"Finanzielle Forderung von Ode EDI wäre Faß ohne Boden"

21.12.1990

Mit Ernst-August Hörig, Vorsitzender des Deupro, des Ausschusses für Vereinfachung internationaler Handelsverfahren im Bundesministerium für Wirtschaft, sprach Peter Gruber.

CW: Stimmt es, daß Sie im Wirtschaftsministerium eigentlich für die Zollpolitik zuständig sind und EDI dazugepackt bekommen haben?

Hörig: Ja, das ist richtig. Ich leite im Bundesministerium für Wirtschaft das Referat für Zollpolitik. Das ist die wirtschaftliche Seite der Zollpolitik, im Gegensatz zum Bundesministerium für Finanzen, das für die Zollverwaltung verantwortlich ist. Das Thema elektronischer Austausch von Handelsdaten wurde mir angetragen, weil es Teil der Vereinfachung von Handelsverfahren ist.

CW: Ist EDI nur ein "Anhängsel" ihres Referates oder auch wichtiger Bestandteil Ihrer Arbeit?

Hörig: Ursprünglich ist Handelsvereinfachung tatsächlich nur so ein Anhängsel gewesen, aber durch die Aufnahme des elektronischen Datenaustausches hat dieses Thema eine neue Dimension bekommen.

CW: Haben Sie die entsprechende Manpower, um, wie Sie sagen, dieser neuen Dimension von EDI gerecht zu werden? SCS hat bei der Zwischenbilanz der von Ihnen in Auftrag gegebenen EDI-Studie ja den Personalmangel bei der Deupro kritisiert.

Hörig: Die Deupro hat nur eine Koordinierungsfunktion. Bei uns gibt es die beiden Arbeitsträger, das DIN und die Arbeitsgemeinschaft wirtschaftliche Verwaltung (AMT), die sich wiederum weitgehend auf ehrenamtliche Mitarbeiter in Arbeitsgruppen und Ausschüssen verteilen. Ursprünglich ist der Bedarf an Manpower für die Koordinierungsfunktion und die Vertretung der deutschen Interessen in der Arbeitsgruppe 4 der ECE (Economic Commission for Europe) sehr klein gewesen. Durch den elektronischen Datenaustausch ist in der Working Party 4 der ECE ein neuer Schwerpunkt geschaffen worden und die internationale Standardisierung hat eine Priorität erlangt, durch die unsere Aufgaben deutlich gewachsen sind. Heute ist die Frage erlaubt, ob der Personalbestand, den wir einsetzen, ausreicht, um EDI in einer nützlichen und erforderlichen Weise weiterzuführen. Wir tun das nach besten Kräften, aber irgendwo gibt es Grenzen.

CW: Offiziell wird nur die fehlende Manpower bemängelt. Hinter vorgehaltener Hand - wohlgemerkt nicht von SCS - wird jedoch Kritik an der Deupro laut. Die Vorwürfe reichen dahin, daß Sie EDI im Gegensatz zu anderen Ländern in Europa zuwenig in die Industrie hineintragen. In Frankreich gibt es zum Beispiel Edifrance, das dem Premierminister unterstellt und damit politisch sehr hoch angesiedelt ist. Warum gibt es solche Institutionen hierzulande nicht?

Hörig: Wir haben uns über diese Frage natürlich auch Gedanken gemacht, weil wir sehen, welche Aktivitäten unsere Kollegen in den anderen Staaten entwickeln. Die haben, wie Sie schon sagten, nationale Organisationen gegründet und die Industrie aufgefordert, finanzielle Beiträge zu leisten. Wir wissen auch, daß die Regierungen ihrerseits finanzielle Zuwendungen an solche Organisationen machen. Natürlich stellten wir uns auch die Frage, wie wir vorgehen sollten, und waren uns ziemlich schnell einig, daß eine neue Organisation hier keine große Abhilfe bringen würde. Wir haben, wie ich schon schilderte, unsere Arbeitsträger DIN und AWV und sind der Meinung, daß eine neue Organisation nur neuen Koordinierungsbedarf schaffen und Reibungsverluste bringen würde.

Denkbar wäre jedoch eine halbstaatliche Organisation, wie sie in Großbritannien in Form der Sitpro existiert. Dort werden Vereinfachungsprogramme verkauft und der Industrie wird Hilfe angeboten, um Vereinfachungen in den Handelsverfahren zu erzielen. Aber auch in Deutschland ist im Außenwirtschaftsbereich immer ein großes Gewicht auf Angleichungen gelegt worden. Ich bezweifle deshalb, ob es bei uns sinnvoll wäre, wenn einer solchen halbstaatliche Organisation Aufgaben übertragen würden und sie von der Regierung Zuwendungen bekäme. Ich meine, es reicht aus, wenn wir die bestehende Organisation nutzen, insbesondere, weil es hier um Standardisierungsfragen geht.

