Fernuniversitaet Hagen entwickelt Lernprogramme fuer Informatiker Variantenreiches Kursmenue ersetzt die Umblaettermaschine

22.07.1994

Noch immer aehneln viele computerunterstuetzte Lernprogramme eher einer Umblaettermaschine als einer einladenden Unterrichtsmethode. Peter Herholtz* hat die neuen Programme der Fernuniversitaet Hagen getestet und Fortschritte in der inhaltlichen und didaktischen Gestaltung festgestellt.

In der Weiterbildung von IV-Fachkraeften ist die Nutzung von Computer Based Training (CBT) bisher noch eher die Ausnahme, was sicher auch daran liegt, dass die meisten bekannten Programme kaum interessante didaktische Konzepte zu bieten haben.

Die meisten CBT-Programme in der Informatik benutzen Computer eher als intelligente Umblaettermaschine, denn zu fortschrittlicher Didaktik. Ihr Themenspektrum ist weit und reicht von DV-Grundlagen ueber Programmmiersprachen bis zum Operator-Training. In der mir bekannten Lernsoftware - zuletzt arbeitete ich mit einer zu SQL und zu C - ueberwiegt die Methode der programmierten Unterweisung, die sich ganz aehnlich auch in zahlreichen Selbstlerntexten findet. "In diesem Abschnitt lernen Sie ..." - so beginnt noch die kuerzeste Ankuendigung, und meistens endet das Kapitel: "In diesem Abschnitt haben Sie erfahren, dass ..."

Dazwischen beschraenkt sich die Interaktion auf die schriftliche Beantwortung von Fragen und eben auf das Weiterblaettern. Diese Didaktik ist mehr, als viele Lehrbuecher bieten, aber nichtsdestotrotz ueberholt und ebensogut in Buchform realisierbar. Hier ist die Nutzung des Bildschirms statt der Buchform eher eine Geschmacksfrage. Vielleicht wird Lernen am Bildschirm in der betrieblichen Weiterbildung auch leichter als ernsthafte Taetigkeit akzeptiert als das Lesen eines Buches. Gegenueber der Arbeit im Seminar bleiben diese Formen bisher zurueck. Nur in Interaktion mit einem Trainer lassen sich individuelle Fragen beantworten und sind Wiederholungen von Sachverhalten in wechselnden Kontexten moeglich.

Der Fachbereich Praktische Informatik der Fernuniversitaet Hagen unter Professor Gunter Schlageter hat sich seit einiger Zeit vorgenommen, fuer das CBT Boden gutzumachen. In der Reihe: "Computer Based Training. Elektronische Weiterbildung unter Windows" liegen inzwischen Programme zu folgenden Themen vor: Unix, C, SQL, objektorientierte Datenbanksysteme

(OODBMS), wissensbasierte Systeme und neuronale Netze. Eine C++- Lernsoftware ist in diesen Tagen erschienen. Mir standen das Unix- und das OODBMS-Programm zur Verfuegung.

Mit ihrer Reihe wollte die Fernuniversitaet eine technische Lernumgebung bereitstellen, "in der der Entscheidungs- und Handlungsraum des Lerners soweit wie moeglich ausgedehnt wird, in der differenzierte Informations- und Trainingsangebote abgerufen werden koennen und in der komfortable Navigationsinstrumente das selbstaendige und aktive Lernen sinnvoll unterstuetzen", so Eberhard Heuer vom Fachbereich Praktische Informatik.

Es sind nach meiner Kenntnis die ersten und bisher einzigen CBT- Programme mit Informatikthemen, die fuer die Arbeit unter Windows (ab 3.0) und damit unter Nutzung der Moeglichkeiten grafischer Oberflaechen konzipiert wurden. Natuerlich gibt es auch hier den klassischen, treffend "Buchweg" genannten Kursdurchlauf. Schon wenn man sich auf diesen beschraenkt, wird man bei manchem Abschnitt grosses Vergnuegen beim Lernen haben. Ein sich nach und nach am Bildschirm entwickelndes Modell ist mit Sicherheit sehr viel einpraegsamer als ein statisch in einem Lehrbuch abgedrucktes.

