Electronic Data Interchange/Banken stehen unter Druck von Industrie und Handel

Financial-Edifact schliesst den Kreis der Ware-Geld-Zirkulation

12.04.1996

Direkte, medienbruchfreie Verbindungen zwischen den Handelspartnern ohne sogenannte Papierbruecken oder umfangreiche Konvertierungen sind zwingend erforderlich. Einzelne Unternehmen und ganze Wirtschaftszweige haben darauf reagiert und zwischenbetriebliche oder branchenspezifische Nachrichtenformate entworfen. Oftmals wurde eine internationale Loesung angestrebt, um zumindest in einer Branche den EDI-Gedanken zu verfolgen. Im Falle der Kreditwirtschaft beispielsweise hiess die entsprechende weltweite Loesung "Swift".

Oberflaechlich betrachtet scheinen sich Ueberlegungen in Richtung EDI nur auf den produzierenden Sektor zu beziehen. Die Koordination von Warenstroemen, die Kommunikation mit Zulieferern scheinen an erster Stelle zu stehen. Das "Abfallprodukt Zahlung" spielte in den EDI-Ueberlegungen bislang eine vergleichsweise unbedeutende Rolle, obwohl das Bank- und Kreditwesen EDI im Zahlungsverkehr von Anfang an beachtet und entsprechend forciert hat.

Edifact wird zwar an den althergebrachten Abwicklungsformen des Zahlungsverkehrs nichts oder nicht viel aendern, jedoch in zunehmendem Masse im Banksektor seinen Niederschlag finden. Denn die Einfuehrung von Edifact im Finanzbereich schliesst das noch fehlende Glied in der Kette der auf produktionstechnischer und warenwirtschaftlicher Seite bereits vollzogenen Elektronisierung der Geschaeftsprozesse.

Zusaetzlich zur nackten Zahlung ermoeglicht Edifact weitgehende Servicedienstleistungen. Banken koennen und werden mit Edifact die Rolle eines Informationsbeschaffers, -weiterleiters und - konzentrators in puncto Finanzstroeme uebernehmen. Edifact wird damit die Rolle der Banken veraendern - weg vom reinen Zahlungsverkehrsdienstleister hin zum Provider des vierten Produktionsfaktors, der Information. Financial-Edifact erfuellt zudem die Forderungen multinationaler Unternehmen, saemtliche nationalen und internationalen Bankverbindungen mit einem Datenformat bedienen zu koennen.

Da Geschaeftskunden im Normalfall ueber mehrere Bankverbindungen verfuegen, wird in Deutschland im Unterschied zu anderen europaeischen Laendern seit jeher das Grundprinzip der Multibankfaehigkeit verfolgt. Ihm dient das Datentraegeraustauschformat DTA seit 1977; es schafft Formatgleichheit fuer das gesamte Kreditgewerbe, so dass ein Kunde mit einer einzigen Software seine gesamten Bankverbindungen quasi multibankfaehig bedienen kann.

Aktuellster Schritt dieses Konzepts ist das 1995 in Kraft getretene Abkommen ueber die Datenuebertragung zwischen Kunden und Kreditinstituten (DFUE-Abkommen), das allgemeine Basisstandards fuer die Kommunikation, Sicherheit und Datenformate in Form von Mindestanforderungen festschreibt, die jedes Kreditinstitut erfuellen muss. Dabei ist es einzelnen Instituten und deren Kunden freigestellt, ueber das Abkommen hinaus weitergehende Standards zu vereinbaren.

Die Multibankfaehigkeit basiert auf einer Zusammenarbeit der Spitzenverbaende der Kreditwirtschaft sowie der Deutschen Bundesbank im Zentralen Kreditausschuss (ZKA). Entsprechende Arbeitskreise eroertern praxisrelevante Verfahrensweisen des Zahlungsverkehrs und treffen zwischenbetriebliche Vereinbarungen.

Dies fuehrt zu einer auf den ersten Blick einschraenkenden, bei genauem Hinsehen jedoch fuer alle Beteiligten vorteilhaften Verfahrensweise. Dadurch wird der negative Wettbewerb auf Datensatzniveau statt auf Basis der bereitgestellten Serviceleistungen umgangen.

Das deutsche Kreditgewerbe hat sich schon vor geraumer Zeit mit der kuenftigen Rolle von Edifact im Zahlungsverkehr befasst. Die Ueberlegungen standen vor dem Hintergrund, dass Edifact zum einen nicht zwangslaeufig die grundlegende Abwicklung des Zahlungsverkehrs veraendern und das weitgehend akzeptierte Datentraegeraustauschformat DTA nicht von heute auf morgen ersetzen wird. Zum anderen war zu beruecksichtigen, dass Edifact vorerst weiteren Wandlungen unterliegt, bis ein akzeptabler stabiler Status erreicht ist.