Wir haben schon an eine Lösung gedacht, wo das DIN über die Normierungsaufgabe hinaus für die Wirtschaft auch eine Beratungsfunktion für den Einsatz des elektronischen Datenaustausches übernimmt.

CW: Welche Lösung?

Hörig: Es ist ein EDI-Schalter beim DIN im Gespräch.

CW: Bisher wird EDI überwiegend in der Großindustrie und bei deren Zulieferern realisiert, ansonsten ist die Resonanz noch eher gering. Glauben Sie, daß ein Kongreß ausreicht, um EDI "flächendeckend" publik zu machen, oder hoffen Sie auf den berühmten Schneeballeffekt?

Hörig: Hier kommen ja Aktivitäten von mehreren Seiten. Die EG-Kommission hat das Programm Tedis I abgewickelt, das allerdings nicht besonders großzügig ausgestattet war, aber doch auf EDI aufmerksam gemacht hat. In nächster Zukunft wird wahrscheinlich Tedis II folgen. Da sehen wir also schon gemeinschaftliche Initiativen für die Verbreitung des Gedankens von EDI, und die Kommission selbst wird EDI weiter propagieren.

Wir haben uns mit unseren 1 Aktivitäten und diesem Kongreß "EDI 90 Deutschland" insbesondere an die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft gewandt, um ihnen die Wichtigkeit des EDI und dessen Standardisierung näherzubringen. Diese Bemühungen werden wir fortsetzen. Ich rechne damit, daß die Spitzenverbände ihrerseits ihren Einfluß bei den Mitgliedsfirmen geltend machen und für EDI Überzeugungsarbeit leisten. Da vermisse ich allerdings manchmal noch die Resonanz und das nötige Engagement.

CW: Die Überzeugungsarbeit sollten also die Verbände leisten?

Hörig: Auf jeden Fall sollen sie mithelfen. Das kann man nicht als Einzelperson mit einem Koordinierungsgremium Deupro bewerkstelligen. Dazu ist eine breite Basis und Unterstützung nötig, denn sonst ist das ein sehr langwieriger Prozeß.

CW: Sie sprachen eben das EG-Programm Tedis an. Im Rahmen von Tedis werden Pilotprojekte mit Subventionen gefördert. Plant das Wirtschaftsministerium Ähnliche Schritte, um EDI zu puschen?

Hörig: Es ist richtig, daß mit den Pilotprojekten von Tedis die Probleme aufgezeigt werden sollten. Tedis II aber soll branchenübergreifend eine echte Abstimmung herbeiführen. Ich hätte Hemmungen jetzt national zu ergänzen und eine finanzielle Förderung für den Einsatz von EDI zu befürworten. Immerhin geht es hier um Geschäftsentscheidungen. jeder muß für sich selbst kalkulieren ob für ihn der Einsatz des elektronischen Datenaustausches von Vorteil ist oder nicht.

Ich meine, unsere Aufgabe kann nur darin bestehen, das Problem anzureißen und den Firmen zu sagen, ihr müßt die Entwicklung international sehen. Wichtig ist auch der Hinweis auf die Standardisierungswelle und die Tatsache, daß derjenige, wer im internationalen Wettbewerb bestehen will, der die Mittel des EDI und darüber hinaus der Standardisierung nutzen muß. Ich fürchte aber, es würde ein Faß ohne Boden werden, eine finanzielle Förderung einzufahren.

CW: EDI und Edifact sind, extrem gesagt, zwei Paar Stiefel. EDI schließt internationale Standards nicht unbedingt ein, während Edifact auf einer internationalen Syntax beruht. Stehen Sie Edifact positiver gegenüber oder sagen Sie sich, wir haben mit EDI lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach?

Hörig: EDI gibt es in Deutschland ja schon sehr lang. Ich habe im Lauf der Jahre gelernt, daß EDI bei uns schon früh und effektiv eingesetzt worden ist. Ich denke da zum Beispiel an die über 3000 Verbindungen, die in der Automobilindustrie mit den Zulieferern bestehen. Also EDI ist bei uns nicht neu und muß nicht neu erfunden werden.

Edifact hingegen ist neu und grenzübergreifend. Da gibt es keine Insellösungen mehr. Die sind für die Anwendung von Edifact eher feindlich, denn wer eine funktionierende Insellösung hat, der hat keinen Bedarf, sich solchen Standards anzupassen, es sei denn, er will grenzüberschreitend Handel treiben. Dann wird Edifact nach meiner Einschätzung eine blanke Notwendigkeit, weil es ein internationaler Standard ist, der sich weltweit durchsetzen wird. Es fehlt heute sicherlich noch an der kritischen Masse, die den großen Run auf die Anwendungen von Edifact auslöst. Man darf aber nicht vergessen, daß erst 19 Nachrichten existieren, die einen halbwegs verläßlichen Status erreicht haben. Das genügt vielen Firmen noch nicht, um 100 Prozent auf Edifact umzuschwenken.

