Das Beste machen aus der beklagenswerten Situation

Felix Weber sprach mit Alexander Papin, dem Vizedirektor des sibirischen Instituts für Energietechnik in Irkutsk

16.03.1990

CW: Herr Papin, wo steht die Sowjetunion bezüglich eigener Computertechnik?

Papin: Bei der Hardware liegen wir gegenüber dem Westen sicher um zwei Computergenerationen zurück, wobei unsere Geräte weniger gut sind als jene, die es damals in Japan und den USA gab. Um schneller vorwärtszukommen auf diesem Gebiet, brauchten wir ein nationales Forschungs- und Entwicklungsprogramm - am besten eines nach dem Vorbild der nationalen Militärprogramme, denn die funktionieren wenigstens. Es gibt auch ein paar gute Ideen für eine gezielte Förderung der Informatik, aber bis da Taten folgen, dauert es sehr lange. Wir machen schon Fortschritte, aber eher auf theoretischen Gebieten oder in der Software, weniger im Computerbau.

CW: Stammen denn Ihre Geräte vorwiegend aus dem Ausland?

Papin: Nicht nur. Wir haben auch eigene Computer, aber die sind in der Regel recht veraltet. Zum Teil arbeiten diese ja noch mit Vakuumröhren. Personal Computer, wie sie im Westen gang und gäbe sind, werden hier nicht produziert. Wir haben es zwar vorfahren versucht, aber ohne großen Erfolg: Die Geräte haben nicht nur schlechte Leistungsdaten, sie sind auch sehr unzuverlässig.

Ein Ziel des nationalen Programms muß sein, da Abhilfe zu schaffen. Ich fürchte nur, daß das noch ein paar Jahre dauern wird. In der Zwischenzeit müssen wir wohl oder übel mit unseren alten Kisten auskommen und mit jenen Produkten, die wir aus dem Ausland importieren können.

CW: Wie sieht es an Ihrem Institut aus mit der Computerausrüstung?

Papin: Wir fahren doppelspurig: Einerseits benutzen wir sowjetische Großcomputer, andererseits Personal Computer aus westlicher Produktion. Unser Ziel ist es, alle Rechner zu vernetzen, damit die Benutzer bequem miteinander Daten austauschen können.

Unser Hauptcomputer heißt BESM-6 und stammt aus den frühen siebziger Jahren. Die Maschine, die von rund 60 Bildschirmen aus angesteuert werden kann, arbeitet mit drei parallelen Prozessoren, einem relativ modernen Konzept. Die Technik hingegen ist veraltet: Als Schaltelemente kommen teilweise noch Röhren zum Einsatz. Gelegentlich können unsere Techniker modernere Bauteile ergattern und die Maschine etwas aufmöbeln. Gemessen an westlichen Standards, gehört der Rechner natürlich längst ins Museum, aber wir benutzen ihn immer noch fleißig.

Neben dem BESM-6 haben wir einen Computer, der zur vereinheitlichten Serie für östliche Länder gehört. Der entsprechende Standard - er ist mit dem BESM-6 nicht kompatibel - stammt aus den späten siebziger Jahren. Es gibt solche Rechner in unterschiedlichsten Ausstattungen. Unser Modell ist sehr langsam, wird jetzt aber durch ein leistungsfähigeres ersetzt.

Dann wären noch die rund 20 Personal Computer zu erwähnen, die wir im Laufe der Zeit angeschafft haben. Drei davon entsprechen dem IBM Modell PC/XT; der Großteil dem IBM AT, und ein paar wenige sind Hochleistungs-PCs mit dem Intel-386-Prozessor.

CW: Wo haben Sie denn all die Geräte her? Der Intel-386-Prozessor dürfte ja gar nicht in östliche Länder exportiert werden!

Papin: Nun, wir kaufen unsere Hardware über Kooperativen ein. Das sind sowjetische Privatunternehmen, die zum Teil internationale Handelsbeziehungen aufgebaut haben. Die Geräte selber stammen aus Japan, den USA, aber auch aus Taiwan. Wir nehmen natürlich, was wir bekommen. Bezahlt wird mit irgendwelchen Rohstoffen oder, wenn es nicht anders geht, mit Devisen. Zum Glück hat unser Institut im eigenen Land und auch international einen so guten Ruf, daß wir Geld für unsere Anschaffungen erhalten.