Dies hat zur Folge, dass die EDI-Durchdringung der Industrie- und der Bankseite auch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Ebenso war offensichtlich, dass die im Edifact-Regelwerk enthaltene Empfehlung, eine bestimmte Anzahl von Edifact-Directories zu unterstuetzen, aus Kostengesichtspunkten auf lange Zeit nicht verfolgbar sein wuerde.

Sehr frueh fiel daher die Entscheidung, nicht saemtliche, sondern lediglich Nachrichten aus massgeblichen und auch von der Industrie unterstuetzten Edifact-Directories anzubieten. Aufgrund des Stellenwerts der Finanznachrichten im Vergleich zu den Industrietransaktionen war jedoch klar, dass die Edifact- Entwicklung in diesem Punkt zwar nur den letzten Schritt einer vollstaendigen Elektronisierung von Geschaeftstransaktionen vom Waren- bis zum Geldfluss darstellt, aber unter der Forderung "Closing the Electronic Loop" von der Industrie an die Banken herangetragen wuerde.

Zusaetzlich geht mit der Einfuehrung von Edifact auch ein Schnitt in der Entwicklung von Finanznachrichten fuer die Bankenwelt einher. In der Kunde-Bank-Beziehung verwendete Datenformate werden erstmals nicht mehr branchenintern, sondern auch von aussen bestimmt, was Einfluesse auf bisherige Bankpraktiken haben koennte.

Des weiteren bestand der Zwang, in den Satzformaten nationale Besonderheiten und unterschiedliche rechtliche Rahmenverhaeltnisse zu beruecksichtigen. Divergierende nationale Gepflogenheiten bei der Entwicklung des Edifact-Zahlungsauftrags liessen sich noch ueber spezielle national wieder ausschliessbare Codes abfangen. Doch bei der Entwicklung des Datenformats zur Edifact-Lastschrift waren bereits die in Europa sehr unterschiedlichen Systeme sowie die entsprechenden rechtlichen Bedingungen abzubilden.

In Deutschland wurden in einem ersten Schritt Subsets zu den bestehenden UN/SM-Nachrichtenarten PAYORD und PAYEXT des Directories 91.1 beziehungsweise jetzt 93.2 entwickelt. Dessen Wahl lag darin begruendet, dass es das erste funktionsfaehige Directory nach dem Edifact-QC-Prozess war und die industriellen Grosskunden erklaerterweise die eigene Edifact-Strategie darauf aufbauen wollen.

Die Subset-Entwicklung orientierte sich eng an den Gegebenheiten des DTA. Das heisst, die Konvertierbarkeit eines vom Kunden im Edifact-Format eingereichten Zahlungsauftrags in den DTA musste auch aufgrund der noch fehlenden Edifact-Faehigkeit weiter Teile von Industrie- und Bankenwelt gewaehrleistet sein, um die Zahlung auch anbringen zu koennen.

Der noch in weiten Teilen fehlenden Edifact-Faehigkeit trug die Entwicklung eines EDI-Rahmenvertrags im ZKA Rechnung. Neben Regelungen etwa zur Sicherheit oder zu DFUE-Verfahren sind feste Konvertierungsregeln zwischen Edifact und DTA definiert.

Ziel ist jedoch die Bereitstellung einer durchgaengigen Edifact- Infrastruktur, damit sich Nachrichten unveraendert durch die Branche schleusen lassen. Die Bemuehung um eine Edifact-Pflicht im Kreditgewerbe wird jedoch noch einige Zeit in Anspruch nehmen. In jedem Fall werden sich hier neue Geschaeftsfelder fuer Service- Provider eroeffnen, da nicht jedes Haus eine entsprechende Infrastruktur aufbauen kann oder will.

Weitere Datenformate, gleichfalls Subsets, die von den Instituten angeboten und deren Allgemeingueltigkeit im Kreditgewerbe der EDI- Vertrag absichert, sind "CREEXT" (Credit Extended Avice, Gutschriftsanzeige) sowie "DEBADV" (Debit Advice, Belastungsanzeige). Diese Formate machen einen nicht geringen Anteil an den Benefits von Edifact aus, da sie eine maschinelle Skontierung in einer Edifact-Umgebung ermoeglichen. Tagesauszugsfunktionalitaeten bietet in diesem heutigen Szenario Swift MT940, derzeit wird diese Nachricht um Edifact-Referenzen erweitert.

Ziel ist jedoch die Einfuehrung einer kompletten Edifact-Umgebung, basierend auf dem Directory D.96A beziehungsweise dem resultierenden Standard-Directory. Denn hier liegen Nachrichtenarten vor, mit denen sich die im Zahlungsverkehr ueblichen Transaktionen wie Ueberweisungen, Lastschriften oder auch Tagesauszugsfunktionalitaeten in Edifact abbilden lassen.

