Anwenderschulung

Finanzdienstleister entdecken das Netz

14.11.1997

Die wachsende Europäisierung der Märkte und deren Deregulierung verändert die Produktpalette der Banken und Versicherungen schneller als bisher. Das hat unmittelbare Auswirkungen auf die Weiterbildungskonzepte. Sie müssen so angelegt sein, daß die Firmen eine große Anzahl von Mitarbeitern schnell und umfassend zum richtigen Zeitpunkt schulen beziehungsweise informieren.

Der rasche Fortschritt der Informations- und Kommunikationstechnologie bietet dabei nicht nur zeitliche und räumliche Vorteile, sondern schafft auch neue Möglichkeiten des Informations- und Wissensaustauschs. Kommunikation und Kooperation unter den Lernenden sowie zwischen diesen und den Tutoren werden zu Schlüsselfaktoren für den Erfolg vernetzten Lernens und Lehrens. Im folgenden werden zwei Praxisbeispiele vorgestellt.

Die D.A.S.-Versicherungsgruppe möchte mit ihrem Lern- und Informationsverbundsystem ihre Mitarbeiter kostengünstig ausbilden und ständig auf dem laufenden halten. Werner Kohn, Beauftragter für Kommunikation und Medien in der Aus- und Weiterbildung bei der D.A.S., setzt dabei auf innovative und kostengünstige Lösungen: "Um die Kostenexplosion in Grenzen zu halten, ist eine umfassende organisatorische Umgestaltung notwendig, zu deren Unterstützung neue Medien gebraucht werden. Eine der Schlüsseltechnologien ist dabei die Virtuelle Versicherungs-Akademie (VVA) im Medienverbund."

Jedes Medium des Verbundsystems (Online- und Offline-Medien, unter anderem auch CBT, Informationsdatenbanken und Multimedia) sowie die verschiedenen Methoden (Seminare, Workshops und Tele-Tutoring) sind dabei mediendidaktisch begründet und meist als Mix aus Online- und Offline-Komponenten angelegt.

Die derzeitigen technischen Voraussetzungen machen Mischvarianten beim Einsatz von CBT notwendig. Bert Helmes, Geschäftsführer der Insys Informationssysteme GmbH in München, und Franz Schanda, Geschäftsführer der Pro Lernen Beratungsgesellschaft mbH in Unterschleißheim, konzipierten und realisierten für die D.A.S.-Außendienstler gemeinsam ein multimediales CBT mit fast 15 Stunden Lernzeit. Beide sehen die Eignung von Lernprogrammen für die Online-Nutzung derzeit noch skeptisch: "Die meisten Kurse müßten in Teilen neu konzipiert und programmiert werden."

Insys und Pro Lernen verfolgen bereits seit Ende 1995 einen neuen Ansatz. CBT-Programme wurden auf HTML-Basis entwickelt, um so eine spätere Portierung ins Netz zu erleichtern. "Fit im Firmenkundengeschäft", als CBT für die VVA wurde jedoch als Hybrid-CD-ROM (CD-ROM mit Online-Anbindung) entwickelt. Dabei werden die speicherintensiven Daten des Programms auf CD-ROM vorgehalten. So beeinträchtigen sie die Performance nicht negativ.

Virtuelles Lehrgebäude mit mehreren Abteilungen

Gleichzeitig macht ein geschicktes Programmdesign ein schnelles Online-Update möglich. Das ist vor allem für Lerninhalte von Vorteil, die raschen Veränderungen unterliegen. Für Design und technische Umsetzung der VVA beauftragte die D.A.S. die Berliner Medialine. Die VVA ist als virtuelles Lehrgebäude mit mehreren Abteilungen gestaltet.

Per Mausklick "betritt" der Lerner die Abteilung seiner Wahl. Der Akademieführer bietet neben einer Kurzinformation über alle Angebote sowie einer Suchfunktion ein virtuelles Studienbüro. Hier kann sich der Teilnehmer einschreiben und registrieren lassen. Er nimmt Kontakt zur Studienverwaltung auf oder er wählt den direkten Draht zu Studienberatern.

Eine umfangreiche Bibliothek beinhaltet eine Sammlung von digitalen Gesetzestexten und Nachschlagewerken. Durch eine Kooperation mit einschlägigen Fachverlagen ist die Aktualität gesichert. Aber nicht nur in juristischer und fachlicher Hinsicht wird der Suchende fündig. Möchte er beispielsweise einen Kundenbesuch vorbereiten, ruft er Musterbedingungen für Verträge oder geeignete Folien und Animationen aus einem Präsentationssystem ab.

