Eine neue Marktuebersicht dokumentiert rasante Fortschritte

Fertigungsleitsysteme haben einen hohen Reifegrad erreicht

05.03.1993

Viele Anwender haben deutlich gemacht, dass die aktuellen PPS- Systeme die Anforderungen einer kurzfristigen Planung und Steuerung nicht befriedigend abdecken koennen. Zum zweiten fuehrt die Straffung von organisatorischen Ablaeufen, verbunden mit Begriffen wie Gruppenarbeit und schlanke Produktion, zu einer Dezentralisierung von Planungs- und Entscheidungskompetenz, fuer die entsprechende Entscheidungs-Unterstuetzungssysteme notwendig sind. Drittens wird immer deutlicher, dass Fertigungsleitsysteme die Moeglichkeit bieten, die Integrationsluecke zwischen dispositiven und operativen Bereichen zu schliessen.

FLS-Systeme beziehungsweise Systeme zur Werkstattsteuerung haben die Aufgabe, kurzfristig die Planungsvorgaben eines Systems zur Produktionsplanung und -steuerung (PPS) umzusetzen und dazu alle relevanten fertigungsnahen Funktionsbereiche zu koordinieren und zu steuern.

Sofern ein System unter einer einheitlichen Benutzeroberflaeche diese Funktionen anbietet und sie auf eine gemeinsame Datenbasis zugreifen, laesst sich von einem vollstaendigen und integrierten Fertigungsleitsystem sprechen. Oftmals unterstuetzt ein System aber nur einzelne Fertigungsleitstand-Funktionen oder Teile der genannten Funktionen. In diesem Falle sollen Schnittstellen zu Fremdsystemen die Funktionsluecke schliessen.

Am Fertigungsleitstand wird nicht nur die Reihenfolge der Abarbeitung des Auftragsvolumens festgelegt. An ihm koordiniert und ueberwacht man auch die terminliche und mengenmaessige Verfuegbarkeit und Bereitstellung jener Ressourcen, die fuer die Bearbeitung notwendig sind.

Verglichen mit der letzten von Ploenzke durchgefuehrten Untersuchung aus dem Jahre 1990 ist generell festzustellen, dass die FLS-Systeme eine deutlich verbesserte Funktionsabdeckung aufweisen und ihren Namen immer mehr zu Recht fuehren koennen. Dies gilt vor allem fuer Verteilung und Koordination sowie in der Ressourcenverwaltung durch die Unterstuetzung von fertigungsnahen Funktionen wie der Betriebsdatenerfassung (BDE), der Betriebsmittel-, der Lager- und der NC-Programmverwaltung.

Diese Funktionen gibt es teilweise als integrierte, eigenstaendige Module, oder es werden dafuer Schnittstellen zu Fremdsystemen bereitgestellt. Alle Fertigungsleitstand-Systeme haben Schnittstellen zu einem oder mehreren PPS- und BDE-Systemen. Insgesamt haben die Integrationsmoeglichkeiten dadurch weiter zugenommen.

Der Reifegrad der Systeme hat sich verbessert. Dies wird vor allem darin deutlich, dass die ueberwiegende Zahl der Systeme bereits mehrfach im Einsatz ist.

Der Schwerpunkt des Einsatzes von Fertigungsleitstaenden liegt in der diskreten Fertigung von Stueckguetern. An den speziellen Anforderungen der Prozessfertigung und der Montage sind FLS-Systeme bisher kaum ausgerichtet. Jedoch arbeiten bereits einige Anbieter an der Weiterentwicklung ihrer Fertigungsleitstaende fuer diese Einsatzgebiete.

Aus systemtechnischer Sicht hat sich zum einen ein Wechsel vom PC zur Workstation vollzogen, zum anderen haben sich die angebotenen FLS-Systeme zu offenen Systemen hinentwickelt. Die meisten Anbieter verwenden Hardware-unabhaengige beziehungsweise offene Systeme als Basissoftware. Als Betriebssysteme kommen ueberwiegend Unix oder Unix-Derivate zum Einsatz, daneben bieten einige Hersteller ihre Systeme unter MS-DOS, OS/2 oder VMS an.

Fuer die Programmierung der grafischen Benutzeroberflaeche haben sich Motif und X-Windows durchgesetzt. Ferner ueberwiegen relationale Datenbanken mit SQL-Abfragesprache. Fertigungsleitstaende werden sowohl als Einplatz- als auch als Mehrplatzsysteme angeboten.

Das Angebot in deutscher und englischer Sprache ist bei allen FLS-Systemen obligatorisch. Darueber hinaus bieten einige Anbieter ihre Systeme in weiteren Sprachen an, zum Beispiel franzoesisch und spanisch. Die Mehrsprachigkeit der Systeme bezieht sich dabei nicht nur auf die Masken, sondern auch auf Fehler- und Help-Texte, Bezeichnungen und Zusatztexte. FLS taugen immer mehr fuer den internationalen Einsatz.