CW: Den endgültigen Status 2 haben bisher nur die Nachrichten "Rechnung" und Bestellung". 19 weitere haben ihren Angaben zufolge den vorläufigen Status 1. Glauben Sie, daß die Anwender das Risiko scheuen, Edifact mit Status-1-Nachrichten zu implementieren, und deshalb lieber die weitere Entwicklung abwarten?

Hörig: Die Antwort ist sicher nicht eindeutig. Natürlich sind schon Unternehmen dem Appell gefolgt, die vorläufigen Nachrichten anzuwenden, aber ich bin sicher, daß viele noch davor zurückscheuen mangels kompetenter Ansprechpartner in der Branche.

CW: Wird die Entwicklung und Anwendung von Edifact nicht dadurch gebremst, daß viele EDI-Anwender nicht bereit sind, ihre Insellösungen aufzugeben?

Hörig: Ja, das ist richtig, weil die Notwendigkeit noch nicht eingesehen wird. Viele haben einfach noch nicht erkannt, daß mit dem Binnenmarkt ab Anfang 1993 der Druck zunehmen wird, sich mit internationalen Standards zu befassen und Sie anzuwenden. Das ist der eine Grund. Hinzu kommt, daß die Insellösungen meist sehr bequem und einfach anzuwenden sind, während, und das ist keine Kritik, so ein internationaler Standard wie Edifact alle Bedürfnisse befriedigen soll und dadurch zwangsläufig komplexer ist.

CW: Der Zwang würde also von der internationalen Konkurrenz ausgeübt, die Vorteile durch die Anwendung von Edifact hat?

Hörig: Ganz eindeutig.

CW: Wird es jemals 100 Prozent Edifact geben?

Hörig: Sicher nicht mehr in diesem Jahrtausend, aber mein Optimismus sagt mir, es wird einmal 100 Prozent Edifact geben. Wenn ich nicht so denken würde, wäre das ganze Engagement umsonst.

CW: Als Vorsitzender der Deupro sind Sie in Deutschland sozusagen der höchste EDI-Vertreter und Mitglied im UN/Edifact. Wie ist es denn möglich, als einziger deutscher Repräsentant in diesem Gremium, die Belange so vieler Interessengruppen unter einen Hut zu bringen?

Hörig: Das erfordert schon eine sehr hohe Kompromißfähigkeit. Natürlich gibt es Sonderinteressen bestimmter Anwender, die Widerspruch gegen die internationale Standardisierung einlegen. Es ist aber wichtiger, daß der Standard international abgestimmt ist, als daß wir Rücksicht auf diejenigen nehmen, die Edifact in der vorläufigen Form schon anwenden und die jetzt zu Umstellungen gezwungen wurden. Das hat zu Friktionen geführt, aber wir propagieren Edifact schließlich als internationalen Standard und da kommt der Einigkeit absolute Priorität zu, denn sonst hat die ganze Operation keinen Sinn.

CW: EDI, so sagen viele Experten, ist in Großbritannien, Frankreich und den Niederländer - von den USA ganz zu schweigen - deutlich weiter als in der Bundesrepublik. Teilen Sie diese Ansicht?

Hörig: Was die Verbreitung von EDI angeht, mag zutreffen, das andere Länder weiter sind als wir. Die Niederlande beispielsweise sind ein kleines Land, wo einige große Unternehmen das Klima und die Entwicklung bestimmen. Deshalb ist nicht auszuschließen, daß dort die praktische Anwendung von EDI schon weiter ist als bei uns. Die Bundesrepublik ist ein vergleichsweise großes Land, wo der überwiegende Teil der wirtschaftlichen Aktivitäten von den kleinen und mittelständischen Unternehmen bestritten wird. Die sind per se in der Anwendung des elektronischen Datenaustausches noch nicht so

weit.

Ich würde auch bejahen, daß die Briten an der Spitze des EDI-Einsatzes stehen. Sie haben das Thema auch theoretisch besser bewältigt als wir. Das sieht man schon daran, daß der größte Teil der Literatur aus England oder Amerika kommt. Sicherlich wird uns auch die Vereinigung Deutschlands wieder ein Stück zurückwerfen, weil es im Moment andere Prioritäten gibt. Der EDI-Gedanke hat bei uns längst Fuß gefaßt.