Finanzspritze von Bruessel genehmigt Studie bewertet den Kurs der kraenkelnden Groupe Bull positiv Von Lorenz Winter *

21.10.1994

PARIS - Am 15. November dieses Jahres soll die Privatisierung der Groupe Bull beginnen. Spaetestens bis zum Fruehjahr 1995 duerfte die Aktion ueber die Buehne gegangen sein. Nachdem die EU-Kommission jetzt unter Auflagen zugestimmt hat, erhaelt Bull die letzteTranche von 3,1 Milliarden Franc (rund 900 Millionen Mark) der umstrittenen oeffentlichen Kapitalhilfe.

Die Genehmigung der Kommission ist an Bedingungen geknuepft. Das Geld - insgesamt handelt es sich um eine Kapitalhilfe von elf Milliarden Franc - soll nur dazu verwendet werden, das unprofitable Unternehmen wieder auf die Fuesse zu stellen und zu privatisieren. Die Finanzhilfe darf nicht fuer eine Produktionsausweitung benutzt werden.

Die EU-Beamten stimmten der umstrittenen Finanzhilfe erst zu, nachdem eine bei Arthur D. Little (ADL) in Auftrag gegebene Studie die bisherigen Massnahmen von Bull-Chef Jean-Marie Descarpentries positiv bewertet hatte. Zu dem von ihm und dem Industrieministerium eingeschlagenen Weg gebe es kaum eine Alternative, bilanzierten die Berater.

Sie kommen zu dem Schluss, dass Privatisierung und Verabredung weiterer industrieller Partnerschaften die beste Ueberlebensgarantie fuer Bull in seiner heutigen Form bieten. Im Gegensatz dazu wuerde nach Ansicht von ADL beispielsweise eine totale Stillegung der Gruppe den Staat mit zwoelf Milliarden Franc noch mehr kosten als die sehr umstrittene "letzte" Kapitalhilfe. Darueber hinaus spiele ein eventuelles Verschwinden Bulls von der IT-Szene nur den nichteuropaeischen Wettbewerbern der Gruppe in die Haende. Von dem Gesamtzuschuss stehen derzeit noch 3,1 Milliarden Franc aus: 2,5 Milliarden von Seiten der Regierung und 0,6 Milliarden vom Minderheitsaktionaer France Telecom.

Auch eine Zerschlagung des Konzerns halten die ADL-Consultants fuer wenig empfehlenswert. Denn wegen ihres geringen Europa- beziehungsweise Weltmarktanteils liessen sich weder das PC-Geschaeft (Zenith Data Systems/ZDS) noch der Bereich offene Systeme selbstaendig weiterfuehren. Nach der Zerstueckelung blieben Bull nur noch seine Grosssysteme, Support, Wartung und das Facilities- Management.

Genau wie fuer Descarpentries selbst kommt freilich auch fuer ADL ein Gesamterhalt von Bull realistischerweise nicht in Frage, weil zu viele "prekaere" Geschaeftsfelder im Hause existieren. Inoffiziell wird von der Aufgabe der Drucker- (Compuprint, Nipson) und der Zahlungsautomaten-Produktion gesprochen. Das Unternehmen veroeffentlichte jetzt zwar erstmals die fuer 1994 geschaetzten Umsaetze nach Sparten, nicht aber deren Gewinn- und Verlustbeitrag. Aus der Analyse laesst sich jedoch ablesen, dass zur Zeit nur die Enterprise Server, der Support und das FM-Geschaeft profitabel sind.

Bull bleibt ein Sanierungsfall

Das hat strategische Konsequenzen. Die Consultants vermuten naemlich, dass Bull auch nach der Entlassung aus staatlicher Obhut (oeffentliche Hand und France Telecom kaemen dann zusammen auf weniger als 50 Prozent Anteil) sanierungsbeduerftig bleibt. Angesichts einer Nettoverschuldung von 10,7 Milliarden Franc und einer negativen Eigenkapitalquote in der Bilanz von 2,6 Milliarden Franc seien schon 1995 weitere frische Mittel von mindestens 1,5 Milliarden Franc noetig - auf laengere Sicht sogar von vier Milliarden Franc.

Die Privatisierung muesse daher Hand in Hand gehen mit der Vereinbarung neuer Industriepartnerschaften, so das ADL-Papier. Skeptisch beurteilen die Consultants in diesem Zusammenhang allerdings das Buendnis mit IBM: Es bedeute langfristig "den Tod" fuer Bull. Denn entweder ziehe der blaue Riese die Pariser in den Strudel eigener Probleme, oder er mache ihnen - wiederauferstanden aus der Asche - den Platz am Weltmarkt streitig. Allerdings hatte IBM-Chef Louis Gerstner erklaert, dass Big Blue sich derzeit nicht an einer moeglichen Kapitalerhoehung beteiligen werde.

Als attraktivster Verbuendeter gilt NEC. Auch eine Zusammenarbeit mit Apple im PC-Geschaeft sei denkbar. Ferner nennt das Gutachten die Namen Alcatel, Thomson, Fujitsu und Wang; nicht erwaehnt wird dagegen Siemens.