Gleichfalls wird der Trend zum Einsatz von multiplen Nachrichten gehen, in denen mehrere Transaktionen abgebildet sind. Diese insbesondere fuer Massenzahlungen des Industriebereichs wie Lohn- und Gehaltszahlungen notwendige Funktionalitaet hat DTA von Anfang an geboten.

Obwohl sich in saemtlichen multiplen Nachrichten Einzelnachrichten abbilden lassen, bedeutet die Praeferenz der ersteren jedoch nicht das Ende der letzteren. Diese sind nach wie vor wichtig, beispielsweise wenn der Kunde eilige Zahlungen auf den Weg bringen will. Auch wenn eine multiple Zahlung lediglich eine Transaktion umfasst, durchlaeuft der multiple Nachrichtentyp zur Zeit noch eine besondere Batch-Behandlung, die eine schnelle Zahlungsausfuehrung unmoeglich macht. Eine Einzelzahlung laesst sich hingegen sofort disponieren.

Nationale Subsets wie in der Edifact-Test- und -Pilotphase sollen nicht mehr gebildet werden. Die Banken muessen den kompletten UN/SM-Standard programmtechnisch abbilden, zumal nicht davon auszugehen ist, dass auslaendische Kunden deutsche Subsets unterstuetzen werden.

Derzeit sind hierzulande ungefaehr zehn Geschaeftsbanken Edifact- faehig, das heisst, sie bieten ihren Kunden Zahlungsverkehrs- Dienstleistungen im Edifact-Format an. Sofern im Idealfall der Beguenstigte gleichfalls ein Konto bei demselben Institut unterhaelt und Edifact-Nachrichten entgegennehmen kann, findet ein kompletter Edifact-Informationsaustausch statt.

Financial-Edifact verlaesst das ExperimentierstadiumH4>/H4> International diskutiert derzeit die fuer Finanznachrichten zustaendige Nachrichtenentwicklungsgruppe MD4 vorrangig zwei Themengebiete: Zum einen soll mittels einer Empfehlung zu dem zu verwendenden Directory ein einheitlicher Interbankenstandard in Europa geschaffen werden. Kunden sollen, wie in Deutschland ueber den EDI-Vertrag, zum Einsatz eines einheitlichen Directorys gegenueber den Finanzinstituten bewegt werden. Jedoch werden Banken auch andere, jeweils mit Kunden festgelegte Directories unterstuetzen koennen.

Von grosser Bedeutung ist die Diskussion der Frage nach der Implementierungsfaehigkeit der verabschiedeten Nachrichtenarten. Die Neigung, Subsets zu bilden, war nicht nur in Deutschland vorhanden, auch andere Laender haben Subsets zu den Nachrichtenarten gebildet.

Diese Entwicklung, die fuer den nationalen Zahlungsverkehr einzelner Laender Sinn macht, bereitet jedoch multinational operierenden Unternehmen Schwierigkeiten, da deren Interesse darin liegt, mit einer Nachrichtenart saemtliche Laender einheitlich zu bedienen. In diesem Zusammenhang wird versucht, mit den in MD4 vertretenen Firmenkunden sowie Vertretern von europaweiten Anwendervereinigungen wie EAN der Odette entsprechende Notwendigkeiten festzulegen. Inwieweit die Definition einer solchen Minimalnachricht Erfolg hat oder an legislativen oder sonstigen Anforderungen scheitert, bleibt abzuwarten.

Bemerkenswert ist jedenfalls, dass sich in der MD4 ein Wandlungsprozess weg von einem Nachrichtenentwicklungsteam hin zu einer Unterstuetzungs- beziehungsweise Beratungsgruppe fuer die Implementierung von Financial-Edifact vollzieht. Dies laesst sich als Indiz dafuer werten, dass die Entwicklung von Edifact im Finanzbereich das Experimentierstadium verlaesst und sich am Markt etabliert.

Kurz & buendig

EDI wird, den historischen Urspruengen entsprechend, faelschlicherweise unter Austausch von Handelsdaten subsummiert. Grundsaetzlich aber geht es nicht ausschliesslich um konvertierungsfreie Koordination von Warenstroemen. Denn diese sind immer begleitet von einem Zahlungsverkehr, und es liegt nahe, EDI- Infrastrukturen entsprechend auch im Bankensektor einzufuehren. Das koennte den elektronischen Kreis der Ware-Geld-Zirkulation schliessen. In der Tat sind diesbezueglich inzwischen mehr als erste Schritte eingeleitet. Bundesweit koordiniert, beteiligen sich deutsche Kreditinstitute an der Diskussion vorteilhafter Verfahrenweisen. Die internationalen Uebereinkuenfte sind dabei nicht gerade einfach zu erreichen, denn es gibt zahllose nationale Eigenarten im Finanzwesen.

*Thomas Egner ist Referent beim Bundesverband deutscher Banken e.V. in Koeln