Westliche Personal Computer sind für unser Institut und für die sowjetische Forschung ganz allgemein von enormer Bedeutung. Nicht in erster Linie, weil sie besonders leistungsfähig sind, sondern aus einem ganz anderen Grund: Wer auf seinem Fachgebiet international mithalten will, muß Zugang haben zu Computern, mit denen die Kollegen weltweit arbeiten, und das sind eben vorwiegend westliche PCs.

CW: Leistungsfähig sind sie aber auch - die besten PCs in Ihrem Institut bringen wohl mehr Power als Ihr Großrechner, der den halben Keller in Beschlag nimmt.

Papin: Das ist tatsächlich so. Aber wenn wir den BESM-6 stillegen würden, könnten wir auch die vielen Programme, die wir in all den Jahren dafür entwickelt haben, nicht mehr brauchen. Unser Ziel ist deshalb, die Personal Computer mit dem BESM-6 zu vernetzen, damit wir flexibler werden und Daten beliebig austauschen können. Außerdem haben wir bereits das Nachfolgemodell des BESM-6 bestellt.

CW: Wie lange müssen Sie denn darauf warten?

Papin: Ich schätze zwei bis drei Jahre. Das Warten lohnt sich schon deshalb, weil der neue Rechner aus einer zentralen Kasse bezahlt wird, die unser eigenes Budget nicht belastet.

Sie mögen das vielleicht amüsant finden, wenn - ich Ihnen sage, daß veraltete Hardware durchaus auch Vorteile bringen kann. Aber es ist tatsächlich so. Mir ist das klar geworden, als ich am Internationalen Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA) im österreichischen Laxenburg bei Wien arbeitete. Wenn Sie Programme entwickeln für eine Maschine, die keine engen Limits hat, so überlegen Sie viel weniger, als wenn Ihnen die Hardware enge Grenzen setzt.

Mit anderen Worten: Unsere Kollegen im Westen gehen mit den Computerressourcen viel verschwenderischer um als wir - weil sie schlicht mehr davon haben. Das heißt aber noch lange nicht, daß sie auch bessere Resultate erzielen - im Gegenteil: Ich könnte Ihnen Beispiele zeigen, wo unsere Leute mit sehr viel kleineren Programmen ebenso gute, wenn nicht bessere Ergebnisse erreicht haben als die Konkurrenz im Westen. Not macht eben erfinderisch.

Diese Fähigkeit, die wir uns wegen der widrigen Umstände jahrelang antrainiert haben, möchten wir in Zukunft vermehrt kultivieren und, wenn es geht, auch verkaufen. Ich stelle mir vor, daß unsere Problemlösungen auf dem internationalen Markt gute Chancen haben wir müssen sie nur wahrnehmen.

Wir möchten überhaupt mehr verkaufen. Noch vor kurzem war das ja noch gar nicht erlaubt. Jetzt können wir zumindest schon anderen Instituten Computerzeit anbieten und diese auch verrechnen.

CW: Ist das ein freier Markt?

Papin: Sozusagen - jedenfalls bestimmen wir die Verkaufspreise.

CW: Ein anderer Punkt: Wie bilden Sie eigentlich Ihre Leute aus - gibt es in der Sowjetunion einen speziellen Lehrgang für künftige Computerleute?

Papin: Ich kann da nur für die Situation in Irkutsk Auskunft geben. Wir haben an der Universität eine Abteilung für Kybernetik. Da werden vor allem theoretische Grundlagen unterrichtet, zum Beispiel Computersprachen. Die Abteilung besitzt auch ein paar Computer sowjetischer Bauart.

Für die Anforderungen unseres Instituts ist diese Ausbildung allerdings zuwenig praxisorientiert. Wir beschäftigen aus diesem Grund stets eine Reihe von Studenten, die in ihrer Freizeit gegen Bezahlung an unseren Forschungsprojekten mitarbeiten und dabei lernen, wie man Computer in der Praxis einsetzt.

CW: Erwarten Sie von einem Energiespezialisten, daß er mit Computern umgehen kann?

Papin: Ganz bestimmt. Wer sich professionell mit Energiesystemen beschäftigt, muß entsprechende Modelle entwerfen und durchrechnen. Ohne Computer geht da beim heutigen Stand der Forschung fast gar nichts mehr. Für uns - und übrigens auch für Kollegen auf zahlreichen anderen Gebieten - ist der Computer heute ein absolutes "Muß".