Das Lehrgebäude gewährt Zugang zu weiteren virtuellen Räumlichkeiten. Ein Prüfungszimmer bietet Fragehefte zur Wissensüberprüfung sowie ein CBT zur Prüfungssimulation. Die Seminarräume eröffnen den Zugriff auf Kolleghefte oder verweisen auf Lernprogramme und Multimedia-Anwendungen. Ein Schwarzes Brett bietet aktuelle Informationen zur Organisation des Selbststudiums und zu verschiedenen Wissensgebieten. Hier können auch Programm-Updates heruntergeladen werden.

Bildung zu den Mitarbeitern bringen

Das System läßt den Interessenten nicht allein. Die für das Lernen wichtige soziale Komponente der Kommunikation und Kooperation wird ebenfalls geboten. Eine virtuelle Cafeteria lädt zum fachlichen Gedankenaustausch oder einfach zum lockeren Gespräch ein. Außerdem stehen die Tutoren im virtuellen Lehrgebäude via Netz zur Verfügung. Aber nicht nur via E-Mail kann der Benutzer Fragen an den Dozenten richten, auch mit Application Sharing (gemeinsames Bearbeiten eines Dokuments oder Programms) hilft der Tutor unmittelbar weiter.

Ob die technischen Möglichkeiten jedoch ausreichen, um der Gefahr der Vereinsamung durch Lernen am PC entgegenzuwirken, wird die Praxis zeigen.

Helmes und Schanda setzen bei den gegenwärtigen Möglichkeiten der Chat-Rooms vielmehr auf didaktische Kreativität: "Wenn diese technische Möglichkeit einen ansatzweisen Ersatz für Gruppenarbeit und damit - zusammen mit dem "Tutor-on-demand-Konzept" - einen Ausweg aus der Isolation des Einzellernens darstellen soll, braucht es noch wesentliche Erweiterungen didaktischer Art, um daraus einen integralen Bestandteil einer Lernumgebung im Netz zu entwickeln." Für Kohn geht es vor allem darum, "Bildung zu den Mitarbeitern zu bringen". Daß die VVA gegenüber dem klassischen Fernunterricht eine neue Dialogqualität bietet, ist auch unter Skeptikern unbestritten.

Mit Columbus in neue Lernwelten vorstoßen

Pioniergeist in Sachen neue Lernwelten zeigt auch die Deutsche Bank AG in Frankfurt. Das Projekt "Columbus" steht für Entdecken und Erobern. Letzteres allerdings nicht im Stil kolonialen Machtstrebens, sondern vielmehr im Sinne selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Lernens. Ein komfortables und vernetztes Trainings- und Bildungsverwaltungssystem, das von der M.I.T in Friedrichsdorf gemeinsam mit dem Service Center Trainingssysteme konzipiert und als Prototyp realisiert wurde, soll das Ziel erreichbar machen. Bei letzterem handelt es sich um einen Bereich der zentralen Weiterbildungsabteilung der Deutschen Bank in Frankfurt.

Von seinem virtuellen Schreibtisch aus, den Columbus auf den Computerbildschirm bringt, können Mitarbeiter und Vorgesetzte verschiedene Instrumente der Bildungsplanung, der Bildungsberatung, der Zeitplanung und des Coachings, der Buchung von Trainingseinheiten sowie des Bildungs-Controllings aufrufen.

Ein Großunternehmen wie die Deutsche Bank mit 60000 Seminarteilnehmern, 5000 Seminaren und 40000 CBT-Stunden pro Jahr bei 400 vorhandenen Lernstationen ist gezwungen, Zeit- und Verwaltungsaufwand zu reduzieren. Steffen Heise, Leiter Service Center Trainingssysteme, betont: "Es geht nicht darum, die Bildung zum Mitarbeiter ins Wohnzimmer zu bringen, wohl aber müssen wir das Lernen zum Lerner bringen - arbeitsplatznah, just-in-time und on-demand."

Mit Columbus wird die Gestaltung des Lernens wesentlich in die Hände der Anwender verlegt, ohne sie dabei allein zu lassen. Strebt ein Mitarbeiter eine Fortbildung zum Anlageberater an, schlägt er im elektronischen Trainingshandbuch nach. Hier findet er das komplette Angebot. Columbus gleicht nun sein Profil mit den notwendigen Maßnahmen, die zur angestrebten Qualifikation Berater/in "Anlage-Management" notwendig sind, ab.

