Interview mit Michael Schulte, Capgemini

Fehlerkultur ist nicht gleich Fehlertoleranz

23.01.2018
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Es geht um Kosten, Agilität und kreative Ideen

Die Digitalisierung erschöpft sich nicht mit der Einrichtung eines Digital Labs. Wo setzen Sie an, um ihre Kunden insgesamt in der Transformation zu unterstützen?

Schulte: Ich habe einen Kunden, der gerne ausführt, man müsse über drei Herausforderungen nachdenken, wenn es um digitale Fitness geht: über Kosten, über Time-to-market und darüber, frischer und agiler im Kundenkontakt zu werden - vibrant sozusagen. Das sind auch nach meiner Meinung die drei wesentlichen Baustellen.

Wenn es um Kosten geht, reden wir im Wesentlichen über Automatisierung. Das kann mit Robotern geschehen, die bestimmte Tätigkeiten übernehmen - insbesondere auf der prozessualen Ebene mit Robotic Process Automation. Überall da, wo ein Prozess schlank aufgesetzt werden kann, im ERP zum Beispiel, braucht man dagegen keine Roboter.

Was bedeutet dies für den BPO-Markt?

Kommunikation, Collaboration und zielgerichtetes Zusammenarbeiten sind im Digital Lab erfolgskritisch.
Kommunikation, Collaboration und zielgerichtetes Zusammenarbeiten sind im Digital Lab erfolgskritisch.
Foto: Capgemini

Schulte: Je weiter wir hier mit der Automatisierung vorankommen, desto kleiner wird für einen Anbieter der Markt für Business Process Outsourcing. Alles, was man automatisieren kann, muss man nicht mehr ins BPO oder in eine Shared-Services-Organisation geben.

Zurück zu Ihren drei Herausforderungen…

Schulte: Der zweite Aspekt Speed verlangt, die installierte Basis zu optimieren. Das hat viel mit digitalen Techniken und Methoden zu tun, beispielsweise beim Thema Digital Twin. Wir unterstützen unsere Kunden darin, Produktserien zu verkleinern und trotz der Personalisierung schnell am Markt sein. Für Maschinen oder Fahrzeuge können für jedes Produkt digitale Zwillinge entstehen, die dann im Aftersales-Service wichtig werden und den Aufwand massiv reduzieren.

Und zum Thema Agilität im Kundenkontakt: Hier investieren viele Unternehmen, um besser zu werden. Viel wird von DevOps gesprochen. Jedoch: Wenn man DevOps wirklich durchziehen will, muss man die Anwendungslandschaft umbauen. Man braucht eine Service-orientierte Architektur, eine skalierbare, gut adaptierte Cloud-Infrastruktur und DevOps-Prozesse.

Im Zusammenhang mit digitaler Innovation wird oft eine tolerantere Fehlerkultur eingefordert. Was halten Sie davon?

Schulte: Das ist immer so ein Reflex: Wir müssen mehr Fehler zulassen! In der agilen Entwicklung ist ja auch das, was herauskommt, am Anfang fehlerhaft. Man probiert Dinge aus, verwirft sie wieder und lernt aus der Fehlerbehebung. Wahr ist aber, dass wir auch in der digitalen Welt von fehlerfreien Endprodukten ausgehen. Keiner will ein fehlerbehaftetes Produkt haben. Und wir würden wohl auch nicht autonom fahren wollen, wenn die entsprechende Software fehlerbehaftet sein könnte. Man kann also nicht einfach sagen: Wir lassen mehr Fehler zu.

Wir hatten hier vor einiger Zeit ein Event, da fragte die Moderatorin den CDO eines Automobilzulieferers, ob er nicht auch der Meinung sei, dass man in der digitalen Welt mehr Fehler zulassen müsse. Er hat sie schockiert angesehen und gesagt: Wir bauen Bremsen! Die Anforderungen an eine Fehlerkultur sind unterschiedlich. Generell ist es so, dass Manager dann Karriere machen, wenn sie keine Fehler zulassen. So haben wir es gelernt. Und diese Kultur muss sich in der Tat ändern.

Anwender in den Fachbereichen nicht überfordern

Viele Unternehmen möchten am liebsten mehr IT-Aufgaben ins Business verlagern und die Mitarbeiter in den Fachabteilungen befähigen, selbst zu entwickeln oder sich zu Data Scientists fortzubilden. Können Sie als Capgemini dazu einen Beitrag leisten?

Schulte: Wenn wir heute Plattformen beim Kunden aufbauen, dann wird erwartet, dass die Softwareentwicklung - aufbauend auf diesen Plattformen - einfacher wird. Wir entwerfen gerade für einen Handelskonzern eine Plattform für das Financial Reporting. Dabei gehen wir so vor, dass wir zuerst eine gewisse Anzahl an Reports erstellen und dabei die Fachabteilung darauf trainieren, weitere Reports selbst zu generieren. Unser Geschäft ist es, diese Plattform aufzubauen und die Anwender zu trainieren.

Führt das nicht ins Chaos?

Schulte: Einfache Reports können die meisten Fachabteilungen selbst generieren, aber je mehr dort gemacht wird, desto mehr Wildwuchs resultiert daraus. Das ist kein industrialisiertes Vorgehen. Die Analysten sagen, dass künftig 40 Prozent der IT-Themen ins Business wandern. Wir verkaufen tatsächlich mehr Projekte ans Business, aber oft ist es schwierig zu sagen, wer überhaupt uns zentrale Ansprechpartner ist. Dass müssen wir jedes Mal neu herausfinden. Meistens ist am Ende ein Dreigestirn von IT, Business und Einkauf zuständig.

Wir beobachten zum Beispiel bei einem großen Automobilkonzern, dass er immer mehr Aufgaben aus seiner IT-Organisation herausnimmt und ans Business übergibt. Das ist durchaus ein Trend, aber in der Regel sitzt immer noch die IT mit am Tisch. In der digitalen Welt steigt die Heterogenität für die IT-Organisation wieder, deshalb braucht es eine ordnende Hand. An einer starken IT-Organisation führt kein Weg vorbei. Denken Sie etwa an Datensicherheit und Compliance. Wenn Sie Ihre IT komplett dezentralisieren, ist das nicht mehr einzufangen.

Capgemini ist breit aufgestellt, Sie bedienen alle wichtigen Branchen. Welche Industrien sind aus Ihrer Sicht vom digitalen Wandel am stärksten betroffen?

Schulte: Die Digitalisierung beschäftigt alle Industrien stark, aber ich würde sagen, Versicherungen sind besonders intensiv betroffen. Kundeninteraktion und Vertriebsmodelle ändern sich komplett, und die Automatisierung wird in allen Bereichen, in denen es keinen direkten Kundenkontakt gibt, heftig sein. Die Versicherungen werden sich komplett umstellen müssen.

Ansonsten trifft die Digitalisierung Industrieunternehmen stark. Das Thema Industrie 4.0 ist ja nicht mehr ganz neu. Die Produktion verändert sich, hybride Produkte entstehen - ein Auto etwa, wo Maschine, Elektronik und IT das Produkt ausmachen. Aber die Automatisierungseffekte, wie wir sie in den Versicherungen sehen werden, wird es dort nicht so geben.