Asiaten ist der "Primadonna-Komplex" westlicher Softwerker fremd:

Fernost mausert sich zum Programmier-Mekka

13.12.1985

SAN FRANCISCO (CWN) - "Produktions-Auslagerung" hieß eines der beliebtesten Schlagwörter zu Beginn der 80er Jahre. Besonders begehrt waren die fernöstlichen Länder: Hier winkte hohe Arbeitsleistung bei geringen Lohnkosten. Jetzt setzen die US-Firmenbosse neuerdings auch auf "Software made in Asia".

Einer dieser Vorreiter ist das Shanghai Software Consortium (SSC) mit Sitz in San Francisco. Präsident Roderich MaCleod beschäftigt derzeit 30 chinesische Top-Programmierer, die in Shanghai für ihn arbeiten. Kommentiert der risikofreudige Unternehmer: "Es wäre zu schwierig gewesen, für diesen Job Amerikaner zu finden. "

SSC ist jedoch nicht das einzige US-Unternehmen, das auf diese neue Trumpfkarte setzt. Pleasant Valley Software, ein anderer kalifornischer Anbieter, hat dem Vernehmen nach ein indisches Programmierteam auf der "payroll". Als "Ausweichland" gilt auch Mexiko als sehr beliebt.

Ein noch nicht bewältigtes Problem bei derartigen Geschäftsverbindungen ist allerdings die Kommunikation zwischen Programmierern und Abnehmern. So kritisiert beispielsweise Damian Rinaldi, Marktforscher bei International Data Corp. (IDC): "Eine Entfernung von 9000 Meilen wird immer Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit aufwerfen, egal wie groß die Einsparungen auch sein mögen."

SSC-Präsident MaCleod gibt sich hingegen optimistisch. Mit seinen chinesischen Softwerkern habe er nur positive Erfahrungen gemacht. Die meisten von ihnen kämen von Instituten und Hochschulen, die zu den Vorreitern des chinesischen DV-Engagements zählten. Wenn es in ihrem universitären Aufgabenbereich einmal weniger hektisch zugehe, arbeiteten diese hochqualifizierten Programmierer eben auf Kontraktbasis für SSC. Oberaufsicht über die chinesischen Teams habe ein amerikanischer Manager.

Als Vorteile nennt der US-Unternehmer die hohe Arbeitsqualität und Zuverlässigkeit seiner asiatischen "Angestellten". Dabei arbeiteten sie zu einem weitaus geringeren Lohn als amerikanische Programmierer. Auch der "Primadonna-Komplex", den viele westliche Softwerker kultivieren, sei den Asiaten fremd.

Ganz problemlos funktionierte aber auch bei SSC diese "internationale Kooperation" nicht von Anfang an. Schwierigkeiten gab es beispielsweise schon durch die Zeitdifferenz von mindestens acht Stunden: Ein telefonischer Kontakt gestaltete sich äußerst schwierig. Folglich mußte man auf Telex zurückgreifen und Zeitverluste von etwa einem Tag bei der Übermittlung einer Nachricht hinnehmen.

Als noch gravierender erwies sich, daß amerikanische und chinesische Vertragspartner stur auf ihrer jeweiligen Meinung beharrten, den bestmöglichen Lösungsansatz gefunden zu haben. Als typischen Fall nennt MaCleod das Debugging: Die amerikanischen Programmierer überlassen diesen Arbeitsschritt einem Spezialisten. Die Chinesen hingegen versuchen, das Problem in Teamarbeit in den Griff zu bekommen.

Dieser Gruppengeist kann nach Erfahrung der amerikanischen Unternehmer auch zum Handicap werden, wenn es um Fragen der Kreativität geht. MaCleod: "Von ihrer Mentalität her liegt es den Chinesen mehr, ein bereits vorhandenes Produkt zu perfektionieren, als etwas wirklich Neues zu entwickeln".