Der Mitarbeiter erhält nur die für ihn relevanten Maßnahmen mit den Terminen. Bei Unsicherheiten stehen Bildungsberater zur Seite. Falls es vor Ort keinen persönlichen Ansprechpartner gibt, bietet Columbus verschiedene Möglichkeiten: E-Mail, falls der Gesprächspartner momentan nicht erreichbar ist oder Videokonferenz, wenn ein Dialog notwendig erscheint.

Mit dem System erhält der Lerner eine Art Wissenslandkarte, die zu jedem Thema kompetente Ansprechpartner benennt. Um das Beratungsgespräch zu beginnen, genügt ein Mausklick. Ein leistungsstarker elektronischer Terminplaner ermöglicht es dem Mitarbeiter, seinen persönlichen Qualifizierungsplan zu koordinieren. Nachdem der Plan mit der Führungskraft abgestimmt ist und ihr Einverständnis zur Planung des Mitarbeiters vorliegt, kann dieser das ausgewählte Programm buchen.

Fällt die Wahl auf ein CBT, so ruft es der Mitarbeiter aus Columbus ab. "Die Anforderungen an CBTs werden sich mit der Einführung von Columbus verändern. Eine wesentlich stärkere Modualisierung ist notwendig, um dieses Medium arbeitsplatznah zu nutzen," faßt Heise den notwendigen Wandel der Bildungsmedien zusammen. Über 500 Seminarbausteine gilt es zu erfassen und an die medienspezifischen Erfordernisse von Columbus anzupassen. Die neuen Lernprogramme müssen auch in ihrer didaktischen Konzeption diese neue Lernsituation berücksichtigen.

"Aufgaben können so angelegt sein, daß die Lösungen von Lernpartnern gemeinsam - das heißt online - bearbeitet werden", erläutert Bernd Kaudewitz von M.I.T ein Merkmal dieser CBTs der neuen Generation. Natürlich wird es auch weiter personale Trainings geben. Dabei übernimmt Columbus die Reservierung. In jedem Fall faßt das System die Mitarbeiter, die sich zu einem Kurs angemeldet haben, zu einer virtuellen Seminargruppe zusammen.

Jeder Teilnehmer kann so schnell Kontakt zu Studienkollegen aufnehmen, Lernpartnerschaften sind die Folge. Gerade bei Lernmethoden wie CBT kommt es so zu sozialen Kontakten, die für den Lernerfolg sehr wichtig sind. Eine weitere Besonderheit von Columbus ist die Integration von situativem und geplantem Lernen. Eine für jeden Benutzer persönlich angelegte Trainingsbox enthält nicht nur alle Trainingsmaßnahmen, die gebucht wurden und geplant sind. Auch alle Arbeitsergebnisse, Notizen, Kopien etc. sind hier strukturiert abgelegt. Das erspart Ablagearbeit und unterstützt gezielt situatives Lernen.

Für den Fall, daß sich ein Mitarbeiter schnell in ein Thema einarbeiten oder ein bereits erarbeitetes auffrischen will, bietet Columbus wertvolle Dienste. Steht beispielsweise das Thema Optionshandel im nahe bevorstehenden Kundengespräch an, liefert das System mit einem Klick die gewünschten Informationen. Die Gesprächsvorbereitung wird anhand eines Leitfadens, der aus einer vorangegangenen Lernsequenz zum Anlage-Management in die Trainingsbox abgelegt wurde, vorbereitet. Ein weiterer Klick zum Tutor und das Kundengespräch läßt sich als Rollenspiel über Videokonferenz üben.

Via Internet externe Datenbanken anzapfen

Bis dieses Szenario allerdings Realität wird, braucht es noch ein wenig Zeit. Doch mit der bevorstehenden Umrüstung der Mitarbeiterarbeitsplätze von Terminals auf PCs steht der Etablierung von Columbus nichts mehr im Wege, technisch jedenfalls nicht. M.I.T realisierte Columbus als Client-Server-Applikation. Der Server besteht aus einem SQL-Server und einem Web-Server unter Windows NT 4.0. Die Client-Seite ist sowohl unter Windows NT als auch unter Windows 95 lauffähig. Die Deutsche Bank AG plant, Columbus in ihrem internen Datennetz einzusetzen. Vorhandene Datenbanken können mit Columbus verbunden werden. Via Internet lassen sich auch externe Datenbanken anzapfen.

* Eleonore Beinghaus ist freie Journalistin in Winden.