-Dienstleister von R&D-Services, das heißt, sie verlegen sich auf umfassende Leistungen von der Innovationsberatung über das Produktdesign, die Software- und Hardware-Entwicklung und das Test-Engineering bis hin zur Systemintegration (siehe Grafik "R&D-Serviceleistungskette in der Produktentwicklung").

Der Anwender kann bei solchen Outsourcing-Verträgen einerseits von Kostenvorteilen durch Skaleneffekte und den Zugriff auf internationale Entwicklungs- und Testing-Ressourcen profitieren, so Lünendonk-Geschäftsführer Lüerßen. Weitere Vorteile sind mehr Planungssicherheit sowie kürzere Time-to-Market-Zeiten durch verbesserte Prozesse: "Im Handy-Geschäft beispielsweise können schon ein paar Wochen über riesige Umsatzvolumina entscheiden etwa wenn ein Design floppt", so Jürgen Hatzipantelis, Geschäftsführer bei der deutschen Niederlassung des finnisch-schwedischen IT-Dienstleisters Tieto Enator, die 80 Prozent ihrer Einnahmen mit R&D-Services erzielt und sich dabei verstärkt als Gesamt-Dienstleister positioniert.

Outsourcing ist schwierig

Allerdings ist das Outsourcing-Geschäft nicht einfach, weil viele Unternehmen Forschung und Entwicklung zum Kerngeschäft zählen. Abgesehen von einigen TK-Ausrüstern haben daher bislang nur wenige Anwender auch komplexere Forschungs- und Entwicklungsprozesse komplett nach draußen gegeben. Zudem handelte es sich dabei meistens um die Entwicklung von älteren Techniken. Die Öffentlichkeit erfährt von solchen Deals nicht viel. "Wer R&D-Bereiche auslagert, hängt das natürlich nicht gern an die große Glocke", so Tieto-Enator-Chef Hatzepantelis.

Vertrauen ist das A und O

Voraussetzung für das Zustandekommen eines solchen Vertrags sind zudem nicht nur langjährige Erfahrungen des IT-Dienstleisters, sondern auch ein hohes Maß an Vertrauen von Seiten des Anwenders. "Die Partner sind viel stärker miteinander verzahnt als etwa im IT-Servicegeschäft, das ist eine fast schon symbiotische Beziehung", beschreibt Tieto-Enator-Chef Hatzipantelis. "Vor allem der Know-how-Transfer zu einem R&D-Gesamtdienstleister ist enorm." Viele Anwender schreckten vor solchen Deals zurück, um nicht in Abhängigkeit zu geraten. Hinzu kämen hohe Investitionen, um die Mitarbeiter des externen Anbieters in die jeweilige Materie einzuarbeiten. Auch R&D-Gesamtdienstleister müssen daher zunächst mit kleinen Aufträgen wie der Verleihung von Entwicklern anfangen und sich dann langsam hocharbeiten, um das nötige Vertrauen zu gewinnen, so der Manager: "Der klassische Einstieg ist das Body-Shopping. Bei Tieto Enator macht dieses Geschäft nach wie vor 30 Prozent des Gesamtumsatzes aus."

Marktbeobachter gehen dennoch davon aus, dass die Outsourcing-Aktivitäten im R&D-Bereich zunehmen werden. "Immer mehr Anwender wollen zusammenhängende, ergebnisorientierte Leistungen anstelle von einzelnen Aufgaben auslagern, um die externen Anbieter stärker in die Verantwortung nehmen zu können", begründet Lünendonk-Chef Lüerßen die positive Prognose. Gute Chancen, als R&D-Gesamtdienstleister in Deutschland aufzutreten, haben laut Lünendonk vor allem hiesige Tochtergesellschaften internationaler IT-Dienstleister wie Tieto Enator (Skandinavien) oder Altran (Frankreich). Aber auch Accenture, SIS und IBM wappnen sich für den Wachstumsmarkt. Offshore-Anbieter wie TCS, Wipro und Satyam bieten ebenfalls zunehmend um Aufträge und verschärfen damit den Preisdruck. Bislang konnten sie in Deutschland allerdings nur wenige Deals gewinnen.

Auch hiesige R&D-Gesamtdienstleister sind auf Offshoring-Kapazitäten angewiesen, um auf lange Sicht wettbewerbsfähig zu bleiben, ist Hatzipantelis überzeugt. Tieto Enator habe derzeit einen Offshore-Nearshore-Anteil von 40 Prozent. Mittelfristig sollen es 50 Prozent sein. Allerdings eignen sich für Offshore-Projekte nur einfachere Entwicklungsaufgaben, räumt der Tieto-Enator-Chef ein: "In der Automobilindustrie zum Beispiel ist ein großer Teil der Elektronik stark mit der Mechanik verbunden. So etwas lässt sich nicht einfach nach Indien auslagern. In diesem Bereich sind deutsche Ingenieure einfach besser."