Fenstersturz

31.07.1981

Die moralischen Standards, die "Big Blue IBM" ihren Vertriebsmitarbeitern setzt, sind hoch. Nach den "Business Conduct Guide Lines", die jeder VB unterschreiben muß, dürfen insbesondere keine Sondervereinbarungen mit Kunden getroffen werden, die gegen das Prinzip der Gleichbehandlung verstoßen. Als Reaktion auf den Wettbewerb in einer Kundensituation preisliche Zugeständnisse zu machen, wäre ein grober Verstoß, der intern zu ahnden ist. Sicher spielt hier eine Rolle, daß die EG-Behörde gegen lBM wegen unlauteren Verhaltens in Wettbewerbssituationen ermittelt.

Wenn es um die "geheiligten" Geschäftspraktiken geht, kennt IBM deshalb kein Pardon. Werden Zuwiderhandlungen einzelner Mitarbeiter bekannt, zieht der Marktführer sofort Konsequenzen - unabhängig von der Position der Betroffenen.

Das "Gewissen" der Company bleibt auf diese Art und Weise rein. Auch im Fall "Cornelius Schulz-Wolfgramm" (siehe Seite 1), der jetzt "in der Hierarchie um eine Stufe tiefer aufgehängt ist" (Originalton IBM). Der bisherige Leiter Vertrieb Datenverarbeitung der IBM Deutschland GmbH hatte, soviel ist bekannt, bei einem Kunden (Unilever) eine vertragliche Regelung gesucht, die mit den IBM-Geschäftsgrundsätzen nicht vereinbar war.

Dies die Story, die - wäre, da nicht eine Ungereimtheit - keine ist: Ein IBM-Salesmanager hat sich zu weit aus dem Fenster gelehnt. Das war leichtfertig. So kam es zum Sturz.

Genau das bezweifeln allerdings Branchen-lnsider. Sie vermuten vielmehr, daß sich das IBM-Top-Management dieses Mannes ohnehin entledigen wollte und der Unilever-Fauxpas gerade gelegen kam.

Was spricht nun für diese Annahme - oder zumindest dagegen, daß es bei dem "Hamburger Fenstersturz" allein um die Aufrechterhaltung der "lBM-Policy" ging?

Zunächst dies: Wenn es sich wirklich um einen Verstoß gegen die Vertriebspraktiken gehandelt hätte, dann durfte man Schulz-Wolfgramm nicht wieder als Regionalleiter Norddeutschland in eine so hohe Linienverantwortung stellen - vor allem nicht in Hamburg, wo er es ja vor Ort mit derselben Kundschaft zu tun hat. Dann hätte man ihn ganz aus dem Verkehr ziehen müssen.

Nächster Einwand: Es scheint kaum denkbar, daß Schulz-Wolfgramm bei Unilever ohne die Unterstützung, des Top-Managements (Bösenberg) verhandelt hat. Schließlich ging es um sehr viel. Pech für SW, daß letztlich doch Amdahl zum Zuge kam. Damit wird die hohe Etnik der lBM zur Scheinheiligkeit. Moral hier, Verkaufsquote dort - der schmale Grat, auf dem die IBM-Verkäufer balancieren müssen, mutet angesichts der Marktpower der PCM-Mitbewerber (Amdahl NAS, Siemens/Fujitsu) besonders tückisch an. Die Zeiten sind nun mal vorbei, in denen IBM Produkte und Preise festlegen konnte, als gäbe es keinen Wettbewerb. Bleibt die Kernfrage, ob sich IBM diese hohe Ethik überhaupt noch leisten kann? Am Beispiel "Schulz-Wolfgramm" wird die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutlich.

Alles in allem: Ein bemerkenswerter Fall. Dennoch erscheint fraglich, ob sich daraus für IBM weitere Konsequenzen ergeben (EG-Recherchen). Nur in ganz seltenen Fällen gelang Klägern bislang der eindeutige Nachweis einer wettbewerbsfeindlichen Handlung des Marktführers. Aber vielleicht ist dieser Punkt in Zukunft auch ohne marktpolitische Bedeutung. Wie es aussieht, kommt Amdahl mittlerweile ohne Hilfe von außen zurecht. Eines darf nämlich nicht übersehen werden: IBM-Vertriebsleute haben Zuzagen gemacht und wurden degradiert. lBM-Kunden werden sich fragen müssen, was das Wort eines IBM-Verantwortlichen wert ist.