Zur Ausgestaltung der Benutzeroberflaeche sind Oberflaechentechniken wie Menue- und Fenstertechnik, Scrolling, Pull-downMenues und Mauseinsatz ueblich. Bei manchen Systemen existiert die Moeglichkeit des kombinierten Einsatzes von alphanumerischen und grafischen Bildschirmen. Staerkeres Augenmerk ist zukuenftig auf die individuelle Anpassbarkeit von Masken und Druckformaten, die tabellen- und grafikunterstuetzte Informationsaufbereitung, einheitliche Benutzeroberflaeche und das Antwortzeitverhalten zu richten.

Ein wesentlicher Aspekt zur Beurteilung der Unabhaengigkeit von Fertigungsleitstaenden gegenueber PPS-Systemen ist, dass sich Stuecklisten-, Arbeitsplan-, Teilestamm- und Fertigungsauftragsdaten eigenstaendig in den Fertigungsleitstaenden fuehren lassen. Die Verteilung und Koordination kann zum einen direkt durch ein vorgeschaltetes PPS-System, durch Installation eines uebergeordneten oder durch die Vernetzung mehrerer Fertigungsleitstaende vorgenommen werden. Die meisten Leitstaende bieten wahlweise alle drei Moeglichkeiten.

Um die geforderte Datenkonsistenz und -aktualitaet zu jedem Zeitpunkt zu erreichen, ist der Vernetzung mit gemeinsamer Datenbasis ein hoeherer Stellenwert einzuraeumen. Die automatische Verteilung ist neben der manuellen und dem Systemvorschlag mit Bestaetigung am haeufigsten vertreten.

Im Rahmen der Termin- und Kapazitaetsfeinplanung spielen die eingesetzten Terminierungsverfahren sowie die Moeglichkeiten zum Setzen von Restriktionen fuer die Einlastung von Fertigungsauftraegen eine wesentliche Rolle. Heutige Leitstaende unterscheiden sich im Einsatz der gaengigen Terminierungsverfahren kaum - mit Ausnahme der Terminierung von Auftragsnetzen. Im Gegensatz dazu gibt es erhebliche Unterschiede in den Moeglichkeiten, fuer die Einlastung verschiedene Restriktionen zu setzen, zum Beispiel, dass die vorgegebenen Ecktermine vom PPS- System einzuhalten sind.

Die Verfuegbarkeitspruefung der benoetigten Ressourcen ist im Rahmen der kurzfristigen Fertigungssteuerung fuer eine knappe Feinplanung und einen reibungslosen Fertigungsablauf von grosser Bedeutung. Eine statische Verfuegbarkeitspruefung von Materialien und Betriebsmitteln fuehren fast alle Fertigungsleitstaende durch. Dagegen ist eine dynamische Verfuegbarkeitsrechnung derzeit nur bei einem Teil von ihnen moeglich.

Im Rahmen der Reihenfolge-Optimierung konzentrieren sich sowohl Anwender als auch Anbieter in starkem Masse auf die Moeglichkeiten, verschiedene Optimierungskriterien bei der Bestimmung der Abarbeitungsreihenfolge fuer die Auftraege beziehungsweise Arbeitsgaenge eines Fertigungsleitstand-Bereiches oder einer Arbeitsplatzgruppe zu beruecksichtigen.

Fertigungsleitstaende beruecksichtigen gegenwaertig vor allem Optimierungskriterien zur Ruestzeit-Minimierung, zur gleichmaessigen Kapazitaetsausnutzung, zur Umlaufbestands-Minimierung und zur Termintreue. Fuer eine optimale Ressourcennutzung ist es von Bedeutung, nach welchen Kriterien in Fertigungsleitstaenden Ruestoptimierungs-Strategien angewendet werden.

Die am haeufigsten genannten Kriterien sind der Materialeinsatz, die Spannmittel und der Werkzeugeinsatz.

Die Schnelligkeit, an Hand eines Soll-Ist-Vergleichs auf Abweichungen reagieren zu koennen, haengt wesentlich davon ab, inwieweit das System kritische Termin-, Mengen-, Kosten- und Qualitaetsabweichungen bezogen auf einen Auftrag ermittelt und dem Benutzer aufzeigt.

Die Untersuchung machte deutlich, dass fast alle Fertigungsleitstaende Planabweichungen bei Terminen und Mengen erkennen, jedoch in bezug auf Kosten und Qualitaet noch Luecken bestehen.

Das Fertigungs-Controlling hat die Aufgabe, die Erreichung der Fertigungsziele ueber unterschiedliche Zeitraeume zu dokumentieren, um gezielt Schwachstellen erkennen zu koennen. Fuer ein effizientes Fertigungs-Controlling sind Kennzahlen geeignete Hilfsmittel. Derzeit bieten nur wenige Fertigungsleitstaende standardmaessig die Ermittlung von Kennzahlen an.

Neben der funktionalen Erfuellung der Anforderungen sind jedoch weitere Aspekte fuer die Beurteilung eines Fertigungsleitstandsystems zu beruecksichtigen, wie die Flexibilitaet in der Systemanpassung, der Reifegrad, die Benutzerfreundlichkeit, die Integrationsfaehigkeit und die Kosten fuer die Planung und Einfuehrung.

*Dr. Siegbert Kern ist Management-Berater im Bereich Logistik bei der Ploenzke AG in Kiedrich. Diesem Beitrag liegen die Ergebnisse des zweiten FLS-Reports der Ploenzke AG zugrunde.