Inhaltlich sind die Programme bis auf wenige Ausnahmen ueberzeugend gestaltet. Kaum irgendwo begegnet einem der "didaktische Zeigefinger", fast alle Texte sind praezise und klar und korrespondieren mit den grafischen Modellen und kleinen Animationen. Der Abschnitt ueber den vi-Editor im Unix- und die Kurzdarstellung hierarchischer und relationaler Datenbankkonzepte im OODBMS-Programm sind jedoch nicht beziehungsweise nur jenen verstaendlich, die es ohnehin schon wissen. Zudem gibt es im Unix- Programm einige zu lange, einander auch noch ueberlagernde Texte. Diese Einschraenkungen tun dem Ganzen aber keinen Abbruch.

Positiv zu vermerken sind auch die immer verfuegbaren "Notizblaetter"; bei anderen Lernprogrammen musste ich fuer Anmerkungen auf ein anderes Medium zurueckgreifen. Nur das Wiederaufblaettern und die Textsuche in den Notizen ist ein wenig zu umstaendlich.

Die angebotenen Uebungen beschraenken sich noch zu oft auf die textliche Beantwortung von Fragen, nur selten wird die Maus zur Aufgabenloesung herangezogen. Zudem sind die Testbeispiele zu sehr an den unmittelbar vorausgehenden Kursseiten orientiert. Der groesste Zugewinn bei dieser Form des CBT liegt jedoch in den Moeglichkeiten, sich in gewissem Mass einen eigenen Kurs zusammenzustellen, jenseits des vorgegebenen Buchweges.

Kapiteluebergreifend bietet das Programm die Moeglichkeit, zu Stichworten Kursausschnitte zusammenzustellen und durchzuarbeiten. Diese Auszuege werden dann als Lesezeichen abgelegt und sind jederzeit wiederholbar. So habe ich den OODBMS-Kurs in erster Linie anhand der bekannten zentralen Begriffe der OO-Technologie Klasse, Vererbung, Kapselung etc. durchgearbeitet, was meinen Intentionen mehr entsprach als der Buchweg.

Die Programme:

Fernuniversitaet Hagen: Elektronische Weiterbildung unter Windows, Addison und Wesley (Deutschland) GmbH

-M. Kramer: Einfuehrung in Unix, 1992

-G. Schlageter: Objektorientierte Datenbanksysteme, 1993

Diese Moeglichkeiten sind beileibe noch nicht perfekt umgesetzt. So sollten mehr als sechs Lesezeichen angelegt werden koennen, und die Kontrolle ueber diese muesste besser sein. Unangenehm auch, dass sich das OODBMS-Programm nach extensiver Nutzung der Navigationsmoeglichkeiten im Stack verirrte. Die notwendige Wiederherstellung des Originalzustandes kostete mich saemtliche Notizen. Aber die meisten Lernenden werden in der Regel nicht derart mit den Navigationsmoeglichkeiten spielen wie der Rezensent. Trotzdem empfiehlt es sich, die Lesezeichenablage regelmaessig zu bereinigen.

Beim Unix-Programm kommt als weitere Interaktionsmoeglichkeit eine sogenannte Experimentierumgebung hinzu. Hier kann der Lernwillige eine Reihe von Unix- und Editor-Kommandos selbstaendig erproben, so dass es manchmal sinnvoll ist, immer wieder zwischen Lerntext und Experimentierumgebung zu wechseln, um dort jeweils das Gelernte praktisch durchzuspielen. Trotz noch vorhandener Schwaechen wird die Hagener CBT-Reihe ihrem oben zitierten Anspruch gerecht. Immer noch weit davon entfernt, den klassischen Unterricht zu ersetzen, bietet sie eine interessante Ergaenzung im Feld der Weiterbildungsangebote.

Bei einem Preis von 298 Mark sind die Programme auch fuer die private Nutzung attraktiv. Weitere 120 Mark kostet die Pruefung, mit deren Bestehen sich die Selbstqualifikation auch nachweisen laesst.